MN131 – Eine glücksverheißende Nacht

Majjhima Nikàya 131

Eine glücksverheißende Nacht
(Bhaddekaratta Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã im Jeta Hain,
dem Park des Anàthapindika auf. Dort richtete er sich folgendermaßen an die
Bhikkhus: „Ihr Bhikkhus.“ – „Ehrwürdiger Herr“, erwiderten sie. Der Erhabene
sagte dieses:

2. „Ihr Bhikkhus, ich werde euch die Zusammenfassung und Darlegung von
,Einer, der eine glücksverheißende Nacht hatte‘ lehren. Hört zu und verfolgt aufmerksam,
was ich sagen werde.“ – „Ja, ehrwürdiger Herr“, erwiderten die
Bhikkhus. Der Erhabene sagte dieses:

3. „Man lass’ Vergangenes nicht aufersteh’n,
Auf Künftiges man nicht die Hoffnung bau’;
Denn das Vergangene liegt hinter uns,
Das Künftige ist noch nicht angelangt.
Statt dessen, einsichtsvoll erkenne man,
Was in der Gegenwart entstanden ist;
Man wisse es und sicher sei man sich,
Unüberwältigt, unerschütterlich.
Die Anstrengung, erfolgen muß sie heut’;
Vielleicht kommt morgen schon der Tod, wer weiß?
Nicht Schachern kann man mit der Sterblichkeit,
Nicht hält’s den Tod und seine Horden fern,
Doch einer, der da voller Eifer weilt,
Ganz ohne nachzulassen, Tag und Nacht –
Er ist es, so der Buddha1) hat’s gesagt,
Mit einer Nacht2), die ihm nur Glück verheißt.“

4. „Auf welche Weise, ihr Bhikkhus, läßt man Vergangenes auferstehen? Während
man denkt ,Ich hatte solche Form in der Vergangenheit‘, ergötzt man sich
daran3). Während man denkt ,Ich hatte solche Gefühle in der Vergangenheit‘,
ergötzt man sich daran. Während man denkt ,Ich hatte solche Wahrnehmung in
der Vergangenheit‘, ergötzt man sich daran. Während man denkt ,Ich hatte solche
Gestaltungen in der Vergangenheit‘, ergötzt man sich daran. Während man
denkt ,Ich hatte solches Bewußtsein in der Vergangenheit‘, ergötzt man sich daran.
Auf solche Weise läßt man Vergangenes auferstehen.“

5. „Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, läßt man Vergangenes nicht auferstehen?
Während man denkt ,Ich hatte solche Form in der Vergangenheit‘, er-
götzt man sich nicht daran4). Während man denkt ,Ich hatte solche Gefühle in der
Vergangenheit‘, ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt ,Ich hatte solche
Wahrnehmung in der Vergangenheit‘, ergötzt man sich nicht daran. Während
man denkt ,Ich hatte solche Gestaltungen in der Vergangenheit‘, ergötzt man
sich nicht daran. Während man denkt ,Ich hatte solches Bewußtsein in der Vergangenheit‘,
ergötzt man sich nicht daran. Auf solche Weise läßt man Vergangenes
nicht auferstehen.“

6. „Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, baut man seine Hoffnung auf Künftiges?
Während man denkt ,Vielleicht habe ich solche Form in der Zukunft‘,
ergötzt man sich daran. Während man denkt ,Vielleicht habe ich solche Gefühle
in der Zukunft‘, ergötzt man sich daran. Während man denkt ,Vielleicht habe ich
solche Wahrnehmung in der Zukunft‘, ergötzt man sich daran. Während man
denkt ,Vielleicht habe ich solche Gestaltungen in der Zukunft‘, ergötzt man sich
daran. Während man denkt ,Vielleicht habe ich solches Bewußtsein in der Zukunft‘,
ergötzt man sich daran. Auf solche Weise baut man seine Hoffnung auf
Künftiges.“

7. „Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, baut man nicht seine Hoffnung auf
Künftiges? Während man denkt ,Vielleicht habe ich solche Form in der Zukunft‘,
ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt ,Vielleicht habe ich solche
Gefühle in der Zukunft‘, ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt ,Vielleicht
habe ich solche Wahrnehmung in der Zukunft‘, ergötzt man sich nicht
daran. Während man denkt ,Vielleicht habe ich solche Gestaltungen in der Zukunft‘,
ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt ,Vielleicht habe ich
solches Bewußtsein in der Zukunft‘, ergötzt man sich nicht daran. Auf solche
Weise baut man nicht seine Hoffnung auf Künftiges.“

8. „Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, ist man in Bezug auf gegenwärtig
entstandene Zustände überwältigt? Ihr Bhikkhus, ein nicht unterrichteter Weltling,
der die Edlen nicht beachtet und in ihrem Dhamma nicht bewandert und geschult
ist, der aufrechte Menschen nicht beachtet und in ihrem Dhamma nicht bewandert
und geschult ist, betrachtet da Form als Selbst, oder Selbst als Form besitzend,
oder Form als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Form enthalten. Er
betrachtet Gefühl als Selbst, oder Selbst als Gefühl besitzend, oder Gefühl als im
Selbst enthalten, oder Selbst als im Gefühl enthalten. Er betrachtet Wahrnehmung
als Selbst, oder Selbst als Wahrnehmung besitzend, oder Wahrnehmung
als im Selbst enthalten, oder Selbst als in der Wahrnehmung enthalten. Er betrachtet
Gestaltungen als Selbst, oder Selbst als Gestaltungen besitzend, oder
Gestaltungen als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Gestaltungen enthalten.
Er betrachtet Bewußtsein als Selbst, oder Selbst als Bewußtsein besitzend, oder
Bewußtsein als im Selbst enthalten, oder Selbst als im Bewußtsein enthalten.
Auf solche Weise ist man in Bezug auf gegenwärtig entstandene Zustände überwältigt.“

9. „Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, ist man in Bezug auf gegenwärtig
entstandene Zustände unüberwältigt? Ihr Bhikkhus, ein wohlunterrichteter edler
Schüler, der die Edlen beachtet und in ihrem Dhamma bewandert und geschult
ist, der aufrechte Menschen beachtet und in ihrem Dhamma bewandert und geschult
ist, betrachtet da Form nicht als Selbst, oder Selbst als Form besitzend,
oder Form als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Form enthalten. Er betrachtet
Gefühl nicht als Selbst, oder Selbst als Gefühl besitzend, oder Gefühl als im
Selbst enthalten, oder Selbst als im Gefühl enthalten. Er betrachtet Wahrnehmung
nicht als Selbst, oder Selbst als Wahrnehmung besitzend, oder Wahrnehmung
als im Selbst enthalten, oder Selbst als in der Wahrnehmung enthalten. Er
betrachtet Gestaltungen nicht als Selbst, oder Selbst als Gestaltungen besitzend,
oder Gestaltungen als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Gestaltungen enthalten.
Er betrachtet Bewußtsein nicht als Selbst, oder Selbst als Bewußtsein
besitzend, oder Bewußtsein als im Selbst enthalten, oder Selbst als im Bewußtsein
enthalten. Auf solche Weise ist man in Bezug auf gegenwärtig entstandene
Zustände unüberwältigt.“

10. „Man lass‘ Vergangenes nicht aufersteh’n,
Auf Künftiges man nicht die Hoffnung bau’;
Denn das Vergangene liegt hinter uns,
Das Künftige ist noch nicht angelangt.
Statt dessen, einsichtsvoll erkenne man,
Was in der Gegenwart entstanden ist;
Man wisse es und sicher sei man sich,
Unüberwältigt, unerschütterlich.
Die Anstrengung, erfolgen muß sie heut’;
Vielleicht kommt morgen schon der Tod, wer weiß?
Nicht Schachern kann man mit der Sterblichkeit,
Nicht hält’s den Tod und seine Horden fern,
Doch einer, der da voller Eifer weilt,
Ganz ohne nachzulassen, Tag und Nacht –
Er ist es, so der Buddha hat’s gesagt,
Mit einer Nacht, die ihm nur Glück verheißt.“

11. „Also geschah es in Bezug auf dieses, daß gesagt wurde: ,Ihr Bhikkhus, ich
werde euch die Zusammenfassung und Darlegung von ›Einer, der eine glücksverheißende
Nacht hatte‹ lehren.‘“
Das ist es was der Erhabene sagte. Die Bhikkhus waren zufrieden und entzückt
über die Worte des Erhabenen.

Anmerkungen:
1) Santo muni, der „friedvolle Weise“ oder „der schweigende Weise“ („einer, in
dem die Triebe schweigen“) ist eine Bezeichnung für den Buddha. Aus metrischen
Gründen wurde hier einfach „der Buddha“ eingefügt.
2) Ratta ist ein zweideutiger Ausdruck im Pàli, der entweder auf die Sanskrit
äquivalente ràtra (Nacht) oder rakta (Vorliebe, Verliebtheit) zurückführbar ist.
In der ersten Auflage der englischen Fassung wird bhaddekaratta mit „one
fortunate attachment“ übersetzt. Nachdem BB Ajahn Thanissaro, das Zentralasiatische
Sanskritmanuskript und die tibetische Version konsultiert hatte, änderte
er die Übersetzung in „one excellent night“ für die zweite und folgende
Auflagen. Diese Übersetzung profitiert von BB‘s neuesten Erkenntnissen.
3) Nicht das bloße Erinnern ist das Problem, sondern das Begehren, das damit einhergeht.
BB merkt an, daß sich hier die Lehre des Buddha von der Krishnamurtis
deutlich unterscheide; letzterer scheine die Erinnerung selbst als den Bösewicht
zu betrachten.
4) Alternativ könnte übersetzt werden: „Man ergötzt sich nicht daran, indem man
denkt ,Ich hatte solche Form in der Vergangenheit‘.“ Das heißt, diese Gedanken
tauchen erst gar nicht auf. Aus dem Pàli läßt sich das nicht eindeutig ableiten. Für
die Kernaussage ist dieses Problem jedoch nicht von Belang; es geht um Ansichten
und Begehren, bzw. die Abwesenheit davon in Bezug auf die Daseinsgruppen.