MN103 – Was denkt ihr von mir?

Majjhima Nikàya 103

 

Was denkt ihr von mir? (Kinti Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Kusinàrà, im Opferhain
auf. Dort richtete er sich folgendermaßen an die Bhikkhus: „Ihr Bhikkhus.“ –
„Ehrwürdiger Herr“, erwiderten sie. Der Erhabene sagte dieses:

2. „Was denkt ihr von mir, ihr Bhikkhus? Daß der Mönch Gotama das Dhamma
um der Roben willen lehrt? Oder daß der Mönch Gotama das Dhamma um der
Almosenspeise willen lehrt? Oder daß der Mönch Gotama das Dhamma um einer
Lagerstätte willen lehrt? Oder daß der Mönch Gotama das Dhamma lehrt,
um irgendetwas besseres zu werden?“
„Wir denken folgendes nicht vom Erhabenen: ,Der Mönch Gotama lehrt das
Dhamma um der Roben willen, oder um der Almosenspeise willen, oder um
einer Lagerstätte willen, oder um irgendetwas besseres zu werden.‘“
„Ihr Bhikkhus, ihr denkt also folgendes nicht von mir: ,Der Mönch Gotama
lehrt das Dhamma um der Roben willen, oder um der Almosenspeise willen,
oder um einer Lagerstätte willen, oder um irgendetwas besseres zu werden.‘ Was
denkt ihr denn dann von mir?“
„Ehrwürdiger Herr, wir denken folgendes vom Erhabenen: ,Der Erhabene ist
voller Mitgefühl und trachtet nach unserem Wohlergehen; er lehrt das Dhamma
aus Mitgefühl.‘“
„Ihr Bhikkhus, ihr denkt also folgendes von mir: ,Der Erhabene ist voller Mitgefühl
und trachtet nach unserem Wohlergehen; er lehrt das Dhamma aus Mitgefühl.‘“

3. „Also, ihr Bhikkhus, diese Dinge, die ich euch gelehrt habe, nachdem ich
sie unmittelbar erkannt habe – nämlich die vier Grundlagen der Achtsamkeit, die
vier richtigen Anstrengungen, die vier Machtfährten, die fünf spirituellen Fähigkeiten,
die fünf Kräfte, die sieben Erleuchtungsfaktoren, den Edlen Achtfachen
Pfad – in diesen Dingen solltet ihr euch alle in Eintracht üben, in gegenseitiger
Wertschätzung, ohne Streit.“

4. „Während ihr euch in diesen Dingen in Eintracht übt, in gegenseitiger Wertschätzung,
ohne Streit, könnte es geschehen, daß zwei Bhikkhus unterschiedlicher
Ansicht über das höhere Dhamma 1) sind.“

5. „Falls ihr nun denken solltet: ,Diese Ehrwürdigen sind unterschiedlicher
Ansicht, sowohl hinsichtlich der Bedeutung, als auch hinsichtlich der Ausdrucksweise‘,
dann sollte derjenige Bhikkhu, den ihr für den vernünftigeren haltet, so
angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Die Ehrwürdigen sind unterschiedlicher
Ansicht, sowohl hinsichtlich der Bedeutung, als auch hinsichtlich der
Ausdrucksweise. Die Ehrwürdigen sollten wissen, daß es aus diesem
Grund geschieht, daß es Meinungsverschiedenheit über die Bedeutung und Meinungsverschiedenheit
über die Ausdrucksweise gibt; mögen sie nicht in Streit
geraten.‘ Dann sollte derjenige, den ihr für den vernünftigsten von der Gegenseite
haltet, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Die Ehrwürdigen
sind unterschiedlicher Ansicht, sowohl hinsichtlich der Bedeutung, als auch
hinsichtlich der Ausdrucksweise. Die Ehrwürdigen sollten wissen, daß es aus
diesem Grund geschieht, daß es Meinungsverschiedenheit über die Bedeutung
und Meinungsverschiedenheit über die Ausdrucksweise gibt; mögen sie nicht in
Streit geraten.‘ Also sollte das, was falsch verstanden wurde, als falsch verstanden
vergegenwärtigt werden. Während man sich das falsch Verstandene als falsch
verstanden vergegenwärtigt, sollte dargelegt werden, was Dhamma ist und was
Disziplin ist.“

6. „Falls ihr nun denken solltet: ,Diese Ehrwürdigen sind unterschiedlicher
Ansicht hinsichtlich der Bedeutung, stimmen aber hinsichtlich der Ausdrucksweise
überein‘, dann sollte derjenige Bhikkhu, den ihr für den vernünftigeren
haltet, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Die Ehrwürdigen
sind unterschiedlicher Ansicht hinsichtlich der Bedeutung, stimmen aber hinsichtlich
der Ausdrucksweise überein. Die Ehrwürdigen sollten wissen, daß es
aus diesem Grund geschieht, daß es Meinungsverschiedenheit über die Bedeutung,
aber Übereinstimmung über die Ausdrucksweise gibt; mögen sie nicht in
Streit geraten.‘ Dann sollte derjenige, den ihr für den Vernünftigsten von der
Gegenseite haltet, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Die
Ehrwürdigen sind unterschiedlicher Ansicht hinsichtlich der Bedeutung, stimmen
aber hinsichtlich der Ausdrucksweise überein. Die Ehrwürdigen sollten wissen,
daß es aus diesem Grund geschieht, daß es Meinungsverschiedenheit über
die Bedeutung, aber Übereinstimmung über die Ausdrucksweise gibt; mögen sie
nicht in Streit geraten.‘ Also sollte das, was falsch verstanden wurde, als falsch
verstanden vergegenwärtigt werden, und das, was richtig verstanden wurde, sollte
als richtig verstanden vergegenwärtigt werden. Während man sich das falsch
Verstandene als falsch verstanden vergegenwärtigt, und sich das richtig Verstandene
als richtig verstanden vergegenwärtigt, sollte dargelegt werden, was Dhamma
ist und was Disziplin ist.“

7. „Falls ihr nun denken solltet: ,Diese Ehrwürdigen stimmen hinsichtlich der
Bedeutung überein, aber sind hinsichtlich der Ausdrucksweise unterschiedlicher
Meinung‘, dann sollte derjenige Bhikkhu, den ihr für den vernünftigeren haltet,
so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Die Ehrwürdigen stimmen
hinsichtlich der Bedeutung überein, aber sind hinsichtlich der Ausdrucksweise
unterschiedlicher Meinung. Die Ehrwürdigen sollten wissen, daß es aus
diesem Grund geschieht, daß es Übereinstimmung über die Bedeutung, aber
Meinungsverschiedenheit über die Ausdrucksweise gibt. Aber die Ausdrucksweise
ist nur eine Geringfügigkeit. Mögen die Ehrwürdigen nicht über eine
Geringfügigkeit in Streit geraten.‘ Dann sollte derjenige, den ihr für den
Verünftigsten von der Gegenseite haltet, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet
werden: ,Die Ehrwürdigen stimmen hinsichtlich der Bedeutung überein,
aber sind hinsichtlich der Ausdrucksweise unterschiedlicher Meinung. Die Ehrwürdigen
sollten wissen, daß es aus diesem Grund geschieht, daß es Übereinstimmung
über die Bedeutung, aber Meinungsverschiedenheit über die Ausdrucksweise
gibt. Aber die Ausdrucksweise ist nur eine Geringfügigkeit. Mögen die Ehrwürdigen
nicht über eine Geringfügigkeit in Streit geraten.‘ Also sollte das, was richtig
verstanden wurde, als richtig verstanden vergegenwärtigt werden, und das, was
falsch verstanden wurde, sollte als falsch verstanden vergegenwärtigt werden.
Während man sich das richtig Verstandene als richtig verstanden vergegenwärtigt,
und sich das falsch Verstandene als falsch verstanden vergegenwärtigt, sollte
dargelegt werden, was Dhamma ist und was Disziplin ist.“

8. „Falls ihr nun denken solltet: ,Diese Ehrwürdigen stimmen sowohl hinsichtlich
der Bedeutung als auch der Ausdrucksweise überein‘, dann sollte derjenige
Bhikkhu, den ihr für den vernünftigeren haltet, so angesprochen und das Wort an
ihn gerichtet werden: ,Die Ehrwürdigen stimmen sowohl hinsichtlich der Bedeutung
als auch der Ausdrucksweise überein. Die Ehrwürdigen sollten wissen, daß
es aus diesem Grund geschieht, daß es Übereinstimmung sowohl über die Bedeutung
als auch über die Ausdrucksweise gibt; mögen die Ehrwürdigen nicht in
Streit geraten.‘ Dann sollte derjenige, den ihr für den Vernünftigsten von der Gegenseite
haltet, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Die Ehrwürdigen
stimmen sowohl hinsichtlich der Bedeutung als auch der Ausdrucksweise
überein. Die Ehrwürdigen sollten wissen, daß es aus diesem Grund geschieht, daß
es Übereinstimmung sowohl über die Bedeutung als auch über die Ausdrucksweise
gibt; mögen die Ehrwürdigen nicht in Streit geraten.‘ Also sollte das, was
richtig verstanden wurde, als richtig verstanden vergegenwärtigt werden. Während
man sich das richtig Verstandene als richtig verstanden vergegenwärtigt, sollte
dargelegt werden, was Dhamma ist und was Disziplin ist.“

9. „Während ihr euch in Eintracht übt, in gegenseitiger Wertschätzung, ohne
Streit, könnte es geschehen, daß irgendein Bhikkhu einen Regelverstoß oder eine
Regelüberschreitung begeht.“

10. „Ihr Bhikkhus, ihr solltet ihn nun nicht übereilt zurechtweisen; diese Person
sollte vielmehr genau beobachtet werden, mit der Erwägung: ,Ich werde nicht
in Unannehmlichkeiten geraten und die andere Person wird nicht verletzt sein;
denn die andere Person läßt sich nicht zu Zorn und Rachegelüsten hinreißen, sie
ist ihrer Ansicht nicht fest verhaftet und verzichtet leicht darauf, und ich kann
diese Person dazu bringen, aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im Heilsamen
verankern.‘ Wenn es euch auf solche Weise klar wird, Bhikkhus, ist es
angemessen zu sprechen.“

11. „Dann könnte euch klar werden: ,Ich werde nicht in Unannehmlichkeiten
geraten, aber die andere Person wird verletzt sein; denn die andere Person läßt
sich zu Zorn und Rachegelüsten hinreißen. Jedoch ist sie ihrer Ansicht nicht fest
verhaftet und verzichtet leicht darauf, und ich kann diese Person dazu bringen,
aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im Heilsamen verankern. Es ist nur
eine Geringfügigkeit, daß die andere Person verletzt sein wird, aber es ist eine
viel gewichtigere Sache, daß ich diese Person dazu bringen kann, aus dem Unheilsamen
herauszutreten und sie im Heilsamen verankern kann.‘ Wenn es euch
auf solche Weise klar wird, Bhikkhus, ist es angemessen zu sprechen.“

12. „Dann könnte euch klar werden: ,Ich werde in Unannehmlichkeiten geraten,
aber die andere Person wird nicht verletzt sein; denn die andere Person läßt
sich nicht zu Zorn und Rachegelüsten hinreißen, obwohl sie ihrer Ansicht fest
verhaftet ist und nur unter Schwierigkeiten darauf verzichtet; und doch kann ich
diese Person dazu bringen, aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im Heilsamen
verankern. Es ist nur eine Geringfügigkeit, daß ich in Unannehmlichkeiten
geraten werde, aber es ist eine viel gewichtigere Sache, daß ich diese Person
dazu bringen kann, aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im Heilsamen
verankern kann.‘ Wenn es euch auf solche Weise klar wird, Bhikkhus, ist es
angemessen zu sprechen.“

13. „Dann könnte euch klar werden: ,Ich werde in Unannehmlichkeiten geraten,
und die andere Person wird verletzt sein; denn die andere Person läßt sich zu
Zorn und Rachegelüsten hinreißen, und sie ist ihrer Ansicht fest verhaftet und
verzichtet nur unter Schwierigkeiten darauf; und doch kann ich diese Person
dazu bringen, aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im Heilsamen verankern.
Es ist nur eine Geringfügigkeit, daß ich in Unannehmlichkeiten geraten
werde und die andere Person verletzt sein wird, aber es ist eine viel gewichtigere
Sache, daß ich diese Person dazu bringen kann, aus dem Unheilsamen herauszutreten
und sie im Heilsamen verankern kann.‘ Wenn es euch auf solche Weise
klar wird, Bhikkhus, ist es angemessen zu sprechen.“

14. „Dann könnte euch klar werden: ,Ich werde in Unannehmlichkeiten geraten,
und die andere Person wird verletzt sein; denn die andere Person läßt sich zu
Zorn und Rachegelüsten hinreißen, und sie ist ihrer Ansicht fest verhaftet und
verzichtet nur unter Schwierigkeiten darauf; und ich kann diese Person nicht
dazu bringen, aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im Heilsamen nicht
verankern.‘ Man sollte Gleichmut gegenüber solch einer Person nicht unterbewerten.“

15. „Während ihr euch in Eintracht übt, in gegenseitiger Wertschätzung, ohne
Streit, könnten sprachliche Reibereien untereinander entstehen, anmaßende Ansichten,
innerer Verdruß, Verbitterung und Niedergeschlagenheit. Dann sollte
derjenige Bhikkhu, den ihr für den Vernünftigsten haltet, von jenen, die die eine
Seite vertreten, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet werden: ,Während
wir uns in Eintracht übten, Freund, in gegenseitiger Wertschätzung, ohne
Streit, da entstanden sprachliche Reibereien unter uns, anmaßende Ansichten,
innerer Verdruß, Verbitterung und Niedergeschlagenheit. Wenn der Große Mönch 2)
das wüßte, würde er es tadeln?‘ Richtigerweise würde der Bhikkhu antworten:
,Während wir uns in Eintracht übten, Freund, in gegenseitiger Wertschätzung,
ohne Streit, da entstanden sprachliche Reibereien unter uns, anmaßende Ansichten,
innerer Verdruß, Verbitterung und Niedergeschlagenheit. Wenn der Große
Mönch das wüßte, er würde es tadeln.‘“
„,Aber, Freund, kann man, ohne diese Sache zu überwinden, Nibbàna verwirklichen?‘
Richtigerweise würde der Bhikkhu antworten: ,Freund, man kann,
ohne diese Sache 3) zu überwinden, Nibbàna nicht verwirklichen.‘“

16. Dann sollte derjenige Bhikkhu, den ihr für den Vernünftigsten haltet, von
jenen, die die Gegenseite vertreten, so angesprochen und das Wort an ihn gerichtet
werden: ,Während wir uns in Eintracht übten, Freund, in gegenseitiger Wertschätzung,
ohne Streit, da entstanden sprachliche Reibereien unter uns, anmaßende
Ansichten, innerer Verdruß, Verbitterung und Niedergeschlagenheit. Wenn der
Große Mönch das wüßte, würde er es tadeln?‘ Richtigerweise würde der Bhikkhu
antworten: ,Während wir uns in Eintracht übten, Freund, in gegenseitiger Wertschätzung,
ohne Streit, da entstanden sprachliche Reibereien unter uns, anmaßende
Ansichten, innerer Verdruß, Verbitterung und Niedergeschlagenheit. Wenn
der Große Mönch das wüßte, er würde es tadeln.‘“
„,Aber, Freund, kann man, ohne diese Sache zu überwinden, Nibbàna verwirklichen?‘
Richtigerweise würde der Bhikkhu antworten: ,Freund, man kann,
ohne diese Sache zu überwinden, Nibbàna nicht verwirklichen.‘“

17. „Wenn andere jenen Bhikkhu fragen sollten: ,War es der Ehrwürdige, der
jene Bhikkhus dazu brachte, aus dem Unheilsamen herauszutreten und sie im
Heilsamen verankerte?‘ so würde der Bhikkhu richtigerweise antworten: ,Freunde,
da ging ich zum Erhabenen. Der Erhabene lehrte mich das Dhamma. Nachdem
ich jenes Dhamma gehört hatte, sprach ich zu jenen Bhikkhus. Die Bhikkhus
hörten jenes Dhamma, und sie traten aus dem Unheilsamen heraus und wurden
im Heilsamen verankert.‘ Wenn der Bhikkhu so antwortet, hebt er sich nicht
selbst heraus und macht andere nicht verächtlich; er antwortet in Übereinstimmung
mit dem Dhamma auf eine Weise, so daß nichts, was einen Grund zum
Tadeln schaffen könnte, berechtigterweise aus seiner Behauptung abgeleitet werden
kann.“
Das ist es, was der Erhabene sagte. Die Bhikkhus waren zufrieden und entzückt
über die Worte des Erhabenen.

Anmerkungen:
1) Das höhere Dhamma (abhidhamma): hiermit ist nicht der gleichnamige dritte
Teil des Pàli-Kanons gemeint, der ja erst mehr als hundert Jahre nach dem
Parinibbàna des Buddha verfaßt wurde. MA sagt, es beziehe sich auf die genannten
37 Erleuchtungsfaktoren.
2) Der Buddha ist gemeint. „Sprachliche Reibereien untereinander“ ist eine Interpretation
von „gegenseitiger sprachlicher Gestaltung“ ( … aññamaññassa
vacïsaòkhàro…).
3) „Diese Sache“ bezieht sich auf Streit; unnötig zu betonen, daß diese Anweisungen
zur Erhaltung und Wiederherstellung von Harmonie innerhalb einer Gemeinschaft,
wenn sie im Laienleben befolgt werden, ebenfalls heilsame Früchte bringen.