MN37 – Die kürzere Lehrrede über die Vernichtung des Begehrens

Majjhima Nikàya 37

 

Die kürzere Lehrrede über die Vernichtung des

Begehrens (Cúlatanhàsankhaya Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã, im Östlichen Park, im Palast von Migàras Mutter auf.

2. Da ging Sakka, der Herrscher der Götter 1) zum Erhabenen, und nachdem er ihm gehuldigt hatte, stand er zur Seite und fragte: „Ehrwürdiger Herr, kurz gefaßt, auf welche Weise ist ein Bhikkhu durch die Vernichtung des Begehrens befreit, ist er einer, der den letztendlichen Zweck, die letztendliche Sicherheit vor dem Gefesseltsein, das letztendliche heilige Leben, das letztendliche Ziel erreicht hat, einer der die erste Stelle unter den Göttern und Menschen einnimmt?“

3. „Herrscher der Götter, da hat ein Bhikkhu vernommen, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind. Wenn ein Bhikkhu vernommen hat, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind, erkennt er alle Dinge unmittelbar; indem er alle Dinge unmittelbar erkennt, durchschaut er alle Dinge vollständig; indem er alle Dinge vollständig durchschaut, verweilt er in der Betrachtung der Vergänglichkeit von Gefühl; was für ein Gefühl er auch immer empfinden mag, ob angenehm oder schmerzhaft oder weder schmerzhaft noch angenehm; er betrachtet die Lossagung, betrachtet das Aufhören, betrachtet das Loslassen. Indem er so betrachtet, haftet er an nichts in der Welt an. Wenn er nicht anhaftet, ist er nicht aufgeregt. Wenn er nicht aufgeregt ist, erlangt er persönlich Nibbàna. Er versteht: ,Geburt ist zu Ende gebracht, das heilige Leben ist gelebt, es ist getan, was getan werden mußte, darüber hinaus gibt es nichts mehr.‘ Kurz gefaßt, Herrscher der Götter, auf diese Weise ist ein Bhikkhu durch die Vernichtung des Begehrens befreit, ist er einer, der den letztendlichen Zweck, die letztendliche Sicherheit vor dem Gefesseltsein, das letztendliche heilige Leben, das letztendliche Ziel erreicht hat, einer der die erste Stelle unter den Göttern und Menschen einnimmt.“

4. Da war Sakka, der Herrscher der Götter, entzückt und erfreut über die Worte des Erhabenen, huldigte dem Erhabenen und verschwand auf der Stelle, wobei er ihm die rechte Seite zuwandte.

5. Bei dieser Gelegenheit saß der ehrwürdige Mahà Moggallàna nicht weit vom Erhabenen. Da überlegte er: „Ist jenes feinstoffliche Wesen 2) zur Bedeutung der Worte des Erhabenen durchgedrungen, als es erfreut war, oder nicht? Angenommen,
ich fände heraus, ob dem so war oder nicht.“

6. Da verschwand der ehrwürdige Mahà Moggallàna aus dem Östlichen Park im Palast von Migàras Mutter, so schnell, wie ein starker Mann den gebeugten Arm strecken oder den gestreckten Arm beugen könnte, und erschien unter den Göttern der Dreiunddreißig.

7. Bei dieser Gelegenheit war Sakka, der Herrscher der Götter hundertfach mit den fünf Arten himmlischer Musik versorgt und ausgestattet und er genoß sie im Vergnügungspark des Einzelnen Lotus. Als er den ehrwürdige Mahà Moggallàna in der Ferne kommen sah, entließ er die Musik und sagte zu ihm: „Komm, guter Herr Moggallàna, willkommen, guter Herr Moggallàna. Es ist lange her, guter Herr Moggallàna, seit du eine Gelegenheit gefunden hast, hierher zu kommen. Nimm Platz, guter Herr Moggallàna; dieser Sitz ist vorbereitet.“ Der ehrwürdige Mahà Moggallàna setzte sich auf dem vorbereiteten Sitz nieder, und Sakka nahm einen niedrigen Platz ein und setzte sich seitlich nieder. Dann fragte ihn der ehrwürdige Mahà Moggallàna:

8. „Kosiya 3), auf welche Weise hat dir der Erhabene, kurz gefaßt, die Vernichtung des Begehrens erklärt? Es wäre gut, wenn wir ebenfalls diese Erklärung zu hören bekämen.“ „Guter Herr Moggallàna, wir sind so beschäftigt; wir haben so viel zu tun, nicht nur in unseren eigenen Angelegenheiten, sondern auch in den Angelegenheiten der Götter der Dreiunddreißig. Außerdem, guter Herr Moggallàna, was gut vernommen, gut gelernt, gut beachtet und gut verinnerlicht ist, verschwindet nicht plötzlich. Guter Herr Moggallàna, es geschah einst, daß ein Krieg zwischen den Göttern und den Titanen 4) ausbrach. In jenem Krieg gewannen die Götter und die Titanen unterlagen. Als ich den Krieg gewonnen hatte und als Sieger zurückgekehrt war, ließ ich den Vejayanta Palast bauen. Guter Herr Moggallàna, der Vejayanta Palast hat hundert Türme, und jeder Turm hat siebenhundert obere Gemächer, und jedes obere Gemach hat sieben Nymphen, und jede Nymphe hat sieben Kammerjungfern. Würdest du die Lieblichkeit des Vejayanta Palastes sehen wollen, guter Herr Moggallàna?“ Der ehrwürdige Mahà Moggallàna stimmte schweigend zu.

9. Dann gingen Sakka, der Herrscher der Götter und der Großkönig Vessavaõa 5) zum Vejayanta Palast, wobei sie dem ehrwürdigen Mahà Moggallàna den Vortritt ließen. Als die Kammerjungfern des Sakka den ehrwürdigen Mahà Moggallàna in der Ferne kommen sahen, waren sie verlegen und verschämt und jede ging in ihr eigenes Zimmer. So wie eine Schwiegertochter verlegen und verschämt ist, wenn sie ihren Schwiegervater sieht, so waren auch die Kammerjungfern des Sakka verlegen und verschämt, als sie den ehrwürdigen Mahà Moggallàna kommen sahen, und jede ging in ihr eigenes Zimmer.

10. Dann ließen Sakka, der Herrscher der Götter und der göttliche König Vessavaõa den ehrwürdigen Mahà Moggallàna überall umhergehen und den Vejayanta Palast erkunden: „Sieh nur, guter Herr Moggallàna, diese Lieblichkeit des Vejayanta Palastes! Sieh nur, guter Herr Moggallàna, diese Lieblichkeit des Vejayanta Palastes!” „Er gereicht dem ehrwürdigen Kosiya zur Ehre, als einem, der vormals Verdienste angehäuft hat; und wann immer Menschen irgendetwas Schönes sehen, sagen sie: ,Meine Herren, es gereicht den Göttern der Dreiunddreißig zur Ehre!‘ Er gereicht dem ehrwürdigen Kosiya zur Ehre, als einem, der vormals Verdienste angehäuft hat.“

11. Dann erwog der ehrwürdige Mahà Moggallàna folgendes: „Dieses feinstoffliche Wesen lebt viel zu nachlässig. Wie wäre es, wenn ich ihn zu einem Gefühl der Dringlichkeit aufwühlte?“ Da führte der ehrwürdige Mahà Moggallàna ein derartiges Kunststück übernatürlicher Kräfte vor, daß er mit der Zehenspitze den Vejayanta Palast erschütterte und zum Zittern und Beben brachte 6). Sakka, der Herrscher der Götter und der göttliche König Vessavana und die Götter der Dreiunddreißig waren von Verwunderung und Erstaunen erfüllt, und sie sagten: „Meine Herren, es ist wunderbar, es ist erstaunlich, welche Kraft und Macht der Mönch hat, daß er mit der Zehenspitze diese Himmelsregion erschüttert und zum Zittern und Beben bringt!“

12. Als der ehrwürdige Mahà Moggallàna wußte, daß Sakka, der Herrscher der Götter mit gesträubten Haaren zu einem Gefühl der Dringlichkeit aufgewühlt war, sagte er zu ihm: „Kosiya, auf welche Weise hat dir der Erhabene, kurz gefaßt, die Vernichtung des Begehrens erklärt? Es wäre gut, wenn wir ebenfalls diese Erklärung zu hören bekämen.“ „Guter Herr Moggallàna, ich ging zum Erhabenen und nachdem ich ihm gehuldigt hatte, stand ich zur Seite und fragte: ,Ehrwürdiger Herr, kurz gefaßt, auf welche Weise ist ein Bhikkhu durch die Vernichtung des Begehrens befreit, ist er einer, der den letztendlichen Zweck, die letztendliche Sicherheit vor dem Gefesseltsein, das letztendliche heilige Leben, das letztendliche Ziel erreicht hat, einer der die erste Stelle unter den Göttern und Menschen einnimmt?‘ Nach diesen Worten, guter Herr Moggallàna, sagte der Erhabene zu mir: ,Herrscher der Götter, da hat ein Bhikkhu vernommen, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind. Wenn ein Bhikkhu vernommen hat, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind, erkennt er alle Dinge unmittelbar; indem er alle Dinge unmittelbar erkennt, durchschaut er alle Dinge vollständig; indem er alle Dinge vollständig durchschaut, verweilt er in der Betrachtung der Vergänglichkeit von Gefühl; was für ein Gefühl er auch immer empfinden mag, ob angenehm oder schmerzhaft oder weder schmerzhaft noch angenehm; er betrachtet die Lossagung, betrachtet das Aufhören, betrachtet das Loslassen. Indem er so betrachtet, haftet er an nichts in der Welt an. Wenn er nicht anhaftet, ist er nicht aufgeregt. Wenn er nicht aufgeregt ist, erlangt er persönlich Nibbàna. Er versteht: ›Geburt ist zu Ende gebracht, das heilige Leben ist gelebt, es ist getan, was getan werden mußte, darüber hinaus gibt es nichts mehr.‹ Kurz gefaßt, Herrscher der Götter, auf diese Weise ist ein Bhikkhu durch die Vernichtung des Begehrens befreit, ist er einer, der den letztendlichen Zweck, die letztendliche Sicherheit vor dem Gefesseltsein, das letztendliche heilige Leben, das letztendliche Ziel erreicht hat, einer der die erste Stelle unter den Göttern und Menschen einnimmt.‘ Auf diese Weise hat mir der Erhabene, kurz gefaßt, die Vernichtung des Begehrens erklärt.“

13. Da war der ehrwürdige Mahà Moggallàna entzückt und erfreut über die Worte von Sakka, dem Herrscher der Götter. Danach verschwand der ehrwürdige Mahà Moggallàna aus der Mitte der Götter der Dreiunddreißig, so schnell, wie ein starker Mann den gebeugten Arm strecken oder den gestreckten Arm beugen könnte, und erschien im Östlichen Park, im Palast von Migàras Mutter.

14. Kurz nachdem der ehrwürdige Mahà Moggallàna gegangen war, wurde Sakka, der Herrscher der Götter von seinen Dienern gefragt: „Guter Herr, war das dein Lehrer, der Erhabene?“ – „Nein, gute Herren, das war nicht mein Lehrer, der Erhabene. Das war einer meiner Gefährten im heiligen Leben 7), der ehrwürdige Mahà Moggallàna.“ – „Guter Herr, es ist ein Gewinn für dich, daß dein Gefährte im heiligen Leben solche Kraft und Macht hat. Oh, umso mehr, daß der Erhabene dein Lehrer ist!“

15. Dann ging der ehrwürdige Mahà Moggallàna zum Erhabenen, und nachdem er ihm gehuldigt hatte, setzte er sich seitlich nieder und fragte ihn: „Ehrwürdiger Herr, erinnert sich der Erhabene daran, daß er einem gewissen berühmten feinstofflichen Wesen mit großem Gefolge die Befreiung durch die Vernichtung des Begehrens kurz gefaßt erklärt hat?“ „Daran erinnere ich mich, Moggallàna. Da kam Sakka, der Herrscher der Götter zu mir, und nachdem er mir gehuldigt hatte, stand er zur Seite und fragte: ,Ehrwürdiger Herr, kurz gefaßt, auf welche Weise ist ein Bhikkhu durch die Vernichtung des Begehrens befreit, ist er einer, der den letztendlichen Zweck, die letztendliche Sicherheit vor dem Gefesseltsein, das letztendliche heilige Leben, das letztendliche Ziel erreicht hat, einer der die erste Stelle unter den Göttern und Menschen einnimmt?‘ Nach diesen Worten sagte ich zu ihm: ,Herrscher der Götter, da hat ein Bhikkhu vernommen, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind. Wenn ein Bhikkhu vernommen hat, daß alle Dinge nicht des Anklammerns wert sind, erkennt er alle Dinge unmittelbar; indem er alle Dinge unmittelbar erkennt, durchschaut er alle Dinge vollständig; indem er alle Dinge vollständig durchschaut, verweilt er in der Betrachtung der Vergänglichkeit von Gefühl; was für ein Gefühl er auch immer empfinden mag, ob angenehm oder schmerzhaft oder weder schmerzhaft noch angenehm; er betrachtet die Lossagung, betrachtet das Aufhören, betrachtet das Loslassen. Indem er so betrachtet, haftet er an nichts in der Welt an. Wenn er nicht anhaftet, ist er nicht aufgeregt. Wenn er nicht aufgeregt ist, erlangt er persönlich Nibbàna. Er versteht: ›Geburt ist zu Ende gebracht, das heilige Leben ist gelebt, es ist getan, was getan werden mußte, darüber hinaus gibt es nichts mehr.‹ Kurz gefaßt, Herrscher der Götter, auf diese Weise ist ein Bhikkhu durch die Vernichtung des Begehrens befreit, ist er einer, der den letztendlichen Zweck, die letztendliche Sicherheit vor dem Gefesseltsein, das letztendliche heilige Leben, das letztendliche Ziel erreicht hat, einer der die erste Stelle unter den Göttern und Menschen einnimmt.‘ Ich erinnere mich daran, daß ich auf diese Weise Sakka, dem Herrscher der Götter die Befreiung durch die Vernichtung des Begehrens kurz gefaßt erklärt habe.“
Das ist es, was der Erhabene sagte. Der ehrwürdige Mahà Moggallàna war zufrieden und entzückt über die Worte des Erhabenen.

Anmerkungen:
1) Das höchste Wesen im Himmel der Dreiunddreißig. Es fragt nach der Praxis, die der Vernichtung der Fesseln unmittelbar vorausgeht.
2) Eine allgemeinere Bedeutung des Begriffs yakkha. Normalerweise werden damit bestimmte feinstoffliche Wesen aus dem untersten Himmel der vier Großkönige bezeichnet.
3) Ein Name von Sakka mit der Bedeutung „Eule“.
4) Die Titanen (asura) befinden sich in ständigem Krieg mit den Göttern. Den Titanen wird in der sechsfachen Systematik der Daseinsbereiche ein eigener Platz zugeordnet. Beide gehören jedoch zu den feinstofflichen Bereichen der Sinnessphäre.
5) Einer der vier Großkönige aus dem gleichnamigen untersten Himmelsbereich.
6) Laut MA geschah dies durch meditatives Durchdringen des Wasserkasiôa. In den Grundfesten des Palastes wurde das Wasserelement vorherrschend.
7) Diese Bezeichnung ist zutreffend, da Sakka bereits ein Stromeingetretener war (vgl. D 21), somit ein edler Schüler, der auf die gleiche Befreiung zuschritt, die Mahà Moggallàna bereits erlangt hatte.