Samatha-Meditation

Diese Erläuterungen zur Samatha-Meditation basieren auf den persönlichen Erfahrungen von Thich Hue Gioi, einem Novizen der Pagode Phat Hue, der ein Retreat über die Dauer von drei Monaten im Pa Auk Tawya Meditation Center in Myanmar im April 2007 abgeschlossen hat.

Ich blieb in Pa Auk lediglich für eine kurze Zeitspanne, aber es gelang mir dennoch, das Meditationszentrum mit einer für mich praktikablen Meditationsmethode zu verlassen. Da ich nun auf ein umfassendes Verständnis der Shamatha-Meditation zurückblicken kann, welches meinem westlichen Geist sehr entgegen kommt, möchte ich diese Methode anderen Menschen ans Herz legen, damit diese für die Entwicklung ihrer Meditationspraxis einen Nutzen daraus ziehen und auch eine Hilfestellung erhalten können, um Irritationen und Verwirrungen auf dem Pfad zu vermeiden.

In der Theorie ist die Praxis ganz einfach: Atmen und den Atem beobachten. Allerdings benötigt man Geduld und Ausdauer, um die Methode zu verstehen und dementsprechend zu praktizieren – wie dies bei allem, was erstrebenswert erscheint, der Fall ist –. Zum Beispiel können Ausdrücke wie „natürlicher Atem“, „natürlicher Fokus“, “Atem als Konzept” und auch “Achtsamkeit bezogen auf das Objekt” und “Konzentration” leicht missverstanden werden, wenn eine gute Anleitung, persönliche Erfahrung und Überprüfung der Praxis zu kurz kommen.

Das Theravada Pa Auk Retreat Zentrum ist besonders bekannt für seine Unterweisungen über die Samatha-Meditation und der strengen, orthodoxen Anwendung des Vinaya („Korb der Ordensdisziplin“ – diese Regularien hatte Buddha für Praktizierende aufgestellt). Während meines Aufenthaltes unterwies mich der Ehrwürdige U. Revata, seine mehr als zufrieden stellende Meditationsanweisungen drückten seine Geduld und sein Mitgefühl für alle anwesenden Schüler, ungeachtet ihrer westlichen oder östlichen Herkunft, aus.

Visuddhi Maggaoder der Weg zur Reinheit gilt als der maßgebliche Text für die in Pa Auk angewandte Meditationsmethode. Von den vierzig möglichen Übungsobjekten für die Samatha-Meditation, die von Buddha dargelegt wurden und im Kommentar des Visuddhi Magga erklärt werden, ist die gebräuchlichste Methode die Achtsamkeit bezogen auf das Ein- und Ausatmen (ānāpāna).

Samatha-Meditation: Eine Methode

“Samatha” kann als Meditation zur Entfaltung von geistiger Ruhe und stillem Verweilen übersetzt werden. Geistige Ruhe ist in diesem Sinne nicht synonym zu verstehen mit Entspannung – gleichwohl Entspannung von Nöten ist. Entspannung bezieht sich auf den Körper und wenn der Geist zu entspannt ist, kann es vorkommen, dass wir einschlafen. „Samatha” ist auch kein Synonym für ‘dem Prozess des Denkens durch Unterdrückungs-bestrebungen Einhalt zu gebieten’ – dies wäre gleichbedeutend mit einer unnötigen Überanstrengung.

Im Widerspruch zu anderen Belehrungen wird in Pa Auk üblicherweise in der entspannten, “geöffneten” Lotus-Sitzhaltung meditiert, der rechte Fuß befindet sich hierbei vor dem linken Fuß. Der Grund dafür ist, dass Anfänger in anderen Sitzhaltungen wie dem „halben oder vollen Lotus“ sehr schnell Schmerzen bekommen können und dadurch von ihrem Meditationsobjekt abgelenkt werden. Der Rücken sollte gerade sein, die Hände ruhen – eine über der anderen – im Schoß, während man auf einem zwei bis vier Finger hohem Kissen – welches weder zu weich noch zu hart sein sollte – sitzt. Neige den Kopf sanft nach vorne, damit dieser auf der Wirbelsäule ruhen kann, dann schließe die Augen (wie im Schlaf). Ein Gefühl der Bequemlichkeit ist wichtig:
Falls du dich nicht wohl fühlst, finde eine andere, für dich geeignete Haltung. In längeren Meditationsphasen richten wir uns ganz natürlich in der für uns angenehmen Haltung ein. Dann lasse den Geist zur Ruhe kommen, in dem du Aufregung, Schuldgefühle und Selbstverurteilungen gehen lässt. Nimm nicht an jeder aufkommenden Emotion teil. Dies kann sich als schwer erweisen, wird aber leichter, wenn wir uns daran erinnern, dass wir allein sind und niemand unsere Gedanken hören kann, und die Vertrautheit mit der Samatha-Meditation wird uns helfen, alle Schwierigkeiten zu bewältigen. Der Gedanke, “ich möchte für meine Kinder, meine Freunde und für alle fühlenden Wesen die Geistesruhe praktizieren,” stellt einen oft häufig gemachten Fehler dar. Er ist falsch! Oft denken Menschen auf diese Art und Weise, ihre eigentliche Praxis ist jedoch auf einer tieferen Ebene von Bedauern, Schuldgefühlen und dem Urteilen über andere Menschen motiviert. Dies ist unserer Praxis diametral entgegen gesetzt und wird unseren Fortschritt letztendlich verwässern.

Es ist besser, zunächst eine heilsame Motivation für uns zu finden. Durch einen stabilen und ausbalancierten Geist können wir andere Menschen inspirieren. Der Buddha sagte, “Dass aber einer, der selber sumpfversunken ist, einen anderen Sumpfversunkenen herausziehen kann, ein solcher Fall findet sich nicht” (Majjhima Nikaya, I, 46, Salleka Sutta, S. 130). Letztendlich erlangen wir ein vertieftes Verständnis in der Sichtweise, dass wir erst uns selbst helfen müssen, bevor wir anderen helfen können.

Mein Lehrer wies mich an, als mein Meditationsobjekt „den natürlichen Atem, der sich in einer nicht näher zu definierenden Zone unterhalb der Nase bemerkbar macht“ zu fokussieren. Für westliche Menschen, die es gewohnt sind, sich in Analysen und Untersuchungen zu ergehen – jedoch mit einer einfachen Beobachtung und dem Beruhigen des Geistes nicht vertraut sind – ist der Ausdruck “eine nicht näher zu definierende Zone“ bemerkenswert. Sich auf diese Zone unterhalb der Nase zu fokussieren schafft mehr Raum, um den Atem wahrzunehmen und bewahrt den Geist davor, sich – statt auf den Atem – zu angestrengt auf einen bestimmten Teil des Körpers auszurichten. Falls wir unserem Geist nicht genügend Gelegenheit geben, zur Ruhe zu kommen und unsere Aufmerksamkeit schwach ist, können wir oft unseren Atem nicht wahrnehmen. Werden wir beispielsweise angehalten, den Atem auf einen Punkt unterhalb der Nase zu konzentrieren, beklagen sich Anfänger über ein Gefühl von Taubheit oder darüber, dass sie gar nichts spüren. An irgendeinem Punkt im Verlauf der eigenen Praxis wird beinahe jeder eine Art von Taubheitsgefühl erfahren oder dass der Atem zu subtil wird, um gefühlt werden zu können. Normalerweise ist der Grund für jenes Taubheitsgefühl eine zu große Anstrengung. Falls all dies auftritt, fokussiere dich auf den letzten Punkt, als der Atem beobachtet wurde und die Aufmerksamkeit für das Objekt wird zurückkehren.

Nachdem ich jeden Tag acht bis zehn Stunden meditiert hatte, fand ich einen für mich förderlichen Rhythmus und eine Routine, die ich bis heute beibehalten habe. Zuerst entspanne ich meinen Körper, dann beginne ich damit, von der Spitze des Kopfes angefangen bis hinunter zu den Füßen, durch den Körper zu wandern. Ich schenke besonders problematischen Bereichen wie dem Gesicht, den Schultern, dem Becken und dem unteren Rücken Aufmerksamkeit, da sich dort normalerweise Spannungen festsetzen. In einer ehrlichen Grundhaltung bringe ich meine Aufmerksamkeit zu dem Zustand, in welchem sich mein Geist und mein Körper befinden und versuche, natürlich zu atmen. Als Nächstes lasse ich meinen Geist ruhig und klar werden, bis ich nichts mehr denke – keine Gedanken. Dann lasse ich den Atem im Körper geschehen, gebe die Kontrolle über den Atem auf und ebenso die Gedanken darüber, wie ich atmen “sollte” und so beobachte ich meinen natürlichen Atem wie dieser sich in der Zone um die Nase herum befindet. Wird unser Geist durch Gedanken, Gefühle oder Geräusche vom Atemgeschehen weggezogen, so lassen wir diese geduldig und sanft los, und kehren mit der Aufmerksamkeit wieder zu unserem Meditationsobjekt zurück.

Wir werden in unserer Gesellschaft ständig von Reizen überflutet – alles ist riesig, hell erleuchtet, laut, schnell und sexuell ausgerichtet und so springt unser Geist ständig von einem Objekt zum anderen. Das Ziel der Samatha-Meditation ist es, eine einsgerichtete Konzentration zu erreichen, dies kann nicht mit zwei oder mit mehreren Objekten erlangt werden. Beständig auf ein einziges Objekt ausgerichtet zu sein, erlaubt unserem Geist sich zu verlangsamen, sich niederzulassen und in Frieden zu verweilen. Mit fortschreitender Praxis lernt man, diese Erfahrung unserer normalerweise sehr flatterhaften Lebensweise vorzuziehen.

Fragen

Die unten stehenden Antworten meines Meditationslehrers wurden von mir aus Tagebucheintragungen zusammengefasst.

Wie kommt es zu der Erfahrung des natürlichen Atems?

Entspanne zunächst den Körper. Erlaube dann dem Geist, klar und ruhig zu werden, so dass keine Gedanken aufkommen. In diesem Moment nimmt man den Atem in seiner Natürlichkeit wahr. Wenn man nicht denkt oder sich nicht bewegt, wird der Atem ganz spontan zu einem höchst interessanten Konzentrationsobjekt. Nachdem ich viele Fragen aufgeworfen hatte und herum experimentierte, gelangte ich zu meiner ganz eigenen Sichtweise, die mir später durch meinen Lehrer verifiziert wurde. Die Erscheinung des natürlichen Atems tritt auf, wenn du deinem Körper erlaubst, einfach zu funktionieren, und zwar ohne jegliche Kontrolle im Hintergrund. Dies ist die Kunst, aus seinen eingefahrenen Gleisen heraus zu kommen. Es gibt dann tatsächlich ettliche Hinweise, die dir vermitteln, dass du deinen eingefahrenen Weg verlassen hast wie das plötzliche Aufscheinen von Glückseligkeit, Zufriedenheit und Vertrauen.

Wie soll ich das Beobachten bewerkstelligen?

Ich stellte meinem Lehrer diese Frage und erhielt eine erstaunliche Antwort: “Beobachte den Atem ganz selbstverständlich, wie er gerade ist.” Er führte noch Folgendes aus: “Entspanne zunächst den Körper, dann lass’ den Geist ruhig und klar werden und beobachte den natürlichen Atem wie er ist”. Er zitierte den Buddha, “Betrachte den Atem als ein Konzept.”
Verwirrt von dieser Antwort wandte ich mich an einen hochrankigen Mönch, der Augen, die wie Feuer und Eis glühten, besaß und fragte: “Wie soll ich den Atem beobachten?” Er erwiderte, es sei bereits genug, den Atem lediglich zu kennen und fuhr fort: “Viele Menschen machen dies so kompliziert. Wie du siehst, atme ich gerade, und ich weiß, dass ich atme – das ist genug.” Beide dieser ehrwürdigen Lehrer weisen uns an, den Atem als Konzept zu erkennen. In anderen Worten: Versuche nicht, die mentale oder physische Beschaffenheit des Atems zu verstehen oder seine einzelnen, von einander zu unterscheidenden Eigenschaften. Den Atem in dieser Weise zu erforschen und zu analysieren erfüllt nicht den Sinn der Samatha-Meditation. Stattdessen sollten wir das Objekt deutlicher erkennen, indem wir alles, was nicht den Atem ausmacht, los lassen. Atem ist Atem – denke nicht so viel.

Als ich mit der Meditation weiter voranschritt, indem ich einfach beobachtete oder den Atem “erkannte”, wurde das Atmen zu meiner Praxis. Ich erfuhr schließlich, dass das natürliche Atmen und die einfache Beobachtung zusammenhingen, so dass, falls eines davon mit Makel behaftet sein sollte, das andere schnell – oder gleichzeitig – ebenfalls Makel aufweisen würde. Sind wir zum Beispiel erschrocken, so ist der Körper automatisch angespannt und der Atem geht flach und kurz, sind wir jedoch entspannt, so ist der Atem lang und vertieft. Wenn wir wahrhaftig ruhig sind, wird der Atem so subtil, dass es schwer feststellbar ist, ob wir überhaupt atmen.

Was bedeutet Achtsamkeit bezogen auf ein Objekt?

Sich eines Objektes bewusst zu sein, bedeutet achtsam sein. Damit aber unser Geist von dem Objekt erfüllt sein kann, müssen wir uns darüber klar sein, worum es sich handelt. Glücklicherweise kommt es auf natürliche Art und Weise zu einer Klarheit, wenn wir über Geduld und Ausdauer verfügen. Indem wir kontinuierlich zur Beobachtung des natürlichen Atems zurückkehren, wird unser Objekt, das eigentliche Konzept des Atems, durch ein direktes Verständnis und die damit verbundene Vertrautheit deutlicher wahrgenommen. Ist der Geist durch diese Art und Weise klar geworden, bedeutet dies einen Hinweis darauf, dass sich unsere Achtsamkeit ausgeweitet hat.

Was ist Konzentration?

Viele von uns geraten in eine Falle, da wir mit zu viel Einsatz so lang wie möglich an unserem Meditationsobjekt festhalten. Der Geist ermüdet dann sehr schnell, je mehr wir uns anstrengen, desto mehr entschwindet uns das Objekt, es baut sich Frustration auf, was wiederum zu Ärger und Zweifel führt. Der Trick ist, Konzentration in einem anderen Licht zu sehen.

Während wir meditieren, werden wir für eine kurze Zeit des natürlichen Atems gewahr und dann lenken uns Gedanken, Gefühle und Geräusche wieder ab. Wir erkennen, dass wir den Atem verloren haben und kehren wieder zu ihm zurück, wohl wissend, dass wir ihn einen Moment vorher nicht wahrgenommen haben. Der Trick ist, die Zeit zwischen der bewussten Wahrnehmung des Atems, einer Ablenkung und dem erneutem Zurückkehren zu dieser Bewusstheit zu verkürzen. Es ist wichtig, den Geist nicht zurück zu zerren, sich zu beeilen oder aufgeregt zu werden, sondern einfach wieder bewusst den natürlichen Atem wahrzunehmen. Weil er auch immer da ist – wir hören nie auf zu atmen – müssen wir ihn nur beobachten.
Schließlich verringert sich die Zeit, in welcher wir uns des Atems nicht bewusst sind, immer mehr und die Zeit, in welcher wir achtsam sind, steigert sich. Können wir die Bewusstheit ganz selbstverständlich aufrechterhalten, ohne nach dem Atem zu greifen und der Geist kommt an dieser Stelle zur Ruhe, zufrieden und beständig – verfügen wir über eine gut verankerte Achtsamkeit oder Konzentration.

Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass jede Meditationssitzung unterschiedlich verläuft. Wir sollten nicht erwarten, uns einfach hinzusetzen und daran anzuknüpfen, was wir beim letzten Mal erlebt haben, weil die Umstände und die täglichen Einflüsse sich fortwährend verändern – alles ist vergänglich. Daher sollten wir die oben genannten Schritte konsequenterweise jedes Mal, wenn wir meditieren, berücksichtigen.

Und schlussendlich bleibt festzuhalten, dass der Geist, sobald er von Gedanken überwältigt wird, nicht zur Ruhe kommen kann. Eine einfache Methode, um einfach anzufangen ist, einen Durchgang des Ein- und Ausatmens zu zählen. Ein-aus, Eins, ein-aus, Zwei, und so weiter bis zu einer Zahl zwischen fünf und zehn. Einfach zu zählen ist nichts Belangloses – es ist sehr effektiv. Ich zählte meinen Atem wochenlang, jeden Tag, und schließlich zählte ich 260 aufeinander folgende Male bis zehn, ohne Unterbrechungen, bevor ich meine Achtsamkeit dem eigentlichen Atem zuwandte. Dies stellt eine gute Methode für diejenigen dar, die die Erfahrung zu vieler Gedanken während der Meditation machen, weil dies den Geist genügend beschäftigt, um die Gedanken in Schach zu halten.