Samadhi 2010: Zur rechten Zeit am rechten Ort

medi thien chauDer viertägige Samadhi-Osterretreat in der Frankfurter Pagode, und nun seit zwei Jahren im Zentrum Buddhas Weg im Odenwald, hat mittlerweile Tradition. Dazu gehört auch, dass „jedes Samadhi“ seinen ganz eigenen Charakter innehat. Statt einem Korb bunt gefärbter Ostereier gab es für die fast 50 TeilnehmerInnen einen bunten Korb an Impulsen, um die durchbrechende Energie des Osterfestes für einen Neuanfang in das eigene Leben einfließen zu lassen.

„In den vier Tagen schaffen wir einen kleinen Raum – jenseits von Bewertungen, Kritik und den Theaterstücken unseres Alltags. Wir öffnen eine Tür zu uns selbst. Dazu müssen wir zunächst Schritt für Schritt die vielen Stimmen in uns zur Ruhe bringen.”

Der Tag begann um 5.15 Uhr mit der Morgenmeditation. Nach dem Frühstück gab Zen-Meister Thich Thien Son Impulse für den Tag. Anschließend blieb der Großteil der TeilnehmerInnen in der Buddhahalle, um in 25-minütigen und später bis zu 45-minütigen Meditationssitzungen, Körper und Geist zur Ruhe zu bringen. Zur jeweiligen Einleitung der Meditation gab es Affirmationen oder Themen, mit deren Hilfe man den Geist „festbinden“ konnte. Wer 60 Minuten oder länger am Stück meditieren wollte, konnte in einen anderen Meditationsraum wechseln, um in die Stille eintauchen zu können.

Nach dem Mittagessen gab es eine gemeinsame Gehmeditation in der wunderschönen Natur des umgebenden Odenwaldes. Nachmittags wurde erneut meditiert, der Abend war jeden Tag unterschiedlich gestaltet.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Um die Aufmerksamkeit effektiv auf die eigene Innenwelt richten zu können, wurde während der vier Tage das „edle Schweigen” praktiziert: Außerhalb der morgendlichen Belehrungen wurde seitens der TeilnehmerInnen nicht gesprochen.
„Wenn wir uns um Außen mit niemanden verbinden – wie fühlen wir uns dann? Fühlen wir uns schlecht, weil uns die Bestätigung und das Feedback unserer Mitmenschen fehlt oder geht es uns gar besser, weil wir endlich „Ruhe” haben und uns niemand bewertet?”

Durch das fehlende Ausagieren im Außen, wurde es viel schwieriger, „dem Anderen” die Schuld für den eigenen Gemütszustand zu geben. Dies ermöglichte die direkte Erfahrung, dass die Komponenten unseres eigenen Geistes der Regisseur unseres persönlichen Theaterstücks sind: Wir selbst entscheiden auf der Basis unserer Gewohnheitsstrukturen darüber, ob auf der Bühne unseres Lebens ein Drama oder eine Komödie aufgeführt wird.

1. Tag: „Ich bin angekommen – ich bin Daheim”

Viele TeilnehmerInnen waren direkt aus dem Stress des Alltags in den Odenwald gekommen. Daher lautete des Motto des ersten Retreattages zunächst: Runterkommen und ankommen – den Alltag loslassen. Sich selbst vergegenwärtigen, ich muss nirgends hingehen und nichts tun, außer zu atmen. Einatmen: Ich bin angekommen, Ausatmen: Ich bin Daheim.

In den folgenden Meditationseinheiten galt die Aufmerksamkeit dem eigenen Atem: „Ich weiß, dass ich atme”. Nicht mehr und nicht weniger – nicht dem Atem folgen, nicht bewerten, ob der Atem kurz oder lang ist – nur immer wieder vergegenwärtigen „ich atme”.

Waren Unruhe und Rastlosigkeit auf körperlicher Ebene erstmal besänftigt, konnte sich zunehmende Gelassenheit entwickeln. Je mehr innere Kämpfe und Panik auf der Gefühls- und Gedankenebene nachließen, umso tiefere Ruhe wurde erfahrbar. Die innere Ruhe ist dabei das Tor zu Freude und Glückseligkeit. Diese tragen wir bereits in uns, decken sie aber im Alltag durch Probleme und destruktive Emotionen zu.

2. Tag: „Alles was mir begegnet, ist zu meinem Besten”

Die Impulse des zweiten Tages galten der rechten Ansicht. Ein wichtiges Fundament der Buddhistischen Alltagspraxis ist der so genannte Achtfache Pfad. Die rechte Ansicht ist eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung des Achtfachen Pfades. So lange wir an unseren althergebrachten Überzeugungen und Einstellungen festhalten, können wir dem Hier und Jetzt nicht mit Offenheit begegnen. Wir schränken unser (Er)leben ein. Nur über das tiefe Verständnis von Vergänglichkeit, Nichtselbst und der Leerheit öffnen wir uns für die Vielfältigkeit eines jeden Moments.

Wenn wir die drei buddhistischen Begriffe in eine auch für Nicht-Buddhisten anwendbare Sprache übersetzen wollen, können wir sie folgendermaßen umschreiben:

1. Dort, wo ich in einem gegebenen Moment bin, bin ich am rechten Ort.

Indem wir ständig „irgendwo anders hin wollen”, erzeugen wir innere Unruhe und Rastlosigkeit. Diese verhindern die Erkenntnis, dass es nur ein Zuhause für uns gibt: In uns selbst.

2. Der Mensch, der mir begegnet, ist genau der, den ich gerade für meine weitere Entwicklung benötige.

Häufig regen wir uns über unsere Mitmenschen auf. Dieses und jenes passt uns nicht, wir wollen den anderen verändern, besonders in unseren engen Beziehungen. Oft zeigt sich jedoch mittel- oder langfristig, dass besonders jene Menschen, die wir zunächst gar nicht in unserem Leben akzeptieren konnten, diejenigen waren, die uns am meisten lehren konnten – besonders über uns selbst.

3. Wenn eine Beziehung, ein Streit oder ein Arbeitsvertrag zu Ende ist, dann ist er/sie zu Ende.

Es gilt loszulassen und offen zu sein für Neues. Nur so schaffen wir den notwendigen Raum, damit sich neue Bedingungen entfalten können.

4. Was auch immer gerade geschieht, ist genau das, was ich für mein weiteres Wachstum benötige.

Erst im Nachhinein sehen wir, ob ein Erlebnis für unsere Entfaltung förderlich war oder nicht. Wir kommen daher um die Erfahrung auf der körperlichen Ebene nicht herum. So lange wir etwas nur auf der Gedankenebene erwägen, bleibt es eine Fantasie und Gedankenspielerei.

Die vier Punkte beschreiben auf eine sehr leicht nachvollziehbare und menschliche Weise die Essenz der Vergänglichkeit. Wenn wir jeden Augenblick, so wie er sich gerade zeigt, mit all seinen Bedingungen und Eigenheiten akzeptieren können, können wir unser Leben wesentlich entspannter und mit offenem Herzen leben. Wir müssen nicht mehr gegen vermeintliche Feinde im Innen oder Außen ankämpfen. Wir erkennen, das, was auch immer geschieht, alles nur zu unserem Besten ist.

Am Abend des zweiten Tages gab es die Möglichkeit der Buddhistischen Zufluchtnahme. 24 RetreatteilnehmerInnen, darunter auch langjährige ZenschülerInnen des Meisters, nahmen die fünf Silas (Laiengelübde) oder Achtsamkeitsübungen für ihre weitere, buddhistische Praxis an. Die von Zen-Meister Thich Thien Son vergebenen Dharma-Namen gaben den Zufluchtnehmenden darüber hinaus wichtige und hilfreiche Impulse für ihren weiteren Weg.

3. Tag: „Ich bin ok und Du bist auch ok!”

Die Morgenimpulse des dritten Tages waren zunächst unserem 6. Sinn, dem Denksinn, gewidmet. Eines unserer größten Hindernisse auf dem Pfad zur Befreiung ist der Denksinn. Nicht etwa, weil Denken an sich „schlecht” ist: Denken ist weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, auf welche Weise wir es einsetzen. In der Regel neigen wir jedoch dazu, mit Hilfe des Denkens, die Dualität aufrechtzuerhalten und immer wieder neu zu erzeugen. Wir sind im Alltag ständig damit beschäftigt, uns mit anderen zu vergleichen und Dinge und Menschen (einschließlich uns selbst) zu bewerten.

Gerade auch während eines Schweige-Retreats werden zu Beginn besonders die ersten beiden Denkansätze bewusst, wir pendeln ständig zwischen ihnen hin und her. Der dritte Leitsatz ist derjenige, den wir als Praktizierende versuchen zu kultivieren.

1. „Ich bin ok, Du bist nicht ok!”

Um unsere eigene Wertigkeit wieder herzustellen oder aufrecht zu erhalten, neigen wir oft dazu, uns über andere zu stellen: „Also ich habe selbst Kinder und weiß, wie man sich als gute Mutter zu verhalten hat, aber was XYZ da macht, ist unmöglich!”

2. „Ich bin nicht ok, Du bist auch nicht ok!”

Je mehr wir uns selbst nicht in Ordnung finden, um so mehr suchen wir im Außen, also bei anderen, nach Fehlern und Schwächen. Dadurch steigern wir unser Selbstwertgefühl: „Ja, mein Vortrag war nicht besonders gut, aber der von XYZ war noch viel schlechter!”

3. „Ich bin ok und Du bist auch ok!”

Warum denken wir so selten auf diese Weise? Wenn alle ok sind und damit den gleichen Wert haben, bin ich bedeutungslos, verliere meine Besonderheit. Nur indem ich mich über oder unter andere stelle, kann ich mich abgrenzen und damit positionieren und definieren. Wenn alle gleich sind, fällt die Abgrenzung zunehmend schwer. Viele Menschen verlieren dann das Gefühl der Sicherheit und können sich daher nicht darauf einlassen.

Der Buddha sprach immer wieder von der gleichen Wertigkeit aller fühlenden Lebewesen. Dies gelingt uns nur, wenn wir uns Bewertungen und Verurteilungen nach und nach abtrainieren. Wir erreichen dies, wenn wir beginnen, ehrlich mit uns zu sein. Kein Mensch ist vollkommen, wir alle haben unsere Fehler und Schwächen. Auf unserem Weg der geistigen Schulung geht es darum, die Klarheit über uns selbst zu erlangen.

Dabei können uns die 5 Achtsamkeitsübungen oder Silas (Buddhistische Laiengelübde) als Leitfaden unterstützen.

Zum Abschluss des dritten Tages gab es eine Feuermeditation am österlichen Lagerfeuer. Die Stille, des sich ständig in Bewegung befindenden Feuerelements, und die sich ausbreitende Wärme in der ansonsten kühlen Nacht, zauberten eine Stimmung von Geborgenheit und Angekommen sein.

4. Tag: Vom Sinn und Unsinn des Tuns

Am letzten Retreattag sprach Zen-Meister Thich Thien Son über das rechte Tun.

1. Wozu soll das gut sein – die Frage nach dem Sinn

Bevor wir in die aktive Rolle gehen, also etwas bewegen wollen, neigen wir dazu, nach dem Sinn des Tuns zu fragen. Diese Sinnsuche ist meist aus unseren Gewohnheitsstrukturen motiviert und von Ängsten begleitet. Wir verleihen einer Handlung Sinn, indem wir über diese eine Verbindung zu einem Menschen oder einer Idee schaffen oder mit Hilfe einer bestimmten Funktion, etwas für jemanden tun.

Die Sinnsuche macht nur im gegenwärtigen Augenblick „Sinn”. Der Sinn wird dadurch definiert, wie Du in diesem Moment mit Dir selbst und Deinen Mitmenschen eine Beziehung aufbaust. Damit ist der Sinn nur im Hier und Jetzt erfahrbar – ansonsten arbeiten wir lediglich mit Gedankenkonstrukten und geben diesen künstlich auf der Basis unserer Fantasien und Vorstellungen einen Sinn.

2. Die Frage nach richtig und falsch

Darüber hinaus tragen wir ständig die Frage nach dem „Richtig oder Falsch” beziehungsweise, ist eine Handlung angemessen oder nicht, in uns. Damit blockieren wir unser Tun und bleiben in unseren Gedankenketten stecken. So halten wir beispielsweise aus der Angst heraus, die (illusionäre) Sicherheit zu verlieren, an einer Partnerschaft fest, die uns nicht gut tut.

Wir tragen zu wenig Vertrauen in uns, um aktiv nach neuen Entfaltungsmöglichkeiten und Handlungsalternativen zu suchen. Dadurch kommen wir gar nicht dazu, Fähigkeiten, die eigentlich in uns schlummern und nur darauf warten, geweckt zu werden, zu entwickeln.

3. Bin ich gut genug oder nicht – die Frage nach dem Wert

Wie bereits oben gesagt, bewerten wir ständig uns selbst und andere. Dies tun wir auch mit unseren Handlungen. Wenn wir z.B. unserer Ansicht nach vor der Gruppe versagt haben, indem wir die Morgenmeditation verschlafen haben, entziehen wir uns lieber den Rest des Tages ganz den Gruppenaktivitäten. Wenn uns keiner beobachtet, fühlen wir uns wieder gut und wertig. Dieses Muster finden wir auch in unserem Alltag – wir suchen unsere Nischen, in denen wir unbeobachtet und damit einer Bewertung von außen nicht zugänglich sind.

Auch die Frage nach der Wertigkeit ist nur im Hier und Jetzt sinnvoll. Wie viel Wert Du Dir in einem gegebenen Augenblick gibst, hängt davon ab, wie viel Verantwortung Du für Dich selbst und für andere, bereit bist zu übernehmen. Dabei geht es nicht darum, mit Hilfe der Übernahme von Verantwortung die eigene Wichtigkeit und damit unser Ego zu nähren. Vielmehr besteht das Ziel darin, die Verantwortung für die eigenen Emotionen und Handlungen zu übernehmen. Wenn ich jetzt einen Wutanfall ausagiere, bin ich bereit, die Verantwortung dafür zu tragen?

Bei allen drei Fragen, also nach dem Sinn, dem Richtig oder Falsch und nach der Wertigkeit, ist es wichtig, dass wir die Antworten in uns selbst und nicht außerhalb von uns suchen. Dies gelingt uns nur, wenn wir in einem ersten Schritt Respekt für uns selbst aufbauen, z.B. indem wir uns regelmäßig die Zähne putzen, also unseren Körper pflegen, schön anziehen, gesund ernähren usw. Wenn wir uns selbst wirklich wertschätzen können, können wir auch den Anderen respektieren und annehmen – in all seiner Eigenheit. Wir müssen nicht mehr ständig kritisieren und nörgeln. Wir können uns sagen: „Ah, sie zieht sich so an, damit sie sich wohlfühlt” und nicht „weil sie so einen schlechten Geschmack hat”.

Nachmittags in der Abschlussrunde wurde deutlich, wie viel in den vergangenen Tagen durch Stille und Reflektion bei den TeilnehmerInnen in Bewegung gesetzt wurde. Viele wunderschön bemalte Ostereier, im grünen Dickicht des eigenen Geistes gut versteckt, wurden gefunden. Nun gilt es die zahlreichen Impulse mit nach Hause zu nehmen und in den Alltag zu integrieren. Dazu sind die Entwicklung von rechter Ansicht und rechtem Tun notwendig, um mit Nachhaltigkeit weiter praktizieren zu können.

Wir bedanken uns bei allen TeilnehmerInnen des Retreats –
Alles Gute und viel Kraft für Eure weitere Praxis!

7. April 2010

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