MN43 – Die längere Reihe von Fragen und Antworten

Majjhima Nikàya 43

 

Die längere Reihe von Fragen und Antworten

(Mahàvedalla Sutta)

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sàvatthã im Jeta Hain,
dem Park des Anàthapindika auf.
Dann, als es Abend war, erhob sich der ehrwürdige Mahà Koññhita 1) aus der
Meditation, ging zum ehrwürdigen Sàriputta und tauschte Grußformeln mit ihm
aus. Nach diesen höflichen und freundlichen Worten, setzte er sich seitlich nieder
und sagte zum ehrwürdigen Sàriputta:

Weisheit
2. „,Ein Nicht-Weiser, ein Nicht-Weiser‘, so sagt man, Freund. Worauf bezieht
es sich, wenn man von ,einem Nicht-Weisen‘ spricht?“
„,Einer, der nicht versteht, einer, der nicht versteht‘, Freund, deshalb spricht
man von ,einem Nicht-Weisen‘. Was versteht er nicht? Er versteht nicht: ,Dies ist
Dukkha‘; er versteht nicht: ,Dies ist der Ursprung von Dukkha‘; er versteht nicht:
,Dies ist das Aufhören von Dukkha‘; er versteht nicht: ,Dies ist der Weg, der zum
Aufhören von Dukkha führt‘. ,Einer, der nicht versteht, einer, der nicht versteht‘,
Freund, deshalb spricht man von ,einem Nicht-Weisen‘.“
Mit den Worten „Gut, Freund“, war der ehrwürdige Mahà Koññhita entzückt
und erfreut über die Worte des ehrwürdigen Sàriputta. Dann stellte er ihm eine
weitere Frage:

3. „,Ein Weiser, ein Weiser‘, so sagt man, Freund. Worauf bezieht es sich,
wenn man von ,einem Weisen‘ spricht?“
„,Einer, der versteht, einer, der versteht‘, Freund, deshalb spricht man von
,einem Weisen‘. Was versteht er? Er versteht: ,Dies ist Dukkha‘; er versteht:
,Dies ist der Ursprung von Dukkha‘; er versteht: ,Dies ist das Aufhören von
Dukkha‘; er versteht: ,Dies ist der Weg, der zum Aufhören von Dukkha führt‘.
,Einer, der versteht, einer, der versteht‘, Freund, deshalb spricht man von ,einem
Weisen‘.“

Bewußtsein
4. „,Bewußtsein, Bewußtsein‘, so sagt man, Freund. Worauf bezieht es sich, wenn
man von ,Bewußtsein‘ spricht?“
„,Es erfährt, es erfährt‘, Freund, deshalb 2) spricht man von ,Bewußtsein‘. Was
erfährt es? Es erfährt: ,Angenehm‘; es erfährt: ,Schmerzhaft‘; es erfährt: ,Weder
schmerzhaft-noch-angenehm‘. ,Es erfährt, es erfährt‘, Freund, deshalb spricht
man von ,Bewußtsein‘.“

5. „Weisheit und Bewußtsein, Freund – sind diese Geisteszustände miteinander
verbunden oder getrennt? Und ist es möglich, einen dieser Zustände vom
anderen zu trennen, um den Unterschied zwischen ihnen beschreiben zu können?“
„Weisheit und Bewußtsein, Freund – diese Geisteszustände sind miteinander
verbunden, nicht getrennt, und es ist unmöglich, einen dieser Zustände vom anderen
zu trennen, um den Unterschied zwischen ihnen beschreiben zu können.
Denn, was man versteht, das erfährt man, und was man erfährt, das versteht man.
Deshalb sind diese Geisteszustände miteinander verbunden, nicht getrennt, und
es ist unmöglich, einen dieser Zustände vom anderen zu trennen, um den Unterschied
zwischen ihnen beschreiben zu können.“

6. „Was ist der Unterschied, Freund, zwischen Weisheit und Bewußtsein, diesen
Zuständen, die mit einander verbunden, nicht getrennt sind?“
„Der Unterschied, Freund, zwischen Weisheit und Bewußtsein, diesen Zuständen,
die miteinander verbunden, nicht getrennt sind, ist dieser: Weisheit gilt
es zu entfalten, Bewußtsein gilt es vollständig zu durchschauen.“

Gefühl
7. „,Gefühl, Gefühl‘, so sagt man, Freund. Worauf bezieht es sich, wenn man
von ,Gefühl‘ spricht?“
„Es fühlt, es fühlt‘, Freund, deshalb spricht man von ,Gefühl‘. Was fühlt es?
Es fühlt Angenehmes, es fühlt Schmerz und es fühlt Weder-Schmerzhaftes-noch-
Angenehmes. ,Es fühlt, es fühlt‘, Freund, deshalb spricht man von ,Gefühl‘.“

Wahrnehmung
8. „,Wahrnehmung, Wahrnehmung‘, so sagt man, Freund. Worauf bezieht es sich,
wenn man von ,Wahrnehmung‘ spricht?“
„,Es nimmt wahr, es nimmt wahr‘, Freund, deshalb spricht man von ,Wahrnehmung‘.
Was nimmt es wahr? Es nimmt blau wahr, es nimmt gelb wahr, es
nimmt rot wahr und es nimmt weiß wahr. ,Es nimmt wahr, es nimmt wahr‘,
Freund, deshalb spricht man von ,Wahrnehmung‘.“

9. „Gefühl, Wahrnehmung und Bewußtsein, Freund – sind diese Geisteszustände
miteinander verbunden oder getrennt? Und ist es möglich, einen dieser
Zustände vom anderen zu trennen, um den Unterschied zwischen ihnen beschreiben
zu können?“
„Gefühl, Wahrnehmung und Bewußtsein, Freund – diese Geisteszustände sind
miteinander verbunden, nicht getrennt, und es ist unmöglich, einen dieser Zustände
von den anderen zu trennen, um den Unterschied zwischen ihnen beschreiben
zu können. Denn, was man fühlt, das nimmt man wahr, und was man
wahrnimmt, das erfährt man. Deshalb sind diese Geisteszustände miteinander
verbunden, nicht getrennt, und es ist unmöglich, einen dieser Zustände von den
anderen zu trennen, um den Unterschied zwischen ihnen beschreiben zu können 3) .“

Allein durch den Geist erkennbar
10. „Freund, was kann mit geläutertem Geist-Bewußtsein, das von den fünf
Sinnesfähigkeiten entbunden ist, erschlossen werden?“
„Freund, mit geläutertem Geist-Bewußtsein, das von den fünf Sinnesfähigkeiten
entbunden ist, kann das Gebiet der Raumunendlichkeit so erschlossen
werden: ,Raum ist unendlich‘; das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit kann
so erschlossen werden: ,Bewußtsein ist unendlich‘; das Nichtsheit-Gebiet kann
so erschlossen werden: ,Da ist nichts 4)‘.“

11. „Freund, womit versteht man einen erschließbaren Zustand?“
„Freund, man versteht einen erschließbaren Zustand mit dem Auge der Weisheit.“

12. „Freund, was ist der Zweck der Weisheit?“
„Der Zweck der Weisheit, Freund, ist unmittelbares Erkennen mit höherer
Geisteskraft, ihr Zweck ist vollständiges Durchschauen 5), ihr Zweck ist das Überwinden.“
Richtige Ansicht

13. „Freund, wieviele Bedingungen gibt es für das Erscheinen von Richtiger
Ansicht?“
„Freund, es gibt zwei Bedingungen für das Erscheinen von Richtiger Ansicht:
die Stimme eines anderen und weises Erwägen. Dies sind die zwei Bedingungen
für das Erscheinen von Richtiger Ansicht.“

14. „Freund, von wievielen Faktoren wird Richtige Ansicht unterstützt, wenn
sie die Herzensbefreiung als Frucht, die Herzensbefreiung als Frucht und Nutzen
hat, wenn sie die Befreiung durch Weisheit als Frucht, die Befreiung durch Weisheit
als Frucht und Nutzen hat?“
„Freund, Richtige Ansicht wird von fünf Faktoren unterstützt, wenn sie die
Herzensbefreiung als Frucht, die Herzensbefreiung als Frucht und Nutzen hat,
wenn sie die Befreiung durch Weisheit 6) als Frucht, die Befreiung durch Weisheit
als Frucht und Nutzen hat. Freund, Richtige Ansicht wird hier von Sittlichkeit,
Lernen, Erörterung, Ruhe und Einsicht unterstützt. Richtige Ansicht, die von
diesen fünf Faktoren unterstützt wird, hat die Herzensbefreiung als Frucht, die
Herzensbefreiung als Frucht und Nutzen, hat die Befreiung durch Weisheit als
Frucht, die Befreiung durch Weisheit als Frucht und Nutzen.“

Werden
15. „Freund, wieviele Arten von Werden gibt es?“
„Es gibt diese drei Arten von Werden, Freund: Werden der Sinnessphäre,
Werden der (feinstofflichen) Form und formloses Werden.“

16. „Freund, wie kommt die Erneuerung des Werdens in der Zukunft zustande?“
„Freund, die Erneuerung des Werdens in der Zukunft kommt dadurch zustande,
daß die Wesen, die durch Unwissenheit gehemmt und durch Begehren gefesselt
sind, sich an diesem und jenem ergötzen 7) .“

17. „Freund, wie kommt die Erneuerung des Werdens in der Zukunft nicht
zustande?“
„Freund, mit dem Verschwinden der Unwissenheit, mit dem Erscheinen von
wahrem Wissen, und mit dem Aufhören des Begehrens kommt die Erneuerung
des Werdens in der Zukunft nicht zustande.“

Die erste Vertiefung
18. „Freund, was ist die erste Vertiefung?“
„Freund, da tritt ein Bhikkhu ganz abgeschieden von Sinnesvergnügen, abgeschieden
von unheilsamen Geisteszuständen, in die erste Vertiefung ein, die von
anfänglicher und anhaltender Hinwendung des Geistes begleitet ist, und verweilt
darin, mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Abgeschiedenheit entstanden
sind. Dies nennt man die erste Vertiefung.“

19. „Freund, wieviele Faktoren hat die erste Vertiefung?“
„Freund, die erste Vertiefung hat fünf Faktoren. Wenn da ein Bhikkhu in die
erste Vertiefung eingetreten ist, treten anfängliche Hinwendung des Geistes, anhaltende
Hinwendung des Geistes, Verzückung, Glückseligkeit und Einspitzigkeit
des Geistes auf. Auf diese Weise hat die erste Vertiefung fünf Faktoren.“

20. „Freund, wieviele Faktoren sind in der ersten Vertiefung überwunden, und
wieviele Faktoren sind darin enthalten?“
„Freund, in der ersten Vertiefung sind fünf Faktoren überwunden und fünf
Faktoren sind darin enthalten. Wenn da ein Bhikkhu in die erste Vertiefung eingetreten
ist, ist Sinnesbegierde überwunden, Übelwollen ist überwunden, Trägheit
und Mattheit ist überwunden, Rastlosigkeit und Gewissensunruhe ist
überwunden und Zweifel ist überwunden; und es treten anfängliche Hinwendung
des Geistes, anhaltende Hinwendung des Geistes, Verzückung, Glückseligkeit
und Einspitzigkeit des Geistes auf. Auf diese Weise sind in der ersten
Vertiefung fünf Faktoren überwunden und fünf Faktoren sind darin enthalten.“

Die fünf Sinne
21. „Freund, diese fünf Sinnesfähigkeiten haben jeweils ein eigenes Feld, ein
eigenes Gebiet, und sie erfahren nicht das Feld und Gebiet einer anderen, also
die Sehfähigkeit, die Hörfähigkeit, die Geruchsfähigkeit, die Schmeckfähigkeit
und die Berührungsfähigkeit. Diese fünf Sinnesfähigkeiten also, die jeweils ein
eigenes Feld, ein eigenes Gebiet haben und nicht das Feld und Gebiet einer anderen
erfahren, wo finden sie Hilfe, was erlebt ihre Felder und Gebiete?“
„Freund, diese fünf Sinnesfähigkeiten haben jeweils ein eigenes Feld, ein eigenes
Gebiet, und sie erfahren nicht das Feld und Gebiet einer anderen, also die
Sehfähigkeit, die Hörfähigkeit, die Geruchsfähigkeit, die Schmeckfähigkeit und
die Berührungsfähigkeit. Diese fünf Sinnesfähigkeiten also, die jeweils ein eigenes
Feld, ein eigenes Gebiet haben und nicht das Feld und Gebiet einer anderen
erfahren, finden im Geist(sinn) Hilfe, und der Geist(sinn) erlebt ihre Felder und
Gebiete.“

22. „Freund, was diese fünf Sinnesfähigkeiten anbelangt – also die Sehfähigkeit,
die Hörfähigkeit, die Geruchsfähigkeit, die Schmeckfähigkeit und die Berührungsfähigkeit
– wovon stehen diese fünf Sinnesfähigkeiten in Abhängigkeit?“
„Freund, was diese fünf Sinnesfähigkeiten anbelangt – also die Sehfähigkeit,
die Hörfähigkeit, die Geruchsfähigkeit, die Schmeckfähigkeit und die Berührungsfähigkeit
– diese fünf Sinnesfähigkeiten stehen in Abhängigkeit von Lebenskraft.“
„Freund, wovon steht Lebenskraft in Abhängigkeit?“
„Lebenskraft steht in Abhängikeit von Hitze.“
„Freund, wovon steht Hitze in Abhängigkeit?“
„Hitze steht in Abhängigkeit von Lebenskraft.“
„Gerade eben, Freund, haben wir verstanden, daß der ehrwürdige Sàriputta
sagte: ,Lebenskraft steht in Abhängigkeit von Hitze‘; und jetzt verstehen wir,
daß er sagt: ,Hitze steht in Abhängigkeit von Lebenskraft‘. Wie sollte die Bedeutung
dieser Aussagen aufgefaßt werden?“
„In diesem Fall, Freund, werde ich dir ein Gleichnis geben, denn einige weise
Menschen hier verstehen die Bedeutung einer Aussage mit Hilfe eines Gleichnisses.
So wie bei einer brennenden Öllampe, ihr Schein in Abhängigkeit von
ihrer Flamme verstanden wird, und ihre Flamme in Abhängigkeit von ihrem Schein
verstanden wird; genauso steht Lebenskraft in Abhängigkeit von Hitze, und Hitze
steht in Abhängigkeit von Lebenskraft 8) .“

Gestaltungen des Lebens
23. „Freund, sind Gestaltungen des Lebens 9) Zustände des Gefühls oder sind
Gestaltungen des Lebens eine Sache, und Zustände des Gefühls eine andere?“
„Gestaltungen des Lebens, Freund, sind nicht Zustände des Gefühls. Wenn
Gestaltungen des Lebens Zustände des Gefühls wären, dann würde man einen
Bhikkhu, der in das Erlöschen von Wahrnehmung und Gefühl eintritt, nicht mehr
daraus auftauchen sehen. Weil Gestaltungen des Lebens eine Sache, und Zustände
des Gefühls eine andere Sache sind, kann man einen Bhikkhu, der in das Erlöschen
von Wahrnehmung und Gefühl eintritt, wieder daraus auftauchen sehen.”

24. „Freund, wievieler Zustände muß dieser Körper beraubt sein, damit er aufgegeben,
zurückgelassen, liegengelassen wird, willenlos wie ein Stück Holz 10)?“
„Freund, wenn dieser Körper dreier Zustände beraubt ist – Lebenskraft, Hitze
und Bewußtsein – dann wird er aufgegeben, zurückgelassen, liegengelassen,
willenlos wie ein Stück Holz.“

25. „Freund, was ist der Unterschied zwischen einem, der tot ist, dessen Zeit
abgelaufen ist, und einem Bhikkhu, der in das Erlöschen von Wahrnehmung und
Gefühl eingetreten ist?“
„Freund, im Falle von einem, der tot ist, dessen Zeit abgelaufen ist, haben die
körperlichen Gestaltungen aufgehört und sind zur Ruhe gekommen, haben die
sprachlichen Gestaltungen aufgehört und sind zur Ruhe gekommen, haben die geistigen
Gestaltungen aufgehört und sind zur Ruhe gekommen, seine Lebenskraft
ist erschöpft, seine Hitze hat sich verflüchtigt, und seine Sinnesfähigkeiten sind
vollständig zerfallen. Im Falle von einem Bhikkhu, der in das Erlöschen von Wahrnehmung
und Gefühl eingetreten ist, haben die körperlichen Gestaltungen aufgehört
und sind zur Ruhe gekommen, haben die sprachlichen Gestaltungen aufgehört
und sind zur Ruhe gekommen, haben die geistigen Gestaltungen 11) aufgehört und
sind zur Ruhe gekommen, aber seine Lebenskraft ist nicht erschöpft, seine Hitze
hat sich nicht verflüchtigt, und seine Sinnesfähigkeiten sind gereinigt. Dies ist der
Unterschied zwischen einem, der tot ist, dessen Zeit abgelaufen ist, und einem
Bhikkhu, der in das Erlöschen von Wahrnehmung und Gefühl eingetreten ist.“

Herzensbefreiung
26. „Freund, wieviele Bedingungen gibt es für das Erlangen der weder-schmerzhaften-
noch-angenehmen Herzensbefreiung?“
„Freund, es gibt vier Bedingungen für das Erlangen der weder-schmerzhaften-
noch-angenehmen Herzensbefreiung: mit dem Überwinden von Glück und
Schmerz und dem schon früheren Verschwinden von Freude und Trübsinn, tritt
da ein Bhikkhu in die vierte Vertiefung ein, die aufgrund von Gleichmut Weder-
Schmerzhaftes-noch-Angenehmes und Reinheit der Achtsamkeit in sich hat, und
verweilt darin. Dies sind die vier Bedingungen für das Erlangen der wederschmerzvollen-
noch-angenehmen Herzensbefreiung.“

27. „Freund, wieviele Bedingungen gibt es für das Erlangen der merkmallosen
Herzensbefreiung?“
„Freund, es gibt zwei Bedingungen für das Erlangen der merkmallosen Herzensbefreiung:
Nichtbeachtung aller Merkmale und Beachtung des merkmallosen
Elements. Dies sind die zwei Bedingungen für das Erlangen der merkmallosen
Herzensbefreiung.“

28. „Freund, wieviele Bedingungen gibt es für den Fortbestand der merkmallosen
Herzensbefreiung?“
„Freund, es gibt drei Bedingungen für den Fortbestand der merkmallosen
Herzensbefreiung: Nichtbeachtung aller Merkmale, Beachtung des merkmallosen
Elements und die vorhergehende Festlegung (ihrer Dauer). Dies sind die drei
Bedingungen für den Fortbestand der merkmallosen Herzensbefreiung.“

29. „Freund, wieviele Bedingungen gibt es für das Heraustreten aus der
merkmallosen Herzensbefreiung?“
„Freund, es gibt zwei Bedingungen für das Heraustreten aus der merkmallosen
Herzensbefreiung: Beachtung aller Merkmale und Nichtbeachtung des
merkmallosen Elements. Dies sind die zwei Bedingungen für das Heraustreten
aus der merkmallosen Herzensbefreiung.“

30. „Freund, die unermeßliche Herzensbefreiung, die Herzensbefreiung durch
Nichtsheit, die Herzensbefreiung durch Leerheit und die merkmallose Herzensbefreiung 12):
sind dies verschiedene Zustände mit verschiedenen Kennzeichen,
oder sind sie eins, nur mit verschiedenen Kennzeichen?“
„Freund, die unermeßliche Herzensbefreiung, die Herzensbefreiung durch
Nichtsheit, die Herzensbefreiung durch Leerheit und die merkmallose Herzensbefreiung:
auf eine Weise sind dies verschiedene Zustände mit verschiedenen Kennzeichen,
und auf eine andere Weise sind sie eins, nur mit verschiedenen Kennzeichen.“

31. „Auf welche Weise, Freund, sind dies verschiedene Zustände mit verschiedenen
Kennzeichen? Da verweilt ein Bhikkhu, indem er eine Himmelsrichtung
mit einem Herzen durchdringt, das erfüllt ist von Liebender Güte, ebenso die zweite,
ebenso die dritte, ebenso die vierte Himmelsrichtung; auch nach oben, nach unten,
in alle Richtungen und überall hin, und zu allen wie zu sich selbst, verweilt er,
indem er die allumfassende Welt mit einem Herzen durchdringt, das von Liebender
Güte erfüllt ist, unerschöpflich, erhaben, unermeßlich, ohne Feindseligkeit und
ohne Übelwollen. Er verweilt, indem er eine Himmelsrichtung mit einem Herzen
durchdringt, das erfüllt ist von Mitgefühl; ebenso die zweite, ebenso die dritte, ebenso
die vierte Himmelsrichtung; auch nach oben, nach unten, in alle Richtungen
und überall hin, und zu allen wie zu sich selbst, verweilt er, indem er die allumfassende
Welt mit einem Herzen durchdringt, das von Mitgefühl erfüllt ist, unerschöpflich,
erhaben, unermeßlich, ohne Feindseligkeit und ohne Übelwollen. Er verweilt,
indem er eine Himmelsrichtung mit einem Herzen durchdringt, das erfüllt ist von
Mitfreude; ebenso die zweite, ebenso die dritte, ebenso die vierte Himmelsrichtung;
auch nach oben, nach unten, in alle Richtungen und überall hin, und zu allen
wie zu sich selbst, verweilt er, indem er die allumfassende Welt mit einem Herzen
durchdringt, das von Mitfreude erfüllt ist, unerschöpflich, erhaben, unermeßlich,
ohne Feindseligkeit und ohne Übelwollen. Er verweilt, indem er eine Himmelsrichtung
mit einem Herzen durchdringt, das erfüllt ist von Gleichmut; ebenso die
zweite, ebenso die dritte, ebenso die vierte Himmelsrichtung; auch nach oben, nach
unten, in alle Richtungen und überall hin, und zu allen wie zu sich selbst, verweilt
er, indem er die allumfassende Welt mit einem Herzen durchdringt, das von Gleichmut
erfüllt ist, unerschöpflich, erhaben, unermeßlich, ohne Feindseligkeit und ohne
Übelwollen. Dies wird unermeßliche Herzensbefreiung genannt.“

32. „Und was, Freund, ist die Herzensbefreiung durch Nichtsheit? Mit dem
völligen Überwinden des Gebiets der Bewußtseinsunendlichkeit, indem sich ein
Bhikkhu vergegenwärtigt ,da ist nichts‘, tritt er in das Gebiet der Nichtsheit ein
und verweilt darin. Dies wird Herzensbefreiung durch Nichtsheit genannt.“

33. „Und was, Freund, ist die Herzensbefreiung durch Leerheit? Da erwägt
ein Bhikkhu, der in den Wald oder zum Fuße eines Baumes oder in eine leere
Hütte gegangen ist: ,Dies ist leer von einem Selbst oder von etwas, das einem
Selbst gehört‘. Dies wird Herzensbefreiung durch Leerheit genannt.“

34. „Und was, Freund, ist die merkmallose Herzensbefreiung? Unter Nichtbeachtung
aller Merkmale tritt da ein Bhikkhu in die merkmallose Konzentration
des Herzen ein und verweilt darin. Dies wird merkmallose Herzensbefreiung
genannt. Auf diese Weise, Freund, sind dies verschiedene Zustände mit verschiedenen
Kennzeichen.“

35. „Und auf welche Weise, Freund, sind diese Zustände eins, nur mit verschiedenen
Kennzeichen? Gier legt Maßstäbe an, Haß legt Maßstäbe an, Verblendung
legt Maßstäbe an. In einem Bhikkhu, dessen Triebe vernichtet sind,
sind diese aufgegeben, an der Wurzel abgeschnitten, einem Palmenstumpf gleichgemacht,
beseitigt, so daß sie künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen sind.
Von allen Arten der unermeßlichen Herzensbefreiung wird die unerschütterliche
Herzensbefreiung als die beste hervorgehoben. Jene unerschütterliche Herzensbefreiung
aber ist leer von Gier, leer von Haß, leer von Verblendung.“

36. „Gier ist ein Etwas, Haß ist ein Etwas, Verblendung ist ein Etwas. In einem
Bhikkhu, dessen Triebe vernichtet sind, sind diese aufgegeben, an der Wurzel
abgeschnitten, einem Palmenstumpf gleichgemacht, beseitigt, so daß sie
künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen sind. Von allen Arten der Herzensbefreiung
durch Nichtsheit wird die unerschütterliche Herzensbefreiung als die
beste hervorgehoben. Jene unerschütterliche Herzensbefreiung aber ist leer von
Gier, leer von Haß, leer von Verblendung.“

37. „Gier schafft Merkmale, Haß schafft Merkmale, Verblendung schafft
Merkmale. In einem Bhikkhu, dessen Triebe vernichtet sind, sind diese aufgegeben,
an der Wurzel abgeschnitten, einem Palmenstumpf gleichgemacht, beseitigt,
so daß sie künftigem Entstehen nicht mehr unterworfen sind. Von allen Arten
der merkmallosen Herzensbefreiung wird die unerschütterliche Herzensbefreiung
als die beste hervorgehoben. Jene unerschütterliche Herzensbefreiung aber ist
leer von Gier, leer von Haß, leer von Verblendung. Auf diese Weise sind diese
Zustände eins, nur mit verschiedenen Kennzeichen.“
Das ist es, was der ehrwürdige Sàriputta sagte. Der ehrwürdige Mahà Koññhita
war zufrieden und entzückt über die Worte des ehrwürdigen Sàriputta.

Anmerkungen:
1) Der ehrwürdige Mahà Koññhita wurde als Erster unter jenen mit analytischem
Verstand gepriesen.
2) Die Schlußfolgerung leuchtet im Deutschen nicht ein, da das Substantiv „Bewußtsein“
(viññàôa) und das Verb „erfahren“ (vijànàti) nicht auf gleiche Weise
miteinander verwandt sind, wie das im Pàli der Fall ist. Eine Angleichung der
Terminologie (viññàôa = Erfahrung) würde nur Verwirrung stiften. Gleiches gilt
auch für die anderen Antworten Sàriputtas.
3) Oft wird das Dhamma als hierarchisch geordnet verstanden; Aufgliederungen
werden zu mechanistisch gesehen. Der Buddha hat aber die verschiedenen
Lehrkategorien als Wegweiser aus verschiedenen Blickwinkeln gegeben, keinesfalls
sollte man sich an die Kategorisierungen anklammern. Ein weiteres gutes
Beispiel ist M59.
4) Das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung ist hier ausgeklammert,
da hier der Begriff Geistbewußtsein anscheinend nicht mehr voll anwendbar ist.
5) Der Unterschied zwischen unmittelbarem Erkennen mit höherer Geisteskraft und
vollständigem Durchschauen: ersteres haben alle Edlen ab Stromeintritt gemein,
letzteres ist das völlige Durchdringen der Vier Edlen Wahrheiten, das zur Vernichtung
der Triebe (=Arahantschaft) führt.
6) Die Herzensbefreiung und die Befreiung durch Weisheit sind zwei Aspekte von
Arahantschaft.
7) Handlung (das Ergötzen) und Frucht (das Wiederwerden); hier handelt es sich
aber um ein anderes Thema als bei der bedingten Entstehung. Deutlich zu unterscheiden
an der Terminologie; hier „Erneuerung des Werdens“ (punabbhavàbhinibbatti),
dort „Geburt“ (jàti); hier temporal „in der Zukunft“, dort nicht-temporal – akàlika.
8) Sie sind konditional von einander abhängig, sie stehen nicht in einer kausalen
zeitlichen Abfolge. Weitere Beispiele gegenseitiger Abhängigkeit aus dem Kanon:
Bewußtsein und Name&Form, Unwissenheit und Triebe.
9) Das, was Leben determiniert, bedingt.
10) Also tot: die Abwesenheit von Bewußtsein reicht nicht aus, um den Todeszustand
zu beschreiben, Lebenskraft und Hitze müssen ebenfalls entweichen.
11) Dies ist die Triade „Gestaltung von Körper, Sprache und Geist“, nicht „Gestaltung
durch Körper, Sprache und Geist“. Der Unterschied ist im Pàli anhand der
dritten Gestaltung feststellbar: hier cittasaòkhàra, dort manosaòkhàra. Gemeint
ist also nicht, daß körperliche, sprachliche und geistige Handlung aufhört, sondern,
daß Atmung, Denken, Wahrnehmung und Gefühl aufhören (vgl. M44).
12) „Herzensbefreiung“ bedeutet leidfreier Zustand; dieser kann vorübergehend durch
Geistesschulung / Konzentration erreicht werden, oder endgültig durch die Vernichtung
der Triebe. Die weder-schmerzhafte-noch-angenehme Herzensbefreiung
ist die vierte Vertiefung, die unermeßliche Herzensbefreiung ist die Praxis der
Brahmavihàras, die Herzensbefreiung durch Nichtsheit ist die dritte formlose
Vertiefung, was jeweils aus dem Text hervorgeht. Die Herzensbefreiung durch
Leerheit wird von MA als weltliche Einsicht identifiziert, und die merkmallose
Herzensbefreiung als meditativer Zustand eines Erleuchteten. Dies erscheint fragwürdig,
da im Text gerade bei der merkmallosen Herzensbefreiung verschiedene
Arten (mit und ohne Triebvernichtung) unterschieden werden, bei der Herzensbefreiung
durch Leerheit jedoch nicht. Die Herzensbefreiungen werden „unerschütterlich“
genannt, wenn sie mit der Vernichtung der Triebe gekoppelt sind.
Man muß sich vor Augen halten, daß sich hier zwei Erleuchtete mit höchstentwickelter
Weisheit auf höchstem Niveau unterhalten. Es ist zum Verständnis
des wesentlichen Punktes – der Signifikanz der Triebvernichtung – nicht notwendig,
die nicht eindeutig klärbaren technischen Ausdrücke auf solche Weise
zu interpretieren.