MN47 – Der Nachforschende

Majjhima Nikàya 47

 

Der Nachforschende (Vïmamsaka Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã im Jeta Hain,
dem Park des Anàthapindika auf. Dort richtete er sich folgendermaßen an die
Bhikkhus: „Ihr Bhikkhus.“ – „Ehrwürdiger Herr“, erwiderten sie. Der Erhabene
sagte dieses:

2.„Ihr Bhikkhus, ein Bhikkhu, der ein Nachforschender ist, der das Herz anderer
nicht kennt, sollte eine Untersuchung des Tathàgata anstellen, um zu erfahren,
ob dieser vollständig erleuchtet ist oder nicht 1).“

3.„Ehrwürdiger Herr, unsere Lehren sind im Erhabenen verwurzelt, vom Erhabenen
geführt, beruhen auf dem Erhabenen. Es wäre gut, wenn der Erhabene
die Bedeutung dieser Worte erläutern würde. Wenn die Bhikkhus dies vom Erhabenen
gehört haben, werden sie es sich merken.“
„Dann, ihr Bhikkhus, hört zu und verfolgt aufmerksam, was ich sagen werde.“
– „Ja, ehrwürdiger Herr“, erwiderten sie. Der Erhabene sagte folgendes:

4.„Bhikkhus, ein Bhikkhu, der ein Nachforschender ist, der das Herz anderer
nicht kennt, sollte den Tathàgata in Hinsicht auf zwei Arten von Zuständen, Zustände,
die durch das Auge und durch das Ohr erfahrbar sind, folgendermaßen
untersuchen: ,Sind im Tathàgata irgendwelche befleckte Geisteszustände zu finden,
die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind, oder nicht?‘ Wenn er
ihn untersucht, weiß er: ,Es sind im Tathàgata keine befleckte Geisteszustände
zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind.‘“

5.„Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: ,Sind im Tathàgata
irgendwelche gemischten Zustände zu finden, die durch das Auge oder durch das
Ohr erfahrbar sind, oder nicht?‘ Wenn er ihn untersucht, weiß er: ,Es sind im
Tathàgata keine gemischten Zustände zu finden, die durch das Auge oder durch
das Ohr erfahrbar sind.‘“

6.„Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: ,Sind im Tathàgata
geläuterte Zustände zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar
sind, oder nicht?‘ Wenn er ihn untersucht, weiß er: ,Es sind im Tathàgata geläuterte
Zustände zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind.‘“

7.„Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: ,Hat dieser Ehrwürdige
diesen heilsamen Zustand seit langer Zeit erlangt, oder hat er ihn kürzlich
erlangt?‘ Wenn er ihn untersucht, weiß er: ,Dieser Ehrwürdige hat diesen
heilsamen Zustand seit langer Zeit erlangt; er hat ihn nicht erst kürzlich erlangt.‘“

8.„Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: ,Hat dieser Ehrwürdige
einen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt, so daß die Gefahren 2) in
ihm zu finden sind?‘ Denn, ihr Bhikkhus, solange ein Bhikkhu noch keinen guten
Ruf erworben und Ruhm erlangt hat, sind die Gefahren in ihm nicht zu finden;
aber wenn er einen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt hat, sind jene
Gefahren in ihm zu finden. Wenn er ihn untersucht, weiß er: ,Dieser Ehrwürdige
hat einen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt, aber die Gefahren sind in ihm
nicht zu finden.‘“

9.„Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: ,Ist dieser Ehrwürdige
selbstbeherrscht ohne Angst, nicht von Angst beherrscht, und vermeidet
er, in Sinnesvergnügen zu schwelgen, weil er ohne Begierde ist, aufgrund der
Vernichtung der Begierde?‘ Wenn er ihn untersucht, weiß er: ,Dieser Ehrwürdige
ist selbstbeherrscht ohne Angst, nicht von Angst beherrscht, und vermeidet, in
Sinnesvergnügen zu schwelgen, weil er ohne Begierde ist, aufgrund der Vernichtung
der Begierde.‘“

10.„Wenn jetzt, ihr Bhikkhus, andere diesen Bhikkhu folgendermaßen fragen
würden: ,Was sind die Gründe des Ehrwürdigen und aufgrund welcher Beweise
sagt er: ›Dieser Ehrwürdige ist selbstbeherrscht ohne Angst, nicht von Angst
beherrscht, und vermeidet, in Sinnesvergnügen zu schwelgen, weil er ohne Begierde
ist, aufgrund der Vernichtung der Begierde.‹?‘, so würde dieser Bhikkhu
richtigerweise wie folgt antworten: ,Egal, ob jener Ehrwürdige in der Sangha
oder allein weilt, während sich einige gut benehmen und einige schlecht benehmen
und einige da eine Gruppe unterrichten, während einige hier sich um materielle
Dinge besorgt zeigen und andere von materiellen Dingen nicht beschmutzt
werden, so verachtet jener Ehrwürdige niemanden aufgrund dieser Dinge. Und
ich habe dies aus dem Munde des Erhabenen gehört und gelernt: ›Ich bin selbstbeherrscht
ohne Angst, nicht von Angst beherrscht, und vermeide, in Sinnesvergnügen
zu schwelgen, weil ich ohne Begierde bin, aufgrund der Vernichtung
der Begierde.‹‘“

11.„Der Tathàgata, ihr Bhikkhus, sollte darüber weiter folgendermaßen befragt
werden: ,Sind im Tathàgata irgendwelche befleckte Geisteszustände zu finden,
die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind, oder nicht?‘ Der
Tathàgata würde folgendermaßen antworten: ,Es sind im Tathàgata keine befleckte
Geisteszustände zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar
sind.‘“

12.„Wenn er gefragt würde: ,Sind im Tathàgata irgendwelche gemischten Zustände
zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind, oder
nicht?‘, würde der Tathàgata folgendermaßen antworten: ,Es sind im Tathàgata
keine gemischten Zustände zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr
erfahrbar sind.‘“

13.„Wenn er gefragt würde: ,Sind im Tathàgata geläuterte Zustände zu finden,
die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind, oder nicht?‘ Der Tathàgata
würde folgendermaßen antworten: ,Es sind im Tathàgata geläuterte Zustände zu
finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind. Sie sind mein Pfad
und mein Gebiet, und doch identifiziere ich mich nicht mit ihnen 3).‘“

14.„Ihr Bhikkhus, ein Schüler sollte sich dem Lehrer, der so spricht, nähern,
um das Dhamma zu hören. Der Lehrer lehrt ihn das Dhamma mit seinen immer
höheren Ebenen, mit seinen immer erhabeneren Ebenen, mit seinen dunklen und
hellen Gegenstücken. Da der Lehrer den Bhikkhu auf solche Weise das Dhamma
lehrt, kommt der Bhikkhu durch unmittelbares Erkennen einer bestimmten Lehre
in eben diesem Dhamma zu einem Schluß über die Lehren. Folgendermaßen
ist er voll Zuversicht in Bezug auf den Lehrer: ,Der Erhabene ist vollständig
erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen gut verkündet, die Sangha praktiziert
gut.‘“

15.„Wenn andere diesen Bhikkhu folgendermaßen fragen würden: ,Was sind
die Gründe des Ehrwürdigen und aufgrund welcher Beweise sagt er: ›Der Erhabene
ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen gut verkündet,
die Sangha praktiziert gut.‹?‘, so würde dieser Bhikkhu richtigerweise wie folgt
antworten: ,Hier, ihr Freunde, habe ich mich dem Erhabenen genähert, um das
Dhamma zu hören. Der Erhabene lehrte mich das Dhamma mit seinen immer
höheren Ebenen, mit seinen immer erhabeneren Ebenen, mit seinen dunklen und
hellen Gegenstücken. Da der Erhabene mich das Dhamma auf solche Weise lehrte,
kam ich durch unmittelbares Erkennen einer bestimmten Lehre in eben diesem
Dhamma zu einem Schluß über die Lehren. Folgendermaßen bin ich voll Zuversicht
in Bezug auf den Lehrer: ›Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das
Dhamma ist vom Erhabenen gut verkündet, die Sangha praktiziert gut.‹‘“

16.„Ihr Bhikkhus, wenn durch diese Gründe, durch diese Worte, durch diese
Ausdrucksweise bei jemandem Vertrauen in den Tathàgata gepflanzt, verwurzelt
und gefestigt wurde, so sagt man, das sein Vertrauen von Gründen gestützt, in
Schauung verwurzelt, stark sei; es kann von keinem Mönch oder Brahmanen
oder Deva oder Màra oder Brahmà oder irgend jemandem in der Welt zerstört
werden. Auf diese Weise, ihr Bhikkhus, findet eine Untersuchung des Tathàgata
in Einklang mit dem Dhamma statt, und so wird der Tathàgata in Einklang mit
dem Dhamma gründlich untersucht 4).“
Das ist es, was der Erhabene sagte. Die Bhikkhus waren zufrieden und entzückt
über die Worte des Erhabenen.

Anmerkungen:
1) BB erklärt das so: wer den Geist des Buddha nicht direkt erkennen kann (das
kann bestenfalls ein Arahant), kann aber aus dem körperlichen und sprachlichen
Verhalten ableiten, ob noch Befleckungen vorhanden sind oder nicht.
2) Die Gefahren sind Überheblichkeit, Dünkel etc..
3) Selbst bei subtiler Identifikation wäre die Läuterung nicht vollständig.
4) Die letztendlich gültige Untersuchung findet mit eigener Verwirklichung des
Dhamma statt. Ab Stromeintritt beruht die Untersuchung nicht mehr auf Schlußfolgerung,
sondern auf unmittelbarem Erkennen, gemäß dem Buddhawort: „Wer
den Tathàgata sieht sieht das Dhamma, wer das Dhamma sieht, sieht den
Tathàgata.“