MN80 – An Vekhanassa

Majjhima Nikàya 80

 

An Vekhanassa (Vekhanassa Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã im Jeta Hain,
dem Park des Anàthapindika auf.

2. Da ging der Wanderasket Vekhanassa zum Erhabenen und tauschte Grußformeln
mit ihm aus 1). Nach diesen höflichen und freundlichen Worten stand er
zur Seite und äußerte in der Gegenwart des Erhabenen folgenden Ausruf:
„Dies ist der vollkommene Glanz! Dies ist der vollkommene Glanz!“
„Aber, Kaccàna, warum sagst du: ,Dies ist der vollkommene Glanz, dies ist
der vollkommene Glanz!‘? Was ist jener vollkommene Glanz?“
„Meister Gotama, jener Glanz ist der vollkommene Glanz, der von keinem
anderen Glanz an Größe und Erhabenheit übertroffen werden kann.“
„Aber, Kaccàna, was ist jener vollkommene Glanz, der von keinem anderen
Glanz an Größe und Erhabenheit übertroffen werden kann.“
„Meister Gotama, jener Glanz ist der vollkommene Glanz, der von keinem
anderen Glanz an Größe und Erhabenheit übertroffen werden kann.“

3. „Kaccàna, du könntest auf diese Weise noch lange fortfahren. Du sagst:
,Meister Gotama, jener Glanz ist der vollkommene Glanz, der von keinem anderen
Glanz an Größe und Erhabenheit übertroffen werden kann‘, und doch zeigst
du nicht auf, was jener Glanz ist. Angenommen, ein Mann würde sagen: ,Ich
liebe das schönste Mädchen in diesem Lande.‘ Dann würden sie ihn fragen: ,Guter
Mann, jenes schönste Mädchen in diesem Lande, das du liebst – weißt du, ob
sie aus der Adeligenkaste oder aus der Brahmanenkaste oder aus der Händlerkaste
oder aus der Arbeiterkaste stammt?‘ und er würde erwidern: ,Nein.‘ Dann
würden sie ihn fragen: ,Guter Mann, jenes schönste Mädchen in diesem Lande,
das du liebst – kennst du ihren Namen und ihre Familie?‘ und er würde erwidern:
,Nein.‘ Dann würden sie ihn fragen: ,Guter Mann, jenes schönste Mädchen in
diesem Lande, das du liebst – weißt du ob sie groß, klein oder mittelgroß ist?‘
und er würde erwidern: ,Nein.‘ Dann würden sie ihn fragen: ,Guter Mann, jenes
schönste Mädchen in diesem Lande, das du liebst – weißt du ob sie von dunkler,
brauner oder goldener Hautfarbe ist?‘ und er würde erwidern: ,Nein.‘ Dann würden
sie ihn fragen: ,Guter Mann, jenes schönste Mädchen in diesem Lande, das
du liebst – weißt du, in welchem Dorf, welcher Marktstadt oder Großstadt sie
wohnt?‘ und er würde erwidern: ,Nein.‘ Und dann würden sie ihn fragen: ,Guter
Mann, liebst du dann ein Mädchen, das du nie gekannt oder gesehen hast?‘ und
er würde erwidern: ,Ja.‘ Was meinst du, Kaccàna, nachdem das so ist, würde die
Rede jenes Mannes nicht völligem Unsinn gleichkommen?“
„Sicherlich, Meister Gotama, nachdem das so ist, würde die Rede jenes Mannes
völligem Unsinn gleichkommen.“
„Aber auf gleiche Weise, Kaccàna, sagst du: ,Jener Glanz ist der vollkommene
Glanz, der von keinem anderen Glanz an Größe und Erhabenheit übertroffen
werden kann‘, und doch zeigst du nicht auf, was jener Glanz ist.“

4. „Meister Gotama, gerade so wie ein wunderschöner Beryll von größter
Reinheit, mit acht Facetten, gut gespalten, der auf rotem Brokat liegt und glüht,
strahlt und leuchtet, von solchem Glanz ist das Selbst, das ohne Beeinträchtigung
nach dem Tode weiterlebt.“

5. „Was meinst du, Kaccàna? Dieser wunderschöne Beryll von größter Reinheit,
mit acht Facetten, gut gespalten, der auf rotem Brokat liegt und glüht, strahlt
und leuchtet, oder ein Glühwürmchen in stockfinsterer Nacht – welches von diesen
beiden gibt einen vorzüglicheren und erhabeneren Glanz ab?“ – „Das Glühwürmchen
in stockfinsterer Nacht, Meister Gotama.“

6. „Was meinst du, Kaccàna? Dieses Glühwürmchen in stockfinsterer Nacht
oder eine Öllampe in stockfinsterer Nacht – welches von diesen beiden gibt einen
vorzüglicheren und erhabeneren Glanz ab?“ – „Die Öllampe, Meister Gotama.“

7. „Was meinst du, Kaccàna? Diese Öllampe in stockfinsterer Nacht oder ein
großes Lagerfeuer in stockfinsterer Nacht – welches von diesen beiden gibt einen
vorzüglicheren und erhabeneren Glanz ab?“ – „Das große Lagerfeuer, Meister
Gotama.“

8. „Was meinst du, Kaccàna? Dieses große Lagerfeuer in stockfinsterer Nacht
oder der Morgenstern gegen Morgen an einem klaren wolkenlosen Himmel –
welches von diesen beiden gibt einen vorzüglicheren und erhabeneren Glanz
ab?“ – „Der Morgenstern gegen Morgen an einem klaren wolkenlosen Himmel,
Meister Gotama.“
9. „Was meinst du, Kaccàna? Der Morgenstern gegen Morgen an einem klaren
wolkenlosen Himmel oder der Vollmond um Mitternacht am Uposatha-Tag
am Fünfzehnten – welches von diesen beiden gibt einen vorzüglicheren und erhabeneren
Glanz ab?“ – „Der Vollmond um Mitternacht am Uposatha-Tag am
Fünfzehnten, Meister Gotama.“

10. „Was meinst du, Kaccàna? Der Vollmond um Mitternacht am Uposatha-
Tag am Fünfzehnten oder die volle Sonnenscheibe, mittags an einem klaren wolkenlosen
Himmel im Herbst, im letzten Monat der Regenzeit – welches von
diesen beiden gibt einen vorzüglicheren und erhabeneren Glanz ab?“ – „Die volle
Sonnenscheibe, mittags an einem klaren wolkenlosen Himmel im Herbst, im
letzten Monat der Regenzeit, Meister Gotama.“

11. „Darüber hinaus, Kaccàna, weiß ich von sehr vielen Göttern, mit (deren
Glanz) sich der Schein von Sonne und Mond nicht messen kann, und dennoch
sage ich nicht, daß es keinen anderen Glanz gibt, der höher oder erhabener als
jener Glanz ist. Aber du, Kaccàna, sagst von jenem Glanz, der niedriger und
gewöhnlicher als der eines Glühwürmchens ist: ,Dies ist der vollkommene Glanz‘,
und doch zeigst du nicht auf, was jener Glanz ist.“

12. „Kaccàna, es gibt diese fünf Stränge sinnlichen Vergnügens. Welche fünf?
Formen, die mit dem Auge erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm
und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen.
Klänge, die mit dem Ohr erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm
und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen.
Gerüche, die mit der Nase erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm
und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen.
Geschmäcker, die mit der Zunge erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm
und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde
hervorrufen. Berührungsobjekte, die mit dem Körper erfahrbar sind, die erwünscht,
begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden
sind und Begierde hervorrufen. Dies sind die fünf Stränge sinnlichen Vergnügens.“

13. „Kaccàna, das Glück und die Freude, die in Abhängigkeit von diesen fünf
Strängen sinnlichen Vergnügens entsteht, nennt man das Glück der Sinnesvergnügen.
So entsteht das Glück der Sinnesvergnügen durch die sinnlichen Vergnügen,
aber jenseits des Sinnesvergnügen gibt es ein Glück, das höher ist als
das sinnliche, und das wird als das höchste unter ihnen verkündet.“

14. Nach diesen Worten sagte der Wanderasket Vekhanassa: „Es ist wunderbar,
Meister Gotama, es ist erstaunlich, wie gut jenes von Meister Gotama ausgedrückt
worden ist: ,So entsteht Sinnesvergnügen durch die sinnlichen
Vergnügen, aber jenseits des des Glücks der Sinnesvergnügen gibt es ein Glück,
das höher ist als das sinnliche, und das wird als das höchste unter ihnen verkündet.‘“
„Kaccàna, für dich, der du eine andere Ansicht hast, eine andere Lehre annimmst,
eine andere Lehre gutheißt, eine andere Übung verfolgst, einem anderen
Lehrer folgst, ist es schwer zu verstehen, was Sinnlichkeit ist, oder was das
Glück der Sinnesvergnügen ist, oder was das Glück ist, das höher ist als das
sinnliche. Aber jene Bhikkhus, die Arahants sind, mit vernichteten Trieben, die
das heilige Leben gelebt haben, getan haben, was getan werden mußte, die Bürde
abgelegt haben, das wahre Ziel erreicht haben, die Fesseln des Werdens zerstört
haben und durch Erkenntnis vollständig befreit sind – sie sind es, die verstehen
würden, was Sinnlichkeit ist, oder was Sinnesvergnügen ist, oder was das Glück
ist, das höher ist als das sinnliche.“

15. Nach diesen Worten war der Wanderasket wütend und ungehalten, und er
schmähte den Erhabenen, sprach herabsetzende Worte und schimpfte: „Der Mönch
Gotama wird verdorben sein.“ Dann sagte er zum Erhabenen: „Dann gibt es da
also einige Mönche und Brahmanen, die, ohne die Vergangenheit zu kennen und
ohne die Zukunft zu sehen, dennoch behaupten: ,Geburt ist zu Ende gebracht,
das heilige Leben ist gelebt, es ist getan, was getan werden mußte, darüber hinaus
gibt es nichts mehr.‘ Was sie sagen, erweist sich als lächerlich; es erweist
sich als bloßes Gerede, leer und hohl.“

16. „Wenn irgendwelche Mönche und Brahmanen, ohne die Vergangenheit zu
kennen und ohne die Zukunft zu sehen, dennoch behaupten: ,Geburt ist zu Ende
gebracht, das heilige Leben ist gelebt, es ist getan, was getan werden mußte,
darüber hinaus gibt es nichts mehr‘, so können sie in Übereinstimmung mit dem
Dhamma widerlegt werden 2). Aber laß die Vergangenheit lieber sein, Kaccàna,
und laß die Zukunft sein. Laß einen weisen Mann zu mir kommen, einen, der
ehrlich und gewissenhaft ist, einen Mann von Rechtschaffenheit. Ich leite ihn an,
ich lehre ihn das Dhamma auf eine Art, daß er, wenn er gemäß der Anleitung übt,
bald selbst wissen und sehen wird: ,So kommt in der Tat richtig die Erlösung von
der Gebundenheit zustande, das heißt, von der Gebundenheit durch Unwissenheit.‘
Angenommen, Kaccàna, ein junges zartes Kleinkind läge unbeholfen da,
an allen vier Gliedern mit starken Fesseln gebunden, mit einer fünften um den
Hals; und später würden sich diese Fesseln, als Folge seines Wachstums und des
Heranreifens seiner Fähigkeiten, lockern, dann würde es wissen ,Ich bin erlöst‘
und es gäbe keine Gebundenheit mehr. Genau so laß einen weisen Mann zu mir
kommen, einen, der ehrlich und gewissenhaft ist, einen Mann von Rechtschaffenheit.
Ich leite ihn an, ich lehre ihn das Dhamma auf eine Art, daß er, wenn er
gemäß der Anleitung übt, bald selbst verstehen und erkennen wird: ,So kommt in
der Tat richtig die Erlösung von der Gebundenheit zustande, das heißt, von der
Gebundenheit durch Unwissenheit.‘“

17. Nach diesen Worten, sagte der Wanderasket Vekhanassa zum Erhabenen:
„Großartig, Meister Gotama! Großartig, Meister Gotama! Das Dhamma ist von
Meister Gotama auf vielfältige Weise klar gemacht worden, so als ob er Umgestürztes
aufgerichtet, Verborgenes enthüllt, einem Verirrten den Weg gezeigt oder
in der Dunkelheit eine Lampe gehalten hätte, damit die Sehenden die Dinge erkennen
können. Ich nehme Zuflucht zu Meister Gotama und zum Dhamma und
zur Sangha der Bhikkhus. Möge Meister Gotama mich von heute an als Laien-
Anhänger, der zu ihm lebenslang Zuflucht genommen hat, annehmen 3).“

Anmerkungen:
1) Laut MA der Lehrer von Sakuludàyin.
2) Arahantschaft ist auch ohne weltliche übersinnliche Fähigkeiten möglich. „Die
Vergangenheit zu kennen und die Zukunft zu sehen“ bezieht sich also nicht auf
diese Fähigkeiten, sondern auf die Gewißheit, daß die Triebe vernichtet sind, und
somit kein kammisches Wirken mehr stattfindet, das Ursache für künftige Geburt
sein könnte.
3) Es ist schwer nachzuvollziehen, was den Sinneswandel bei Vekhanassa bewirkt
haben mag. Man muß sich aber vor Augen halten, daß diejenigen, die in die
glückliche Lage kamen, vom Buddha eine Lehrrede zu erhalten, bereits eine beträchtliche
spirituelle Höhe erreicht hatten – als kammische Folge früherer Praxis.
Oft genügte ein kleiner Anstoß seitens des Buddha, um sie auf den richtigen
Weg zu bringen. Wenn diese kleinen Anstöße vom heutigen Leser der Sutten
nicht verstanden werden, so besteht dennoch kein Grund zur Verzweiflung. Schon
die Tatsache, daß der Leser dieses Buches einen Zugang zum Buddhadhamma
gefunden hat, deutet auf Verdienste hin, die ein Anlaß zur Freude sein sollten.