MN110 – Die kürzere Lehrrede in der Vollmond-Nacht

Majjhima Nikàya 110

Die kürzere Lehrrede in der Vollmond-Nacht
(Cúlapunama Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã, im Östlichen
Park, im Palast von Migàras Mutter auf.

2. Bei jener Gelegenheit, am Uposatha-Tag des Fünfzehnten, in der Vollmond-
Nacht, hatte der Erhabene im Freien Platz genommen, umgeben von der Sangha
der Bhikkhus. Als er da die schweigende Sangha der Bhikkhus ergründete, richtete
er sich folgendermaßen an die Bhikkhus:

3. „Ihr Bhikkhus, würde ein unrechtschaffener Mensch von einem unrechtschaffenen
Menschen wissen, ,Diese Person ist ein unrechtschaffener Mensch‘?“
– „Nein, ehrwürdiger Herr.“ – „Gut, Bhikkhus. Es ist unmöglich, es kann nicht
sein, daß ein unrechtschaffener Mensch von einem unrechtschaffenen Menschen
wissen sollte, ,Diese Person ist ein unrechtschaffener Mensch‘. Aber würde ein
unrechtschaffener Mensch von einem rechtschaffenen Menschen wissen, ,Diese
Person ist ein rechtschaffener Mensch‘?“ – „Nein, ehrwürdiger Herr.“ – „Gut,
ihr Bhikkhus. Es ist unmöglich, es kann nicht sein, daß ein unrechtschaffener
Mensch von einem rechtschaffenen Menschen wissen sollte, ,Diese Person ist
ein rechtschaffener Mensch‘.“

4. „Ihr Bhikkhus, ein unrechtschaffener Mensch ist von unrechtschaffenen
Eigenschaften erfüllt; er hat den Umgang eines unrechtschaffenen Menschen, er
hat das Trachten eines unrechtschaffenen Menschen, er gibt die Ratschläge eines
unrechtschaffenen Menschen, er spricht als unrechtschaffener Mensch, er handelt
als unrechtschaffener Mensch, er hat die Ansichten eines unrechtschaffenen
Menschen und er gibt Geschenke als unrechtschaffener Mensch.“

5. „Und auf welche Weise ist ein unrechtschaffener Mensch von unrechtschaffenen
Eigenschaften erfüllt? Da hat ein unrechtschaffener Mensch kein
Vertrauen, kein Schamgefühl, keine Gewissensscheu; er ist ungelehrig, faul, vergeßlich
und töricht. Auf solche Weise ist ein unrechtschaffener Mensch von
unrechtschaffenen Eigenschaften erfüllt.“

6. „Und auf welche Weise hat ein unrechtschaffener Mensch den Umgang
eines unrechtschaffenen Menschen? Da hat ein unrechtschaffener Mensch jene
Mönche und Brahmanen als Freunde und Gefährten, die kein Vertrauen, kein
Schamgefühl, keine Gewissensscheu haben; die ungelehrig, faul, vergeßlich und
töricht sind. Auf solche Weise hat ein unrechtschaffener Mensch den Umgang
eines unrechtschaffenen Menschen.“

7. „Und auf welche Weise hat ein unrechtschaffener Mensch das Trachten
eines unrechtschaffenen Menschen? Da trachtet ein unrechtschaffener Mensch
nach seinem eigenen Leid, er trachtet nach dem Leid anderer, und er trachtet
nach dem Leid beider. Auf solche Weise hat ein unrechtschaffener Mensch das
Trachten eines unrechtschaffenen Menschen.“

8. „Und auf welche Weise gibt ein unrechtschaffener Mensch die Ratschläge
eines unrechtschaffenen Menschen? Da gibt ein unrechtschaffener Mensch Ratschläge,
die zu seinem eigenen Leid führen, er gibt Ratschläge, die zum Leid
anderer führen, und er gibt Ratschläge, die zum Leid beider führen. Auf solche
Weise gibt ein unrechtschaffener Mensch die Ratschläge eines unrechtschaffenen
Menschen.“

9. „Und auf welche Weise spricht ein unrechtschaffener Mensch als unrechtschaffener
Mensch? Da spricht ein unrechtschaffener Mensch die Unwahrheit,
er spricht gehässig, er gebraucht grobe Worte und schwätzt. Auf solche Weise
spricht ein unrechtschaffener Mensch als unrechtschaffener Mensch.“

10. „Und auf welche Weise handelt ein unrechtschaffener Mensch als unrechtschaffener
Mensch? Da tötet ein unrechtschaffener Mensch lebende Wesen, er
nimmt, was ihm nicht gegeben wurde, und er übt Fehlverhalten bei Sinnesvergnügen.
Auf solche Weise handelt ein unrechtschaffener Mensch als
unrechtschaffener Mensch.“

11. „Und auf welche Weise hat ein unrechtschaffener Mensch die Ansichten
eines unrechtschaffenen Menschen? Da hat ein unrechtschaffener Mensch Ansichten
wie diese: ,Es gibt keine Gaben, nichts Dargebrachtes oder Geopfertes;
keine Frucht oder Ergebnis guter und schlechter Taten; nicht diese Welt, nicht
die andere Welt; keine Mutter, keinen Vater; keine spontan geborenen Wesen;
keine guten und tugendhaften Mönche und Brahmanen auf der Welt, die diese
Welt und die andere Welt durch Verwirklichung mit höherer Geisteskraft erfahren
haben und erläutern.‘ Auf solche Weise hat ein unrechtschaffener Mensch
die Ansichten eines unrechtschaffenen Menschen.

12. „Und auf welche Weise gibt ein unrechtschaffener Mensch Geschenke als
unrechtschaffener Mensch? Da gibt ein unrechtschaffener Mensch ein Geschenk
auf unhöfliche Weise, er gibt es nicht mit eigener Hand, gibt es auf respektlose
Weise, gibt das, was zum Wegwerfen bestimmt ist, gibt es mit der Ansicht, daß
es nicht ankommen werde. Auf solche Weise gibt ein unrechtschaffener Mensch
Geschenke als unrechtschaffener Mensch.“

13. „Jener unrechtschaffene Mensch – auf solche Weise von unrechtschaffenen
Eigenschaften erfüllt, der solcherart den Umgang eines unrechtschaffenen Menschen
hat, der das Trachten eines unrechtschaffenen Menschen hat, der die Ratschläge
eines unrechtschaffenen Menschen gibt, der als unrechtschaffener Mensch
spricht, der als unrechtschaffener Mensch handelt, der die Ansichten eines unrechtschaffenen
Menschen hat und der Geschenke als unrechtschaffener Mensch
gibt – erscheint bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode am Bestimmungsort
unrechtschaffener Menschen wieder. Und was ist der Bestimmungsort
unrechtschaffener Menschen? Das ist die Hölle oder das Tierreich.“

14. „Ihr Bhikkhus, würde ein rechtschaffener Mensch von einem rechtschaf-
fenen Menschen wissen, ,Diese Person ist ein rechtschaffener Mensch‘?“ – „Ja,
ehrwürdiger Herr.“ – „Gut, ihr Bhikkhus. Es ist möglich, daß ein rechtschaffener
Mensch von einem rechtschaffenen Menschen wissen würde, ,Diese Person ist
ein rechtschaffener Mensch‘. Aber würde ein rechtschaffener Mensch von einem
unrechtschaffenen Menschen wissen, ,Diese Person ist ein unrechtschaffener
Mensch‘?“ – „Ja, ehrwürdiger Herr.“ – „Gut, ihr Bhikkhus. Es ist möglich, daß
ein rechtschaffener Mensch von einem unrechtschaffenen Menschen wissen
würde, ,Diese Person ist ein unrechtschaffener Mensch‘.“

15. „Ihr Bhikkhus, ein rechtschaffener Mensch ist von rechtschaffenen Eigenschaften
erfüllt; er hat den Umgang eines rechtschaffenen Menschen, er hat das
Trachten eines rechtschaffenen Menschen, er gibt die Ratschläge eines rechtschaffenen
Menschen, er spricht als rechtschaffener Mensch, er handelt als rechtschaffener
Mensch, er hat die Ansichten eines rechtschaffenen Menschen und er
gibt Geschenke als rechtschaffener Mensch.“

16. „Und auf welche Weise ist ein rechtschaffener Mensch von rechtschaffenen
Eigenschaften erfüllt? Da hat ein rechtschaffener Mensch Vertrauen, Schamgefühl
und Gewissensscheu; er ist gelehrig, voller Energie, achtsam und weise.
Auf solche Weise ist ein rechtschaffener Mensch von rechtschaffenen Eigenschaften
erfüllt.“

17. „Und auf welche Weise hat ein rechtschaffener Mensch den Umgang eines
rechtschaffenen Menschen? Da hat ein rechtschaffener Mensch jene Mönche
und Brahmanen als Freunde und Gefährten, die Vertrauen, Schamgefühl und
Gewissensscheu haben; die gelehrig, voller Energie, achtsam und weise sind.
Auf solche Weise hat ein rechtschaffener Mensch den Umgang eines rechtschaffenen
Menschen.“

18. „Und auf welche Weise hat ein rechtschaffener Mensch das Trachten eines
rechtschaffenen Menschen? Da trachtet ein rechtschaffener Mensch nicht nach
seinem eigenen Leid, er trachtet nicht nach dem Leid anderer, und er trachtet
nicht nach dem Leid beider. Auf solche Weise hat ein rechtschaffener Mensch
das Trachten eines rechtschaffenen Menschen.“

19. „Und auf welche Weise gibt ein rechtschaffener Mensch die Ratschläge
eines rechtschaffenen Menschen? Da gibt ein rechtschaffener Mensch keine Ratschläge,
die zu seinem eigenen Leid führen, er gibt keine Ratschläge, die zum
Leid anderer führen, und er gibt keine Ratschläge, die zum Leid beider führen.
Auf solche Weise gibt ein rechtschaffener Mensch die Ratschläge eines rechtschaffenen
Menschen.“

20. „Und auf welche Weise spricht ein rechtschaffener Mensch als rechtschaffener
Mensch? Da enthält sich ein rechtschaffener Mensch davon, die Unwahrheit
zu sprechen, er enthält sich davon, gehässig zu sprechen, er enthält sich
davon, grobe Worte zu gebrauchen, und er enthält sich davon zu schwätzen. Auf
solche Weise spricht ein rechtschaffener Mensch als rechtschaffener Mensch.“

21. „Und auf welche Weise handelt ein rechtschaffener Mensch als rechtschaffener
Mensch? Da enthält sich ein rechtschaffener Mensch davon, lebende We-
sen zu töten, er enthält sich davon, zu nehmen, was ihm nicht gegeben wurde,
und er enthält sich davon, Fehlverhalten bei Sinnesvergnügen zu üben. Auf solche
Weise handelt ein rechtschaffener Mensch als rechtschaffener Mensch.“

22. „Und auf welche Weise hat ein rechtschaffener Mensch die Ansichten eines
rechtschaffenen Menschen? Da hat ein rechtschaffener Mensch Ansichten
wie diese: ,Es gibt Gaben, Dargebrachtes und Geopfertes; es gibt Frucht und
Ergebnis guter und schlechter Taten; es gibt diese Welt und die andere Welt; es
gibt Mutter und Vater; es gibt spontan geborene Wesen; es gibt gute und tugendhafte
Mönche und Brahmanen auf der Welt, die diese Welt und die andere Welt
durch Verwirklichung mit höherer Geisteskraft erfahren haben und erläutern.‘
Auf solche Weise hat ein rechtschaffener Mensch die Ansichten eines rechtschaffenen
Menschen.“

23. „Und auf welche Weise gibt ein rechtschaffener Mensch Geschenke als
rechtschaffener Mensch? Da gibt ein rechtschaffener Mensch ein Geschenk auf
höfliche Weise, er gibt es mit eigener Hand, gibt es auf respektvolle Weise, gibt
ein reines Geschenk, gibt es mit der Ansicht, daß es ankommen werde. Auf solche
Weise gibt ein rechtschaffener Mensch Geschenke als rechtschaffener
Mensch.“

24. „Jener rechtschaffene Mensch – auf solche Weise von rechtschaffenen
Eigenschaften erfüllt, der solcherart den Umgang eines rechtschaffenen Menschen
hat, der das Trachten eines rechtschaffenen Menschen hat, der die Ratschläge
eines rechtschaffenen Menschen gibt, der als rechtschaffener Mensch
spricht, er als rechtschaffener Mensch handelt, der die Ansichten eines rechtschaffenen
Menschen vertritt und der Geschenke als rechtschaffener Mensch gibt
– erscheint bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode am Bestimmungsort
rechtschaffener Menschen wieder. Und was ist der Bestimmungsort rechtschaffener
Menschen? Das ist Größe unter den Himmelswesen oder Größe unter den
Menschen.“
Das ist es, was der Erhabene sagte. Die Bhikkhus waren zufrieden und entzückt
über die Worte des Erhabenen.