MN98 – An Vàsettha

Majjhima Nikàya 98

 

An Vàsettha (Vàsettha Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Icchànaïgala, im Wald
nahe Icchànaïgala auf.

2. Bei jener Gelegenheit hielt sich eine Anzahl berühmter, wohlhabender Brahmanen
bei Icchànaïgala auf, nämlich der Brahmane Caïkã, der Brahmane
Tàrukkha, der Brahmane Pokkharasàti, der Brahmane Jànussoõi, der Brahmane
Todeyya und andere berühmte, wohlhabende Brahmanen.

3. Dann, als die brahmanischen Studenten Vàseññha und Bhàradvàja zu Zwekken
körperlicher Ertüchtigung umher gingen und wanderten, tauchte diese Diskussion
zwischen ihnen auf: „Auf welche Weise ist man ein Brahmane?“ Der
brahmanische Student Bhàradvàja sagte: „Wenn man auf beiden Seiten von guter
Herkunft ist, von reiner mütterlicher und väterlicher Abstammung, sieben
Generationen zurück, unangreifbar und einwandfrei hinsichtlich der Geburt, dann
ist man ein Brahmane.“ Der brahmanische Student Vàseññha sagte: „Wenn man
sittsam ist und die Gelübde erfüllt, dann ist man ein Brahmane.“

4. Aber der brahmanische Student Bhàradvàja konnte den brahmanischen Studenten
Vàseññha nicht überzeugen, auch konnte der brahmanische Student Vàseññha
den brahmanischen Studenten Bhàradvàja nicht überzeugen.

5. Da richtete sich der brahmanische Student Vàseññha an den brahmanischen
Studenten Bhàradvàja: „Herr, der Mönch Gotama, der Sohn der Sakyer, der einen
Sakyer-Klan verließ, um in die Hauslosigkeit zu ziehen, hält sich bei
Icchànaïgala, im Wald nahe Icchànaïgala auf. Nun eilt Meister Gotama ein guter
Ruf voraus, der folgendes besagt: ,Jener Erhabene ist ein Verwirklichter, ein
vollständig Erleuchteter, vollkommen im wahren Wissen und erhaben im Verhalten,
vollendet, Kenner der Welten, unvergleichlicher Meister bezähmbarer
Menschen, Lehrer himmlischer und menschlicher Wesen, ein Erwachter, ein Erhabener.‘
Komm, Bhàradvàja, laß uns zum Mönch Gotama hingehen und ihn in
dieser Angelegenheit befragen. Wie er antwortet, so wollen wir es uns merken.“
– „Ja, Herr“, erwiderte der brahmanische Student Bhàradvàja.

6. Dann gingen die brahmanischen Studenten Vàseññha und Bhàradvàja zum
Erhabenen und tauschten Grußformeln mit ihm aus. Nach diesen höflichen und
freundlichen Worten setzten sie sich seitlich nieder und der brahmanische Student
Vàseññha richtete sich folgendermaßen in Versform an den Erhabenen:

7. „Der Anspruch, den wir beide hier erheben
Ist anerkannt – die Kenntnis der drei Veden,
Denn ich bin Schüler von Pokkharasàti,
Und er steht in der Schulung bei Tàrukkha.

Wir haben volle Meisterschaft erworben
In allem, was die Veda-Meister lehren;
Geschickt in Wortwahl und in der Grammatik
Sind im Gespräch wir uns’ren Lehrern gleich.

O Gotama, wir sind in Streit geraten,
Bezüglich der Geburt- und Kastenfrage:
Es sagte Bhàradvàja, man sei Brahmin
Durch die Geburt, doch ich sag’, durch die Taten.
O Seher, dies ist also die Debatte.

Da keiner von uns überzeugen konnte,
Dem ander’n nicht den Standpunkt sichtbar machte,
Sind wir zu dir gekommen, dich zu fragen,
Erhabener, der du als Buddha giltst.

So wie die Leute mit erhob’nen Händen
Dem Vollmond sich zuwenden, voll Verehrung,
So schenken sie dir in der Welt Verehrung
Und Huldigung, o Meister Gotama.

O Gotama, nun stell’n wir dir die Frage,
O Auge, das in dieser Welt erschienen:
Ist man Brahmane durch Geburt, durch Taten?
Erkläre uns, die wir dies noch nicht wissen,
Woran soll’n wir erkennen den Brahmanen?“

8. (Der Buddha:)
„Wie man sie einteilt, Wesen die da leben,
Das will ich dir jetzt ganz genau erklären,
Gemäß der Wahrheit, Vàseññha, nun höre;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.

Zuerst erfahre nun von Gras und Bäumen:
Obwohl sie keine Selbsterkenntnis haben,
Ist die Geburt ihr kennzeichnendes Merkmal;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.

Nun kommen Motten und die Schmetterlinge,
Und weiter durch das Tierreich bis zur Ameis’:
Ihr kennzeichnendes Merkmal die Geburt ist;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.

Dann lern’ die Arten derer mit vier Füßen,
Verschiedenartig sind sie, kleine, große:
Ihr kennzeichnendes Merkmal die Geburt ist;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.

Lern’ diese, die auf ihren Bäuchen laufen,
Die Klasse mit dem langen Rücken, Schlangen:
Ihr kennzeichnendes Merkmal die Geburt ist;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.

Und lern’ die Fische, die im Wasser leben,
Die auf der Unterwasserweide grasen:
Ihr kennzeichnendes Merkmal die Geburt ist;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.

Und Vögel bahnen ihren Weg mit Flügeln,
Wenn sie den weiten Himmelsraum durchstreifen:
Ihr kennzeichnendes Merkmal die Geburt ist;
Denn vielerlei sind Arten der Geburt.“

9. „Der Unterschied in der Geburt bei jenen
Ist ausschlaggebend kennzeichnendes Merkmal.
Kein Unterschied in der Geburt bei Menschen
Ist ausschlaggebend kennzeichnendes Merkmal.

Nicht beim Haar und nicht beim Kopfe,
Nicht bei Ohren oder Augen,
Nicht beim Mund oder der Nase,
Nicht bei Lippen oder Brauen;

Nicht bei Schultern oder Nacken,
Nicht beim Bauch oder dem Rücken,
Nicht beim Hinterteil, dem Brustkorb,
Nicht beim Anus, beim Geschlechtsteil.

Nicht bei Händen oder Füßen,
Nicht bei Fingern oder Nägeln,
Nicht bei Knien oder Schenkeln,
Nicht bei Hautfarb’, bei der Stimme:
Anders als bei and’ren Wesen,
Macht Geburt hier kein Kennzeichen.

Der Menschenleib, an sich geseh’n,
Zeigt keinen wahren Unterschied.
Die Unterscheidung zwischen Menschen,
Ist nur sprachliche Bezeichnung.“

10. „Wer von den Menschen sich ernährt
Durch Ackerbau, du solltest wissen,
Nennt man Bauer, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen sich ernährt
Durch Handwerkskunst, du solltest wissen,
Heißt Handwerker, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen sich ernährt
Durch Handelszunft, du solltest wissen,
nennt man Händler, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen sich ernährt
Durch Dienstbarkeit, du solltest wissen,
Nennt man Diener, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen sich ernährt
Durch Stehlerei, du solltest wissen,
Nennt man Räuber, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen sich ernährt
Durch Waffenzunft, du solltest wissen,
Nennt man Krieger, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen sich ernährt
Durchs Priesteramt, du solltest wissen,
Nennt man Priester, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.

Wer von den Menschen Herrschaft übt
In Stadt und Land, du solltest wissen,
Nennt man König, Vàseññha,
Brahmane ist er nicht.“

11. „Ich nenne einen dann noch nicht Brahmanen,
Nur wegen Ursprung und Familienlinie.
Wenn Hindernisse tief noch in ihm lauern,
Ist er nur einer, der recht höflich redet.
Wer frei von Hindernissen nicht mehr haftet:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen 1).

Wer abgeschnitten hat schon alle Fesseln,
Nicht mehr erschüttert wird von inn’ren Qualen,
Wer haftfrei alle Bindung überwunden:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.

Wer durchgeschnitten hat jedweden Riemen,
Die Zügel und das Brautband ganz genauso,
Wer seine Deichsel anhob, wer erwachte:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.

Wer ohne eine Spur von Haß erduldet,
Beleidigung, Gewalt, Gefesseltwerden,
Mit Stärke der Geduld, die wohl erworben:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.

Wer niemals aufbraust angefüllt mit Ärger,
Wer pflichtbewußt, bescheiden, voller Tugend,
Sich selbst besiegt, trägt seinen letzten Körper:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.

Wer wie der Regen auf dem Lotusblatte,
Dem Senfkorn auf der Ahlenspitze gleich ist,
An Sinnesfreuden auch kein bißchen haftet:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer hier und jetzt in sich erkennt und feststellt

Endgültige Vernichtung allen Leidens,
Mit abgelegter Bürde, ohne Haften:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer tiefgründig versteht, wer voller Weisheit

Vermag zu unterscheiden Pfad und Nicht-Pfad,
Und wer das allerhöchste Ziel erlangt hat:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Von Haushaltsleuten unbeschwert, genauso

Von den Gefährten, die ihr Haus verließen,
Wer wandert ohne Heim und ohne Wünsche:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer niemals mehr erhebt den Stab, die Waffe,

Den Lebewesen, schwach und stark, entgegen,
Wer nicht mehr tötet und wer nicht läßt töten:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Und keinem Streiter ist er mehr ein Gegner,

Ganz friedlich unter den Gewaltveschrieb’nen,
Wer nicht mehr haftet unter allen Haftern:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer alle Gier und Haß schon abgeworfen,

Einbildung ebenso, und auch Verachtung,
Dem Senfkorn auf der Ahlenspitze gleich ist:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer Worte äußert, völlig frei von Grobheit,

Voll von Bedeutung, immer treu der Wahrheit,
Wer keinem and’ren jemals Schaden zufügt:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer in der Welt wird niemals an sich nehmen,

Was nicht gegeben wurde, sei es langes, kurzes,
Ob klein, ob groß, ob lieblich oder faulig:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer innerlich nicht mehr ist voller Sehnen,

Bezüglich dieser Welt und auch der nächsten,
Wer ohne Sehnen lebt und ohne Haften:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer sich dem Sinnesschwelgen nicht mehr hingibt,

Frei von Verwirrung ist, weil er erkannt hat,
Durch das Erreichen der todlosen Sphäre:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer wirklich alle Bindung transzendiert hat,

An die Verdienste und an üble Taten,
Ist sorgenfrei, geläutert, ohne Fehler:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer rein ist wie der Mond, der ohne Flecken,

Und klar und strahlend ist, in dessen Geiste
Entzücken und das Werden ganz zerstört sind:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer diesen Sumpf hier hinter sich gelassen,

Den Schlamm, Sa§sàra, jegliche Verblendung,
Wer übersetzte an das and’re Ufer,
Und meditieren kann im Reich der Jhànas,
Wer ohne Schwanken ist, frei von Verwirrung,

Nibbàna hat erreicht durch Nicht-Anhaften:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer aufgegeben sinnliches Vergnügen
Und hauslos hier auf dieser Erde wandert,

Wenn Sinnesgier und Werden ganz zerstört sind:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer das Begehren auch hat aufgegeben
Und hauslos hier auf dieser Erde wandert,

Wenn sein Begehr’n und Werdeb ganz zerstört sind:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer Bande an das Menschsein hier zurückläßt,
Die Bande an die Himmelswelten abwarf,

Nicht haftet an den Banden jeder Sorte:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Er läßt zurück Verdruß und auch Entzücken,
Wer kühl ist und ganz ohne Haften,

Der Held, der alle Welt hat überwunden:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer weiß, wie Wesen aus dem Leben scheiden,
Um wieder aufzutauchen, mannigfaltig,

Ist ohne Greifen, aufgewacht, vollendet:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Von wem man die Bestimmung nicht kann wissen,
Die Götter nicht, nicht Geister oder Menschen,

Ein Arahant mit abgelegten Trieben:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer völlig von Behinderungen frei ist,
Von vorne, hinten oder in der Mitte,

Wer unbehindert ist und nicht mehr klammert:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Vollkommen ist der Held, der Herdenführer,
Der große Seher, der den Sieg errungen

Er ist gestillt, geläutert und erwachet:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.
Wer seine vielen früh’ren Leben seh’n kann,
Den Himmel kennt und auch die Niederwelten,
Wer die Vernichtung der Geburt erlangt hat:
Nur diesen einen nenne ich Brahmanen.“

12. „Denn zugeteilt sind Name und Familie,
In dieser Welt als lediglich Bezeichnung;
Den Ursprung haben sie in Konventionen,
Sie werden zugeteilt nur mancherorten.

Denn jenen Menschen, die davon nichts wissen,
Hat falsche Ansicht lang am Herz gelegen;
Sie, die davon nichts wissen, uns verkünden:
,Man ist Brahmane nur durch die Geburt.‘

Man ist Brahmane nicht durch die Geburt,
Noch ist man Nicht-Brahmane durch Geburt.
Durch seine Taten ist man ein Brahmane,
durch seine Taten ist man Nicht-Brahmane.

Denn Menschen sind Bauern nur durch ihre Taten,
Und Handwerker sind sie nur durch ihre Tat;
Und Menschen sind Händler nur durch ihre Taten,
Und Diener sind sie auch nur durch ihre Tat.

Und Menschen sind Räuber nur durch ihre Taten,
Und Krieger sind sie auch nur durch ihre Tat;
Und Menschen sind Priester nur durch ihre Taten,
Und Könige sind sie nur durch ihre Tat.“

13. „Also so sieht der, der wirklich weise
Die Handlung, wie’s der Wirklichkeit entspricht,
Erkennt er, daß bedingt ist das Entstehen,
Geschickt erkennt er Taten 2), ihre Früchte.

Taten halten diese Welt am Drehen,
Taten wechseln die Generationen.
Lebewesen fesseln sich mit Taten,
Wie das Wagenrad mit Nägeln fest ist.

Asketentum, das heilige Leben,
Selbstkontrolle, und innere Übung – Durch diese Dinge wird man ein Brahmane,
Darin das höchste Brahmanentum liegt.

Einer, der dreifaches Wissen besitzt,
Friedvoll, vernichtet ist das Wiederwerden:
Wisse ihn so nur, als Brahmà und Sakka,
Vàseññha, für jene, die dies versteh’n.“

14. Nach diesen Worten sagten die brahmanischen Studenten Vàseññha und
Bhàradvàja zum Erhabenen: „Großartig, Meister Gotama! Großartig, Meister
Gotama! Das Dhamma ist vom Erhabenen auf vielfältige Weise klar gemacht
worden, so als ob er Umgestürztes aufgerichtet, Verborgenes enthüllt, einem
Verirrten den Weg gezeigt oder in der Dunkelheit eine Lampe gehalten hätte, damit
die Sehenden die Dinge erkennen können. Wir nehmen Zuflucht zu Meister
Gotama und zum Dhamma und zur Sangha der Bhikkhus. Möge Meister Gotama
uns von heute an als Laien-Anhänger, die zu ihm lebenslang Zuflucht genommen
haben, annehmen.“

Anmerkungen:
1) Der Buddha gebrauchte das Wort „Brahmane“ des öfteren als Bezeichnung für
Arahants.
2) „Taten“ und „Handlungen“ wird aus metrischen Gründen hier synonym verwendet.
Der Begriff wandelt sich an dieser Stelle von der spezifischen Ebene (die
gegenwärtige Handlung, die einen Beruf charakterisiert) zur allgemeinen Ebene
(Handlung als Treibstoff für den Daseinskreislauf).