Schritt für Schritt auf dem Weg zur Befreiung oder Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut
Der Ehrw. U Jagara sprach am Mittwochabend während des derzeitigen Meditationsretreats im neuen Zentrum „Buddhas Weg” in seinem Dharmavortrag darüber, wie wichtig es ist, dass wir unseren spirituellen Weg zunächst auf eine solide Basis stellen: „Es ist vergleichbar mit den Prinzipien der Architektur. Schaut Euch ein Kunstwerk, wie eine Stupa oder ein simples Haus an. Sie alle haben eine breite, stabile Basis. Wenn sie diese nicht hätten, würden sie wackeln und beim geringsten Anlass umfallen.” Genau so verhält es mit unserer Dharma-Praxis.
Am Beispiel des Sutras „Die sieben Kutschen” (MN 24, Rathavinita Sutta) verdeutlichte er dies. „Zu Buddhas Zeiten gab es noch keine Fortbewegungsmittel wie Autos oder Busse, dafür aber Sänften und Kutschen. Wenn man weiter reisen wollte, konnte man dies nicht auf einmal tun. Man mußte unterwegs Pausen einlegen und die Pferde oder die Kutsche wechseln.”
König Pasenadi von Kosala ging es genau so: Als er sich von Savatthi nach Saketa begeben wollte, konnte er dies nicht „in einem Stück” tun – er mußte Etappen einlegen und die Kutschen unterwegs wechseln. Als man ihn an seinem Zielort empfing und fragte, ob er mit eben dieser Kutsche von Savatthi nach Saketa gereist sei, antwortete er wahrheitsgemäß, dass er siebenmal auf eine andere Kutsche hatte umsteigen müssen, um sein Ziel zu erreichen.
Auf unserer spirituellen Reise ergeht es uns nicht anders: wir nutzen zunächst ein Fahrzeug, fahren eine Weile gut damit, aber dann ist es Zeit auf das nächste Vehikel über zu wechseln.
Wie geht man nun praktisch vor?
Es gibt viele Aufteilungen und Vorschläge in den traditionellen Texten, wie man denn sinnvollerweise auf dem Pfad zur Befreiung voranschreiten soll. Immer wieder begegnet uns die Aufteilung in drei Abschnitte: Sila (Tugend oder Moralität), Samadhi (Konzentration) sowie Panna (Weisheit).
Meist werden diese drei Säulen als fortschreitender, stufenförmiger Prozess beschrieben, das heißt, man beginnt mit der Läuterung der Lebensführung, in dem man sich an die Verhaltensregeln oder Gelübde hält (z.B. an die fünf oder acht buddhistischen Laiengelübde). Ziel ist, beispielsweise mit Hilfe des Achtfachen Pfades Körper, Sprache und Geist zu reinigen.
Um diesen Reinigungsprozess umsetzen zu können, muß man sich darin schulen, die sechs Sinnestore (Seh-, Hör-, Riech-, Tast-, Geschmacks- und Geisttor) zu bewachen.
Was bedeutet dies und wozu soll das gut sein?
Unsere Wahrnehmungsprozesse funktionieren wie die „stille Post“ …
Erläutern wir dies mit einem Beispiel: wir hören Musik. Eigentlich handelt es sich lediglich um akustische Signale, die unseren Hörsinn über die physische Grundlage unserer Ohren erreicht. Wenn wir uns diesem Reiz oder Signal mit unserer Aufmerksamkeit zuwenden und es einfach nur als „Geräusch“ wahrnehmen, haben wir noch kein Problem. Meistens ist aber so, dass nun unser 6. Sinn, unser Denk- oder Geistsinn, in folgender Weise einspringt: wir beginnen, das akustische Signal einzusortieren, zu katalogisieren, mit unseren abgespeicherten Erfahrungswerten abzugleichen und schlussendlich (miss)interpretieren wir den ursprünglich völlig neutralen Reiz. Am Ende ist es wie bei der „stillen Post”: das Wort, welches wir zu Beginn an unseren Sitznachbarn weitergegeben haben, kommt am Ende bei dem letzten in der Reihe völlig „verunstaltet“ an und raus, so wird beispielsweise aus „Frosch“ plötzlich „Trotz”.
Darüber hinaus benötigt unser Geist nicht unbedingt die Impulse der anderen fünf Sinnestore. Der Denksinn kann auch allein durch seines gleichen, nämlich durch Erinnerungen, aktiviert werden. Diese werden dann ebenfalls wie oben beschrieben weiter verarbeitet und können sich mit in der Folge eintreffenden Wahrnehmungsprozessen über die fünf Sinne vermischen, weil wir aufgrund von Erinnerungen unseren Geist sozusagen vorgeeicht haben und die Zielobjekte unserer Aufmerksamkeit (manasikara – eigentliche Übersetzung: geistiges Aufmerken) dadurch automatisch vorgegeben oder gefiltert werden.
Unser Geist besteht aus vielen Komponenten …
Um unseren Geist reinigen zu können, müssen wir ihn erstmal beobachten und kennen lernen. Wenn wir genau hinschauen, können wir erkennen, dass unser Bewusstsein niemals „alleine“ auftritt. Es wird immer von so genannten geistigen Faktoren (cetasika), wie z.B. die oben erwähnte Aufmerksamkeit (manasikara) begleitet. Wenn wir beginnen, unser Geisttor zu bewachen, werden wir feststellen, dass es heilsame (konstruktive oder förderlich) und unheilsame (eher destruktive oder hinderliche) geistige Faktoren gibt. In unserer Praxis geht es nun darum, die Entwicklung der förderlichen Faktoren zu unterstützen und die eher hinderlichen Faktoren zu identifizieren und durch heilsamere zu ersetzen oder zu vermeiden, indem wir ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit wie notwendig zukommen lassen.
An die Reinigungsphase anschließend, versucht man über die Meditationspraxis (Samatha-Methode) die Konzentrationskraft des Geistes zu schulen. Ist der Geist ruhig und klar, kann man durch die nun vorhandene Reflektionsfähigkeit, die Erscheinungen zunehmend wahrnehmen, wie sie wirklich sind. Dieser Entwicklungsabschnitt wird durch die Vipassana-Meditation unterstützt und führt zu dem so genannten direkten Wissen, welches nicht durch theoretisches Bücherwissen, sondern durch Erkenntnisse, die mit Hilfe von Erfahrung, Analyse und sorgfältigem Erwägen zustande gekommen sind.
Dieses „Erfahrungswissen” wiederum hilft uns ein heilsames Leben zu führen, da wir nun aufgrund selbst gewonnener Einsicht und nicht, um von außen an uns herangetragenen moralischen Regeln zu genügen, bemüht sind, unser Handeln und Wirken in heilsame Bahnen zu lenken.
Fünf Hindernisse (nivarana) für unsere Praxis oder wenn das Auto nicht richtig fahren will …
Wir bleiben bei der zu Beginn angeführten Analogie und veranschaulichen einige typische, in unserer täglichen Praxis häufig auftretende Hindernisse mit den Schwierigkeiten, denen wir beim Fahren eines Fahrzeugs begegnen können.
1. sinnliche Begierden (kamacchanda): Die Windschutzscheibe unseres Autos ist verdreckt, man sieht nicht, wohin man fährt – man muss sie erst reinigen, bevor man sicher weiterfahren kann.
Wenn wir hier in der Buddhahalle sitzen und haben Sehnsucht nach Strand und Meer oder ein bestimmtes Objekt unbedingt haben wollen, dann ist unser Geist nicht frei und offen, um andere Inhalte aufzunehmen. Geistige Klarheit ist unter diesen Umständen nicht möglich. Daher müssen wir unseren Geist zunächst von den sinnlichen Begierden befreien, wenn wir auf unserem spirituellen Weg voranschreiten möchten.
2. üble Absicht, Übelwollen, Hass (vyapada): Der Wagen holpert und ruckelt, es gibt komische, laute Geräusche. Man schaut und stellt fest, es ist keine Luft im Reifen hinten links, er ist platt – man muss anhalten und den Reifen wechseln, sonst kommt man nicht weiter.
Wenn wir voller Hass und Groll sind, ist unser Geist ganz von diesen Emotionen in Anspruch genommen. Wir verlieren uns in diesen unheilsamen Geisteszuständen und können in unserer Praxis nur voranschreiten, wenn wir anhalten, stoppen, die Realität überprüfen und unsere Aufmerksamkeit auf das Gegenmittel, in diesem Fall z.B. die liebende Güte (metta)oder Barmherzigkeit richten.
3. Trägheit, Faulheit, Langeweile (thina-middha): Man wundert sich, dass man nicht voran kommt. Irgendwann schaut man sich um und stellt fest, dass man die ganze Zeit die Handbremse angezogen hatte.
Man hatte einen erholsamen Schlaf, aber sobald man sich zur Meditation hinsetzt, schläft man ein. Man muss sich aus dieser Müdigkeit herausholen, indem man sich durch etwas Lebendiges inspirieren läßt, z.B. indem man an etwas Inspirierendes denkt oder die Augen kurz öffnet und einen Lichtimpuls von draußen aufnimmt. Dann kann man weiter machen.
4. Ruhelosigkeit und sich sorgen (uddhacca-kukkucca): Man fährt im höchsten Gang, der Motor läuft auf Hochtouren, aber irgendwie kommt man nicht weiter. Dann plötzlich steigt Qualm auf und es geht nichts mehr. Man hat vergessen, Wasser in den Kühler zu füllen.
Unruhe und Rastlosigkeit können sowohl auf körperlicher als auch auf geistiger Ebene auftreten. Beides ist für unsere Meditationspraxis ein Hindernis. Wenn wir jedesmal, sobald wir uns zu einer Meditationssitzung hinsetzen wollen, den Impuls haben, wieder aufzuspringen und woanders hinzugehen, können wir nicht praktizieren. Irgendwann sind wir nur noch erschöpft und geben auf. Wir müssen einen Weg finden, uns runter zu holen, abzukühlen, damit wir unsere Aufmerksamkeit dauerhafter an ein Objekt oder an einen Ort festbinden können.
5. Zweifel (vicikiccha): Man will nach links abbiegen, schaut in den Rückspiegel und sieht nur die Straße, den Asphalt. Man schaut nach rechts in den Spiegel und sieht ein Auto. Dann schaut man in den mittleren Rückspiegel und sieht nur den Bürgersteig. Das kommt davon, wenn man die Spiegel vor der Fahrt nicht richtig einstellt oder anpasst. Man kann dann nicht richtig sehen.
Für unsere Praxis bedeutet dies, wenn wir nicht die rechte Ansicht (samma ditthi) haben, können wir Ursache und Wirkung und damit das Gesamtbild einer Situation nicht erfassen. Wir nehmen immer nur – zum Teil widersprüchliche – Details wahr, die, anstelle uns weiterzuhelfen lediglich Verwirrung und Komplexität erzeugen. Daraus können Zweifel daran entstehen, was nun richtig und was falsch ist – aber auch Zweifel an uns selbst oder an unseren Lehrern und sogar dem Dharma.
Und noch ein Impuls für die Meditationspraxis: wenn es mit der Konzentration auf den Atem nicht klappen will …
Man kann in der Meditationspraxis auch so vorgehen, dass man erstmal – nachdem man den Körper bewusst wahrgenommen hat (z.B. über bewusstes Wahrnehmen der Sitzposition) mit Metta-Meditation zur (geistigen) Ruhe kommt und dann zu Anapanasati (Meditation auf den Atem) übergehen. Wenn die Konzentration auf den Atem verloren geht, kann man pausieren und in der Pause wieder zu Metta übergehen. Die Meditation der liebenden Güte ist sehr leicht zu praktizieren, weil man überall um sich herum „Objekte” findet, denen man Metta zuteil werden lassen kann. Man selbst fühlt sich danach auch viel leichter und beschwingt. Das ist eine gute Voraussetzung, um mit Anapanasati weitermachen zu können oder in die Achtsamkeit im Alltag überzugehen.
Neugierig geworden? Sie sind herzlich zu den öffentlichen Vorträgen des Ehrw. U Jagara in der Pagode Phat Hue, Frankfurt, eingeladen – die Termine und Themen der jeweiligen Abende finden Sie hier.
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