15.05.10: Religion als Wasser für die Welt

Eindrücke vom Ökumenischen Kirchentag in München

Kirchentag_RundOhne Wasser können wir nicht überleben. Wasser reinigt und kann den Weg ebnen für das Neue. Im Rahmen des Podiumgesprächs „Kann das Christentum lebendiges Wasser für die Welt sein?” auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München diskutierten VertreterInnen verschiedener Konfessionen über die Rolle der Religion für den Einzelnen und für die Gesellschaft in einer Welt, die nach wie vor von Dualitäten wie arm und reich, schwarz und weiß, bestimmt wird.

Christentum ist nicht gleich Christentum …

Prof. em. Dr. Fulbert Steffensky, Hamburg, zeigte auf, dass, wie in vermutlich jeder institutionalisierten Religion, so auch das Christentum Verunreinigungen und Erstarrungen in Form von Machtdarstellungen und zur Schau stellen materiellen Protzes aufweise. Dies stelle eine Abweichung von der usprünglichen, christlichen Essenz dar und könne daher sicherlich nicht als lebendiges Wasser für die Welt betrachtet werden. Diesen “Verfehlungen”, insbesondere auch in Gestalt von brutalen Massenmorden und Terrorismus auf der Basis religiöser Motivation, eine eigene Existenzberechtigung zuzubilligen, stelle jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung für die eigene Entwicklung von Barmherzigkeit dar, um die auch er sich immer wieder bemühe.

Das lebendige Wasser aus dem Herzen fliessen lassen …

Ordensschwester Karoline Mayer, Präsidentin Fundación Cristo Vive, Santiago/Chile veranschaulichte anhand ihrer Lebensgeschichte als Missionarin, die Wichtigkeit der Demut und des Mutes, dem Göttlichen in jedem Menschen gegenüber zu treten und zu dienen – auch wenn dies das eigene Leben kostete. Dies sei ihr nur möglich durch die bedingunglose Hingabe und das Vertrauen in die göttliche Fügung. Sie benötige aufgrunddessen keine materiellen Absicherungen, akademischen Titel oder Wissen, um die Sicherheit im eigenen Herzen und Frieden in sich zu finden. Durch eine direkt aus dem Herzen entspringende Hilfsbereitschaft, jenseits von Konzepten und Vorstellungen, sei es ihr im Verlauf ihrer missionarischen Tätigkeit möglich gewesen, das lebendige Wasser zum Wohle der Menschen fließen zu lassen.

Frau Dr. Dalia Marx, Rabbinerin, Hebrew Union College, Jerusalem, stellte die mütterlichen Qualitäten von Frauen im spirituellen Leben in den Vordergrund. Sie betonte, dass überall dort, wo liebevolle Fürsorge und Beistand vonnöten seien, insbesondere auch die Frauen imstande seien, lebendiges Wasser zu spenden.

Mitgefühl, Poesie und das Erkennen inneren Reichtums  …

Ahmad Milad Karimi stellte die Rolle des Mitgefühls heraus – insbesondere auch für diejenigen Menschen, die sich an die illusionäre Sicherheit materiellen Reichtums klammerten, ohne den Wert des inneren Reichtums zu erkennen. In der offenen und gelassenen Begegnung mit anderen könne man sich in wundervollem, göttlichem Frieden berühren. Dies könne auch, wie während der Podiumsdiskussion durch die einfühlsam begleitende Performance von Matthias Graf, über Musik und Poesie geschehen. Auch der Koran finde auf diese Weise als poetische Liebeserklärung von Gott an den Menschen seinen Weg in das Herz.

Zen-Meister Thich Thien Son bemerkte dazu, dass die Poesie im Buddhismus allgemein eine eher untergeordnete Rolle spiele, aber im Zen werde sie z.B. in Form von Koans als kunstvolles Mittel genutzt, um direkt das Herz der Menschen anzusprechen.

Laurence Freeman OSB, Leiter der Weltgemeinschaft für christliche Meditation, London, führte die Wichtigkeit innerer Einkehr weiter aus. Jesus, als Quelle göttlichen Wirkens, sei nicht gebunden an eine bestimmte Gestalt oder Institution – Jesus sei im Herzen eines jeden Menschen. Über die Kontemplation könne man seine Präsenz spüren und sich mit dem Göttlichen in sich selbst rückverbinden.

Kirchentag_ThayDie Meditationspraxis nehme im Christentum noch keine zentrale Stellung ein, so Zen-Meister Thich Thien Son, wie vergleichsweise im Buddhismus. Dennoch fänden sich viele meditative Elemente, wie z.B. im christlichen Gebet. Allein die Atmosphäre, wenn man eine Kirche betrete, spreche für sich: „Die Stille, der große leere Raum, die Neutralität – all diese Faktoren laden zur Kontemplation ein.”

Die TeilnehmerInnen stimmten darin überein, dass die christliche Meditation noch sehr viel Potential in sich birgt und ausgebaut werden sollte. Mit Hilfe der Vermittlung von Meditationstechniken durch entsprechend geschulte MeditationslehrerInnen könne man auch der Angst vor der auftretenden Leere, wenn die inneren Dialoge in der Meditation leiser werden, begegnen.

Liebe als Fundament …

Einig waren sich die ReferentInnen auch über die zentrale Rolle der Liebe. Liebe bedeute auch, Barmherzigkeit im Umgang mit religiösen Extremisten und Attentätern zu üben. Liebe bedeute das bedingungslose Annehmen des jeweiligen Moments im Hier und Jetzt und das tiefe Verstehen des Anderen.

Laurence Freeman OSB betonte darüber hinaus, dass kein Mensch glücklich sein könne, ohne Liebe zu empfangen und zu geben. Sie könne nur aus sich selbst heraus in einem gegebenen Moment entstehen – ohne inneren Zwang und Erwartungen von außen.

Religion jenseits von Konfessionen …

Ahmad Milad Karimi brachte es auf den Punkt, als er bemerkte, dass sich die anwesenden ReferentInnen eigentlich in den wesentlichen Punkten einig seien – unabhängig von ihrer jeweiligen religiösen Überzeugung: “Aber wie kann man diese Übereinstimmung zwischen den Religionen nach außen an Menschen herantragen, die sich weiterhin an der Trennung und Absonderung der Konfessionen voneinander festhalten?”

Kirchentag_Publikum1Das Göttliche ist überall und an keine bestimmte Glaubensrichtung oder Gottesvorstellung gebunden. Es manifestiert sich im hingebungsvollen Dienst an uns selbst und an den anderen, im liebevollen, achtsamen und offenen Miteinander. Wir finden es in der Stille eines jeden Augenblicks in unserem eigenen Herzen, sowohl als auch im Lächeln unseres Gegenübers.

So verstanden, kann Religion Wasser für die Welt sein.

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16. Mai 2010

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