MN23 – Der Ameisenhaufen

Majjhima Nikàya 23

 

Der Ameisenhaufen (Vammïka Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã im Jeta Hain, dem Park des Anàthapindika auf. Bei jener Gelegenheit hielt sich der ehrwürdige Kumàra Kassapa 1) im Hain der Blinden Männer auf. Zu fortgeschrittener Nacht trat ein bestimmtes Himmelswesen von eindrucksvoller Erscheinung, das den gesamten Hain der Blinden Männer erhellte, an den ehrwürdigen Kumàra Kassapa heran und stand zur Seite 2). So zur Seite stehend, sagte das Himmelswesen zu ihm:

2. „Bhikkhu, Bhikkhu, dieser Ameisenhaufen qualmt in der Nacht und steht am Tag in Flammen.“ „So sprach der Brahmane: ,Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise eine Schranke: ,Eine Schranke, o ehrwürdiger Herr.‘“
„So sprach der Brahmane: ,Wirf die Schranke hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise eine Kröte: ,Eine Kröte, oh ehrwürdiger Herr.‘“
„So sprach der Brahmane: ,Wirf die Kröte hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise eine Gabel: ,Eine Gabel, o ehrwürdiger Herr.‘“ „So sprach der Brahmane: ,Wirf die Gabel hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise ein Sieb: ,Ein Sieb, o ehrwürdiger Herr.‘“
„So sprach der Brahmane: ,Wirf das Sieb hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise eine Schildkröte: ,Eine Schildkröte, o ehrwürdiger Herr.‘“ „So sprach der Brahmane: ,Wirf die Schildkröte hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise eine Axt und einen Hackstock: ,Eine Axt und ein Hackstock, o ehrwürdiger Herr.‘“
„So sprach der Brahmane: ,Wirf die Axt und den Hackstock hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise ein Stück Fleisch: ,Ein Stück Fleisch, o ehrwürdiger Herr.‘“
„So sprach der Brahmane: ,Wirf das Stück Fleisch hinaus; bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Während er mit dem Messer bohrte, sah der Weise eine Nàga-Schlange: ,Eine Nàga-Schlange, o ehrwürdiger Herr.‘“
„So sprach der Brahmane: ,Laß die Nàga-Schlange in Ruhe; behellige die Nàga-Schlange nicht; ehre die Nàga-Schlange.‘“
„Bhikkhu, du solltest zum Erhabenen gehen und ihn zu diesem Rätsel befragen. So wie der Erhabene es dir erklärt, so solltest du es dir merken. Bhikkhu, außer dem Tathàgata oder einem Schüler des Tathàgata oder einem, der es von ihm gelernt hat, sehe ich keinen in dieser Welt mit ihren Màras und Brahmàs, in dieser Generation mit ihren Mönchen und Brahmanen, ihren Prinzen und dem Volk, dessen Deutung dieses Rätsels den Geist zufriedenstellen würde.“ Das ist es, was von dem Himmelswesen gesagt wurde, das anschließend auf auf der Stelle verschwand.

3. Als die Nacht vorüber war ging der ehrwürdige Kumàra Kassapa zum Erhabenen. Nachdem er ihm gehuldigt hatte, setzte er sich seitlich nieder und erzählte dem Erhabenen, was vorgefallen war. Dann fragte er: „Ehrwürdiger Herr, was ist der Ameisenhaufen, was ist das Qualmen in der Nacht, was ist das in Flammen Stehen am Tage? Wer ist der Brahmane, wer ist der Weise? Was ist das Messer, was ist das Bohren, was ist die Schranke, was ist die Kröte, was ist die Gabel, was ist das Sieb, was ist die Schildkröte, was ist die Axt und der Hackstock, was ist das Stück Fleisch, was ist die Nàga-Schlange?“

4. „Bhikkhu, der Ameisenhaufen ist ein Symbol für diesen Körper, der sich aus den vier großen Elementen zusammensetzt, von Mutter und Vater gezeugt wurde, mittels gekochtem Reis und Brot aufgebaut wurde, und der der Vergänglichkeit, der Abnutzung und dem Abrieb, der Auflösung und dem Verfall unterworfen ist.“ „Das Nachdenken und Nachsinnen in der Nacht, auf den Handlungen des Tages beruhend, das ist das ,Qualmen in der Nacht‘.“ „Die Handlungen, die man während des Tages mit Körper, Sprache und Geist begeht, nach dem Nachdenken und Nachsinnen in der Nacht, das ist das ,in Flammen Stehen am Tage‘.“ „Der Brahmane ist ein Symbol für den Tathàgata, den Verwirklichten und vollständig Erleuchteten. Der Weise ist ein Symbol für einen Bhikkhu in höherer Schulung. Das Messer ist ein Symbol für edle Weisheit. Das Bohren ist ein Symbol für das Aufbringen von Energie.“ „Die Schranke ist ein Symbol für Unwissenheit. ,Wirf die Schranke hinaus: überwinde Unwissenheit. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Die Kröte ist ein Symbol für Verzweiflung, die auf Zorn beruht. ,Wirf die Kröte hinaus: überwinde Verzweiflung, die auf Zorn beruht. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Die Gabel ist ein Symbol für Zweifel. ,Wirf die Gabel hinaus: überwinde den Zweifel. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Das Sieb ist ein Symbol für die fünf Hindernisse, nämlich das Hindernis der Sinnesgier, das Hindernis des Übelwollens, das Hindernis von Trägheit und Mattheit, das Hindernis von Rastlosigkeit und Gewissensunruhe und das Hindernis des Zweifels. ,Wirf das Sieb hinaus: überwinde die fünf Hindernisse. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Die Schildkröte ist ein Symbol für die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, nämlich die Daseinsgruppe der Form, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe des Gefühls, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe der Wahrnehmung, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe der Gestaltungen, an der angehaftet wird, und die Daseinsgruppe des Bewußtseins, an der angehaftet wird. ,Wirf die Schildkröte hinaus: gib die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, auf. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Die Axt und der Hackstock ist ein Symbol für die fünf Stränge sinnlichen Vergnügens – Formen, die mit dem Auge erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; Klänge, die mit dem Ohr erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; Gerüche, die mit der Nase erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; Geschmäcker, die mit der Zunge erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; Berührungsobjekte, die mit dem Körper erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen. ,Wirf die Axt und den Hackstock hinaus: gib die fünf Stränge sinnlichen Vergnügens auf. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Das Stück Fleisch ist ein Symbol für Ergötzen und Begierde. ,Wirf das Stück Fleisch hinaus: überwinde Ergötzen und Begierde. Bohre mit dem Messer, du Weiser.‘ Dies ist die Bedeutung.“ „Die Nàga-Schlange ist ein Symbol für einen Bhikkhu, der die Triebe vernichtet hat. ,Laß die Nàga-Schlange in Ruhe; behellige die Nàga-Schlange nicht; ehre die Nàga-Schlange.‘ Dies ist die Bedeutung.“ Das ist es, was der Erhabene sagte. Der ehrwürdige Kumàra Kassapa war zufrieden und entzückt über die Worte des Erhabenen.

Anmerkungen:
1) Einer in höherer Schulung, der diese Lehrrede als Objekt für die Kontemplation benutzte und Arahantschaft erlangte.
2) Laut MA war das Himmelswesen, ein Nichtwiederkehrer aus den Reinen Bereichen, ein früherer Dhammagefährte des Bhikkhus.