MN106 – Der Weg zum Unerschütterlichen

Majjhima Nikàya 106

 

Der Weg zum Unerschütterlichen

(Àneñjasappàya Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene im Land der Kurus, bei
einer Stadt der Kurus namens Kammàsadhamma auf. Dort richtete sich der Erhabene
folgendermaßen an die Bhikkhus: „Ihr Bhikkhus.“ – „Ehrwürdiger Herr“,
erwiderten sie. Der Erhabene sagte dieses:

2. „Ihr Bhikkhus, Sinnesvergnügen sind vergänglich, hohl, falsch, trügerisch;
sie sind nur Schein, ihr Bhikkhus, die Unterhaltung von Narren. Sinnesvergnügen
hier und jetzt und Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen
hier und jetzt und Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben – beide sind gleichermaßen
Màras Gebiet, Màras Reich, Màras Köder, Màras Jagdgrund. Ihretwegen
entstehen diese üblen, unheilsamen Geisteszustände, wie Habgier,
Übelwollen und Anmaßung, und sie stellen ein Hemmnis für einen edlen Schüler
in der Übung dar 1).“

Das Unerschütterliche
3. „Da, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler folgendes: ,Sinnesvergnügen hier
und jetzt und Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen hier
und jetzt und Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben – beide sind gleichermaßen
Màras Gebiet, Màras Reich, Màras Köder, Màras Jagdgrund. Ihretwegen
entstehen diese üblen, unheilsamen Geisteszustände, wie Habgier, Übelwollen
und Anmaßung, und sie stellen ein Hemmnis für einen edlen Schüler in der Übung
dar. Angenommen, ich verweilte mit einem erweiterten und erhöhten Herzen,
nachdem ich die Welt transzendiert und einen festen Entschluß mit dem Geist
gefaßt habe. Wenn ich so verfahre, wird es keine üblen, unheilsamen Geisteszustände,
wie Habgier, Übelwollen und Anmaßung mehr in mir geben, und mit
deren Überwindung wird mein Geist unbegrenzt, unermeßlich und wohl entfaltet
sein.‘ Wenn er auf diese Weise übt und häufig so verweilt, erlangt sein Geist
Zuversicht in Bezug auf diese Grundlage. Sobald volle Zuversicht vorhanden ist,
erlangt er entweder gleich das Unerschütterliche oder ansonsten entschließt er
sich zur Weisheit 2). Bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, ist es möglich,
daß dieses sein weiterführendes Bewußtsein zum Unerschütterlichen weitergeht.
Dies, ihr Bhikkhus, wird als der erste Weg, der auf das Unerschütterliche
ausgerichtet ist, verkündet.“

4. „Wiederum, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler so: ,Sinnesvergnügen
hier und jetzt und Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen
hier und jetzt und Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben; was es auch immer
an materieller Form gibt, jegliche materielle Form besteht aus den vier großen
Elementen und materielle Form stammt von den vier großen Elementen ab 3).‘
Wenn er auf diese Weise übt und häufig so verweilt, erlangt sein Geist Zuversicht
in Bezug auf diese Grundlage. Sobald volle Zuversicht vorhanden ist, erlangt
er entweder auf der Stelle das Unerschütterliche oder ansonsten entschließt
er sich zur Weisheit. Bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, ist es möglich,
daß dieses sein weiterführendes Bewußtsein zum Unerschütterlichen weitergeht.
Dies, ihr Bhikkhus, wird als der zweite Weg, der auf das Unerschütterliche
ausgerichtet ist, verkündet.“

5. „Wiederum, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler so: ,Sinnesvergnügen
hier und jetzt und Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen
hier und jetzt und Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben, materielle Formen
hier und jetzt und materielle Formen in künftigen Leben, Wahrnehmungen von
Formen hier und jetzt und Wahrnehmungen von Formen in künftigen Leben –
beide sind vergänglich. Was vergänglich ist, ist es nicht wert, sich daran zu ergötzen,
nicht wert, es willkommen zu heißen, nicht wert, daran festzuhalten.‘ Wenn
er auf diese Weise übt und häufig so verweilt, erlangt sein Geist Zuversicht in
Bezug auf diese Grundlage. Sobald volle Zuversicht vorhanden ist, erlangt er
entweder gleich das Unerschütterliche oder ansonsten entschließt er sich zur
Weisheit. Bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, ist es möglich, daß
dieses sein weiterführendes Bewußtsein zum Unerschütterlichen weitergeht. Dies,
ihr Bhikkhus, wird als der dritte Weg, der auf das Unerschütterliche ausgerichtet
ist, verkündet.“

Das Nichtsheitsgebiet
6. „Wiederum, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler so: ,Sinnesvergnügen hier
und jetzt und Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen hier
und jetzt und Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben, materielle Formen hier
und jetzt und materielle Formen in künftigen Leben, Wahrnehmungen von Formen
hier und jetzt und Wahrnehmungen von Formen in künftigen Leben, und
Wahrnehmungen des Unerschütterlichen – sie alle sind Wahrnehmungen. Wo
diese Wahrnehmungen ohne Überbleibsel aufhören, das ist das Friedvolle, das
ist das Erhabene, nämlich das Nichtsheitsgebiet.‘ Wenn er auf diese Weise übt
und häufig so verweilt, erlangt sein Geist Zuversicht in Bezug auf diese Grundlage.
Sobald volle Zuversicht vorhanden ist, erlangt er entweder gleich das
Nichtsheitsgebiet oder ansonsten entschließt er sich zur Weisheit. Bei der Auflösung
des Körpers, nach dem Tode, ist es möglich, daß dieses sein weiterführendes
Bewußtsein zum Nichtsheitsgbiet weitergeht. Dies, ihr Bhikkhus, wird als
der erste Weg, der auf das Nichtsheitsgebiet ausgerichtet ist, verkündet.“

7. „Wiederum, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler, der sich in den Wald
oder an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Hütte zurückgezogen hat, so:
,Dies ist leer von einem Selbst oder was einem Selbst gehört.‘ Wenn er auf diese
Weise übt und häufig so verweilt, erlangt sein Geist Zuversicht in Bezug auf
diese Grundlage. Sobald volle Zuversicht vorhanden ist, erlangt er entweder gleich
das Nichtsheitsgebiet oder ansonsten entschließt er sich zur Weisheit. Bei der
Auflösung des Körpers, nach dem Tode, ist es möglich, daß dieses sein weiterführendes
Bewußtsein zum Nichtsheitsgebiet weitergeht. Dies, ihr Bhikkhus, wird

als der zweite Weg, der auf das Nichtsheitsgebiet ausgerichtet ist, verkündet.“
8. „Wiederum, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler so: ,Ich bin nichts, was
irgendjemandem irgendwo gehören könnte, auch gibt es nichts in irgendjemandem
irgendwo, was mir gehören könnte 4).‘ Wenn er auf diese Weise übt und häufig so
verweilt, erlangt sein Geist Zuversicht in Bezug auf diese Grundlage. Sobald
volle Zuversicht vorhanden ist, erlangt er entweder gleich das Nichtsheitsgebiet
oder ansonsten entschließt er sich zur Weisheit. Bei der Auflösung des Körpers,
nach dem Tode, ist es möglich, daß dieses sein weiterführendes Bewußtsein zum
Nichtsheitsgebiet weitergeht. Dies, ihr Bhikkhus, wird als der dritte Weg, der auf
das Nichtsheitsgebiet ausgerichtet ist, verkündet.“

Das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung
9. „Wiederum, ihr Bhikkhus, erwägt ein edler Schüler so: ,Sinnesvergnügen hier
und jetzt und Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen hier
und jetzt und Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben, materielle Formen hier
und jetzt und materielle Formen in künftigen Leben, Wahrnehmungen von Formen
hier und jetzt und Wahrnehmungen von Formen in künftigen Leben, Wahrnehmungen
des Unerschütterlichen und Wahrnehmungen des Nichtsheitsgebiets
– sie alle sind Wahrnehmungen. Wo diese Wahrnehmungen ohne Überbleibsel
aufhören, das ist das Friedvolle, das ist das Erhabene, nämlich das Gebiet von
Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung.‘ Wenn er auf diese Weise übt
und häufig so verweilt, erlangt sein Geist Zuversicht in Bezug auf diese Grundlage.
Sobald volle Zuversicht vorhanden ist, erlangt er entweder gleich das Gebiet
von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung oder ansonsten
entschließt er sich zur Weisheit. Bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode,
ist es möglich, daß dieses sein weiterführendes Bewußtsein zum Gebiet von
Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung weitergeht. Dies, ihr Bhikkhus,
wird als der Weg, der auf das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung
ausgerichtet ist, verkündet.“

Nibbàna
10. Nach diesen Worten sagte der ehrwürdige ânanda zum Erhabenen: „Ehrwürdiger
Herr, da übt ein Bhikkhu so: ,Es ist vielleicht nicht, es ist vielleicht nicht
mein; es wird nicht werden und es wird nicht mein werden. Was existiert, was
entstanden ist, das überwinde ich 5).‘ So gewinnt er Gleichmut. Ehrwürdiger Herr,
erlangt solch ein Bhikkhu Nibbàna?“
„Ein Bhikkhu hier, ânanda, könnte Nibbàna erlangen, ein anderer Bhikkhu
hier würde Nibbàna vielleicht nicht erlangen.“
„Was ist die Ursache und Bedingung dafür, ehrwürdiger Herr, weshalb ein
Bhikkhu hier Nibbàna erlangen könnte, während ein anderer Bhikkhu Nibbàna
vielleicht nicht erlangen würde?“
„ânanda, da übt ein Bhikkhu so: ,Es ist vielleicht nicht, es ist vielleicht nicht
mein; es wird nicht werden und es wird nicht mein werden. Was existiert, was
entstanden ist, das überwinde ich.‘ So gewinnt er Gleichmut. Er ergötzt sich an
jenem Gleichmut, heißt ihn willkommen und hält sich daran fest. Während er
das tut, gerät sein Bewußtsein in Abhängigkeit davon und haftet daran an. Ein
Bhikkhu, ânanda, der von Anhaftung betroffen ist, erlangt Nibbàna nicht.“

11. „Aber, ehrwürdiger Herr, wenn jener Bhikkhu anhaftet, woran haftet er?“
„Am Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung, ânanda.“
„Wenn jener Bhikkhu anhaftet, ehrwürdiger Herr, so scheint es, daß er am
besten Objekt der Anhaftung haftet.“
„Wenn jener Bhikkhu anhaftet, ânanda, so haftet er am besten Objekt der
Anhaftung, nämlich dem Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung.“

12. „ânanda, da übt ein Bhikkhu so: , Es ist vielleicht nicht, es ist vielleicht
nicht mein; es wird nicht werden und es wird nicht mein werden. Was existiert,
was entstanden ist, das überwinde ich.‘ So gewinnt er Gleichmut. Er ergötzt sich
nicht an jenem Gleichmut, heißt ihn nicht willkommen und hält sich nicht daran
fest. Weil er das nicht tut, gerät sein Bewußtsein nicht in Abhängigkeit davon
und haftet nicht daran an. Ein Bhikkhu, ânanda, der von Anhaftung frei ist, erlangt
Nibbàna.“

13. „Es ist wunderbar, ehrwürdiger Herr, es ist erstaunlich! Der Erhabene hat
uns in der Tat erklärt, wie man den Strom überquert, in Abhängigkeit von der
jeweiligen Grundlage. Aber, ehrwürdiger Herr, was ist die edle Erlösung?“
„ânanda, da erwägt ein edler Schüler so: ,Sinnesvergnügen hier und jetzt und
Sinnesvergnügen in künftigen Leben, Sinneswahrnehmungen hier und jetzt und
Sinneswahrnehmungen in künftigen Leben, materielle Formen hier und jetzt und
materielle Formen in künftigen Leben, Wahrnehmungen von Formen hier und
jetzt und Wahrnehmungen von Formen in künftigen Leben, Wahrnehmungen des
Unerschütterlichen, Wahrnehmungen des Nichtsheitsgebiets und Wahrnehmungen
des Gebiets von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung – dies ist
Persönlichkeit, soweit sich Persönlichkeit erstreckt. Dies ist das Todlose, nämlich
die Erlösung des Geistes durch Nicht-Anhaften 6).“

14. „Somit, ânanda, habe ich den Weg gelehrt, der auf das Unerschütterliche
ausgerichtet ist, ich habe den Weg gelehrt, der auf das Nichtsheitsgebiet ausgerichtet
ist, ich habe den Weg gelehrt, der auf das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-
noch-Nichtwahrnehmung ausgerichtet ist, ich habe erklärt, wie man den
Strom überquert, in Abhängigkeit von der jeweiligen Grundlage, ich habe edle
Erlösung gelehrt.“

15. „Was ein Lehrer, der auf das Wohlergehen seiner Schüler aus ist und Mitgefühl
für sie hat, aus Mitgefühl für seine Schüler tun sollte, das habe ich für
euch getan, ânanda. Dort sind Bäume, dort sind leere Hütten. Meditiere, ânanda,
sei nicht nachlässig, oder du wirst es später bereuen. Dies ist unsere Anweisung
an dich.“
Dies ist es, was der Erhabene sagte. Der ehrwürdige ânanda war zufrieden und
entzückt über die Worte des Erhabenen.

Anmerkungen:
1) Man muß sich beim Lesen der Lehrreden immer vergegenwärtigen, an wen die
Rede jeweils gerichtet war. Hier werden offensichtlich edle Schüler angesprochen,
die das Dhamma bereits selbst gesehen haben; ihrer bereits vorhandenen
Weisheit soll zum endgültigen Durchbruch verholfen werden. Wenn sich ein
Weltling bemüht, eine derartige Sichtweise einzunehmen, kann es sein, daß er
nur Frustration und Selbsthaß erntet, weil die Voraussetzungen dafür noch nicht
vorhanden sind.
2) Auch in dieser Lehrrede werden die beiden höchsten meditativen Vertiefungszustände
gesondert aufgeführt. Das „Erlangen von Zuversicht“ ist ein inneres Sich-
Fallenlassen, das mit der Vertiefungspraxis einhergeht, bzw. die Voraussetzung
dafür ist. Die geistige Schärfe, die die vierte Vertiefung oder Höheres ermöglicht,
kann auch zur Einsichtspraxis verwendet werden; das ist das „Entschließen
zur Weisheit“. Sollte „das Unerschütterliche“ nicht zum Durchbruch der Weisheit
führen, so sind die kammischen Faktoren für das Erlangen des betreffenden
Zustands auch maßgeblich für das Wiedererscheinen in den korrespondierenden
Daseinsbereichen.
3) Der Buddha demonstriert, wie Einsicht und Geistesruhe sich gegenseitig bedingen:
das Erwägen der wahren Natur der Sinneswahrnehmungen schafft ein geistiges
Klima, das die Vertiefungen ermöglicht. In Absatz 3 erwägt der edle Schüler
die Gefahr in den Sinnesvergnügen, hier praktiziert er Einsicht indem er die Elemente
kontempliert, in Absatz 5 erwägt er Vergänglichkeit.
4) Die Reflektionen der letzten drei Abschnitte sind die Einsichtsübung eines edlen
Schülers, der das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit beherrscht. Die Betrachtung
wird subtiler und macht auch die Vertiefungsglieder zum Beobachtungsobjekt.
5) BB mutmaßt, daß diese merkwürdige Formulierung von Praktizierenden außerhalb
des Buddhadhamma stammt und vom Buddha mit einer neuen Bedeutung
versehen wurde. Es scheint sich um das Loslassen von Sinnesvergnügen und
Sinneswahrnehmungen zu drehen. Das Loslassen der Dinge, die sich jenseits der
Sinnesvergnügen befinden, ist die höhere Einsichtsübung – das Anhaften an diesen
Dingen der subtilere Fallstrick der Praxis.
6) Die Essenz der Praxis: Erkennen, wie sich Persönlichkeit an den Erlebnissen der
Sinnessphäre, der Sphäre feinstofflicher Form und der formlosen Sphäre festmacht;
Befreiung ist das Ende der Anhaftung an Persönlichkeit.