„Weltliche und spirituelle Macht“ –

aus einer Dharmarede des Ehrw. Thich Nhat Hanh, Plum Village 13.07.2008

Übersetzung aus dem Englischen

Ein Collegestudent wandte sich mit folgendem Anliegen an mich: als Student hat er eine ganze Menge Ehrgeiz zu lernen und erfolgreich zu sein bzw. zu werden. Ja, man kann sagen, dass Ehrgeiz in unserer Gesellschaft sehr notwendig ist, um Erfolg haben zu können. Er wollte nun wissen, ob Ehrgeiz und Erfolg grundsätzlich etwas Schlechtes sind. Ich antwortete, dass Ehrgeiz und Erfolg in Kombination mit Achtsamkeit etwas sehr Gutes und Effektives sein können.

Letztendlich geht es um Macht – die Frage der Macht ist eine sehr wichtige Frage. Viele von uns haben in ihrem Leben Macht zu spüren bekommen, ohne vielleicht jemals selbst welche inne gehabt zu haben. Als Kinder spürten wir die Macht unserer Eltern. Vielleicht gebrauchen Sie in der Interaktion mit uns immer noch die Macht und Autorität einer Mutter und die eines Vaters. Kinder hingegen tendieren immer eher dazu, sich hilflos und machtlos zu fühlen. Aber es gibt auch Eltern, die sich machtlos fühlen, zum Beispiel weil sie ihren Kindern nicht helfen können. Unsere Macht ist immer begrenzt, das gilt auch für unsere politische Macht. Viele junge Leute denken, dass es jede Menge Macht bedeutet, der Präsident von den Vereinigten Staaten zu sein oder zu werden. Das ist die Art zu denken. Aber ich wette, dass Herr Bush sich sehr oft machtlos fühlt. Er benötigt mehr Macht, um den Ölpreis oder andere Dinge beeinflussen zu können. Er spürt, er hat nicht genug Macht, einen Krieg zu beenden – einen Krieg fortzuführen erfordert Macht, aber bei weitem nicht so viel wie einen Krieg zu stoppen.

Wenn Du reich bist, fühlst Du Dich mächtig – mit Deinem Geld kannst Du Dir jede Menge toller Dinge kaufen und das Geld hilft Dir vielleicht, Unangenehmes zu vermeiden. Nichtsdestotrotz: wir haben in der Vergangenheit gesehen, viele reiche Leute haben sich das Leben genommen, weil sie sich ohnmächtig fühlten.

Normalerweise strebt man in dieser Welt nach vier Arten von Macht:

Reichtum, Ruhm, Einfluss und Sex.

Sobald man diese Arten der Macht  meint erreicht zu haben, will man mehr davon. Ein reicher Mann wird immer weitermachen wollen, um noch mehr zu erreichen. Er kann nicht aufhören. Jemand ist berühmt, also will sie in Zukunft noch berühmter werden und sie wird alles tun, um dieser Wunschvorstellung hinterher zu jagen. Jemand hat Macht (Einfluss) und will eine noch höhere Position bekommen. Es gibt kein Ende dieses „nach immer mehr Jagens“. Vielleicht haben einige der Betroffenen wirklich gelitten, während sie diesen vier Arten von Macht und Verlangen hinterherliefen.

In der buddhistischen Tradition spricht man von drei Arten von Fähigkeiten oder auch Tugenden. Das Streben nach diesen Arten der Macht ist nicht gefährlich, weil man dadurch glücklicher wird. Wenn man diese drei Fähigkeiten verwirklicht hat, fühlt man sich glücklich und frei.

 1. die Macht des Loslassens (wörtlich: des Abschneidens)

Ihr habt Verlangen und aufgrund dieses Verlangens leidet Ihr sehr stark. Das trifft auch auf negative Emotionen wie Groll, Eifersucht und Zweifel zu. Diese Arten des Feuers verbrennen Euch. Wenn Ihr imstande seid, diese (Emotionen) los zu lassen, werdet Ihr frei sein.

Die Objekte Eures Verlangens – sie bergen sehr viele Gefahren in sich.

Wenn Ihr Fische fangen wollt, gibt es da einen Widerhaken unten an der Angel. Es gibt verschiedene  Modelle heutzutage – die Fische sind nicht besonders intelligent und kennen sie nicht alle. So beißen sie an, hängen am Haken und sterben. Viele von uns sind genau wie diese Fische: wir nehmen den Haken nicht wahr und sterben. Deshalb ist es so wichtig, den Haken rechtzeitig zu erkennen, das heißt in unserem Fall die Gefahr durchschauen, die in unserem Verlangen verborgen ist. Gebraucht Weisheit und Verständnis als Euer Schwert, um Euer Objekt der Begierde abzuschneiden! Ein guter Praktizierender versucht das immer wieder – Verlangen los lassen, ebenso Groll, Eifersucht und Zweifel. Das Schwert, welches er gebraucht, heißt Weisheit und Verständnis. Er erkennt die Gefahr, die von seinem Verlangen ausgeht.

2. die Macht zu verstehen und Einsicht zu erlangen

Einsicht ist das Resultat von (erfolgreicher) Meditation. Wenn Ihr genügend Achtsamkeit kultiviert habt, erlangt Ihr Konzentration. Mit Hilfe der tiefen Konzentration könnt Ihr dann tief in das Herz der Realität blicken. Diese Art der Einsicht befreit Euch von Euren Illusionen, Euren Missverständnissen und falschen Wahrnehmungen. So werdet Ihr frei. Weisheit ist ein Schwert. Bodhisattwa Manjushri wird als Wesenheit mit großem Verständnis beschrieben: mit seinem Schwert von Weisheit kann er jede Form von Illusion, Missverständnis und Verblendung durchschneiden. Wenn Ihr gute Praktizierende seid, könnt Ihr auch Einsicht erlangen. Denn wenn Ihr diese Art von Einsicht und Verständnis habt, könnt Ihr Eure Schwierigkeiten auf einfache Weise lösen. Mit der Hilfe von Weisheit, könnt Ihr Euch selbst schnell aus schwierigen Situationen heraushelfen. Und wenn andere Menschen mit ihren Problemen zu Euch kommen, könnt Ihr diesen dank Eurer Einsicht und Eurer Weisheit ebenfalls helfen. Alleine, auf sich gestellt, würden diese Leute vielleicht Jahre brauchen, um ihre Probleme zu lösen. Wenn sie dann zu Euch kommen und Ihr könnt ihnen innerhalb von 15 Minuten aus ihrer schwierigen Situation raushelfen, ist das eine gute Sache, die allen hilft. Das ist die Fähigkeit, die aus der Macht zu verstehen und Einsicht zu erlangen, erwächst. Einsicht ist die Frucht (Ernte) Eurer Praxis. Wenn Ihr genug Achtsamkeit und Konzentration kultiviert habt, dann erlangt Ihr die Fähigkeit, Eure eigenen Schwierigkeiten und die anderer Menschen aufzulösen. Dann seid Ihr wahrhaft reich und könnt ein Leben voller Freiheit und Einsicht führen.

Die erste der spirituellen Kräfte  oder Mächte hilft Euch, Euch von Verlangen und negativen Emotionen wie Groll zu befreien. Die zweite Fähigkeit unterstützt Euch darüber hinaus Illusionen, Unwissenheit und Missverständnisse los zu lassen. Auf diese Weise könnt Ihr wirklich den Menschen um Euch herum hilfreich zur Seite stehen. Allein mit der Verwirklichung von Einsicht und Weisheit in Euch selbst, könnt Ihr anderen eine große Hilfe sein. Und niemand kann Euch diese Fähigkeiten wegnehmen.

3. die Macht der Liebe

Ihr versucht, andere günstig zu stimmen, in dem Ihr ihnen Wünsche erfüllt. Kannst Du mir einen Gefallen tun? Auf diese Weise seid Ihr es gewohnt, Glück zu verteilen. Aber es gibt da auch die Kraft zu vergeben, sowie Verständnis und Liebe anzubieten und Dinge und Menschen zu akzeptieren. Als guter und erfolgreicher Praktizierender hat man diese Kraft: anderen vergeben können und akzeptieren, wie er oder sie ist. Diejenigen unter uns, die nicht imstande sind, andere Menschen oder Situationen zu akzeptieren, können nicht glücklich werden. Sie sagen dann oft: „wenn die anderen sich nicht ändern, werde ich mich auch nicht ändern!“ „Weil die anderen so sind wie sie sind, tue ich dieses oder jenes.“ Wenn Ihr die Kraft der Liebe in Euch tragt, werdet Ihr die Menschen und Situationen annehmen können, wie sie gerade sind. Ihr hört auf zu reagieren, Ihr fangt an zu agieren! In der Vergangenheit habt Ihr Euch mit Widerstand gegen Menschen und Situationen gestellt und jetzt fangt Ihr an, Menschen und Situationen gleichermaßen zu akzeptieren wie sie nun mal gerade sind. Auf diese Weise seid Ihr imstande, Dinge wirklich zu verändern. Ihr stellt nicht mehr länger die Bedingung, dass andere sich zuerst verändern sollen. „Oh, er oder sie ist eben so – ich werde für mich mehr Einsicht kultivieren und mehr Frische und Freundlichkeit entwickeln. So bin ich fähig, die Situation zu verändern und gleichzeitig kann ich anderen damit helfen.“ Dies ist eine unermessliche Quelle der Kraft. Je mehr Ihr die geistigen Fähigkeiten transformiert habt, umso glücklicher werdet Ihr selbst und die Menschen, die Euch umgeben.

Viele Menschen werden Opfer ihrer eigenen Macht und ihres eigenen Erfolges. Aber mit diesen drei Kräften werdet Ihr kein Opfer Eurer Macht, wenn Ihr erfolgreich seid. Je mehr geistige Kräfte Ihr verwirklicht, umso freier werdet Ihr werden.

In der Tat ist es so, dass es für Euch, wenn Ihr diese Fähigkeiten erlangt habt, auch nicht gefährlich ist, Reichtum und Ruhm zu haben. Dann werden die weltlichen Mächte nämlich sehr nützlich für Euch sein. Ohne die Entwicklung der spirituellen Fähigkeiten sind und bleiben sie gefährlich, aber in Kombination miteinander können sie sehr wertvoll und effektiv werden. Der Buddhismus wendet sich nicht gegen Reichtum an sich – es ist lediglich gefährlich, dem ständigen Verlangen hinterher zu jagen. Wenn Ihr aber spirituelle Kräfte entwickelt habt, seid Ihr nicht länger Opfer Eures Reichtums, Eures Ruhms usw.. Dann macht Ihr instinktiv konstruktiven Gebrauch von Eurem Reichtum und Eurem Ruhm, um den Menschen in Eurer Umgebung Gutes tun zu können.

Es ist nicht wahr, dass ein guter Praktizierender immer die Armut vorziehen soll – er kann Geld verdienen, aber er muss verstehen, es mit Mitgefühl und Verständnis zu nutzen.

Wie viele Menschen sind wirklich so frei, um Ihren Reichtum, Ihren Ruhm und Ihre Macht auf diese heilsame Weise einzusetzen?

So lange sie keine spirituellen Fähigkeiten ausgebildet haben, sind sie nicht imstande, Ihre Macht heilsam einzusetzen.

Bezüglich der freiwillig gewählten Armut – wir wollen ein möglichst einfaches Leben führen. Das ist es, was wir anstreben. Wenn Ihr ein einfaches Leben lebt, müsst Ihr nicht die meiste Zeit darauf verwenden, Geld zu verdienen. Ihr habt mehr Zeit für andere Dinge wie den blauen Himmel, den Regen – Ihr habt mehr Zeit das Leben und Euch selbst zu genießen und Euch um Eure Lieben zu kümmern. Ihr seid arm, aber Ihr selbst seid es, die arm sein wollen. In Wirklichkeit aber seid Ihr reich, weil Euch alles gehört: der Sonnenschein, der Regen – dieser Augenblick im Hier und Jetzt – das alles gehört Euch. Einige der reichen Leute sind wirklich arm – sie erkennen nicht die Schönheit der Sonne, sie haben keine Zeit für ihre Lieben.

Buddhas Lehren sind also sehr klar: es gibt nichts gegen Geld und Ruhm zu sagen. Aber bitte strebt zunächst nach spirituellen Kräften und kultiviert sie, bevor Ihr den weltlichen Mächten nachjagt. Langfristig könnt Ihr dann beides pflegen: spirituelle und weltliche Macht.

Auf diese Weise glaubt Ihr nicht länger, dass man ohne Geld nicht glücklich sein kann.

 

 

21. Juli 2008

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