Privataudienz der Sangha Pagode Phat Hue bei dem Ehrw. Thich Nhat Hanh

Plum Village am 12.07.2008

 

Frage des Ehrw. Thich Thien Son, Abt der Pagode Phat Hue:

„Unsere junge Sangha verfolgt in ihrer Praxis momentan zwei Ziele gleichzeitig: Einerseits wollen wir die traditionellen Aspekte unserer Praxis aufrechterhalten. Andererseits möchten wir Harmonie und Leichtigkeit kultivieren. Bis heute fällt es der Sangha schwer, eine Balance zwischen diesen beiden Ansätzen zu finden. Man tendiert entweder in das Extrem, sich strikt an die Tradition zu halten oder aber geht nur noch seinen Begierden nach. Hochehrwürdiger Thich Nhat Hanh, wie kann es unserer jungen Sangha gelingen, Harmonie zu etablieren und gleichzeitig der traditionellen Praxis gerecht zu werden?“

 

Antwort des Ehrw. Thich Nhat Hanh (Su Ong):

 

“Eine Praxis ist gut, wenn sie effektiv ist. Eine Methode ist eine gute Methode, wenn sie effektiv ist – ganz egal ob sie traditionell ist, oder nicht. Effektiv bedeutet, dass sie in der Lage ist, Harmonie zu erzeugen. Es ist der bedeutendste Aspekt eines Ordinierten, durch die eigene Praxis Harmonie unter den Sanghamitgliedern zu kultivieren. Wenn die Praxis keine Harmonie erzeugt, ist es keine gute Praxis, keine gute Methode. Ist das klar genug? Wenn ihr eure Praxis jede Woche im Bezug auf dieses Kultivieren von Harmonie überprüft und ihr könnt keinerlei Fortschritt feststellen, dann muss die Methode geändert werden. Habt ihr einen kleinen Fortschritt gemacht, dann ist das ok – eine wirklich deutliche Veränderung kann man erst nach drei Monaten erkennen. Es ist also sehr wichtig für eine Sangha, die eigene Praxis jede Woche zu überprüfen, um zu erkennen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befindet. Die Praxis zielt nicht auf einen Elitestatus oder eine Führungsposition einzelner Sanghamitglieder innerhalb der Gemeinschaft ab – es geht nicht darum, etwas Besonderes zu sein. Es ist nicht die Position des Abtes oder des Leiters eines Tempels die dazu führt, dass Menschen deinem Ratschlag folgen – es ist die von dir erreichte Freiheit von Verlangen und Wut. Menschen werden dir aufgrund deiner Einsicht und deines Mitgefühls zuhören, nicht aufgrund deiner Position oder deines Titels, nicht weil du ein „Großer Bruder“ oder eine „Große Schwester“ bist – Ziel ist es daher, eine harmonische Brüder- und Schwesternschaft zu kreieren.

 

Spirituelle Stärke kommt aus der Freiheit von Verlangen und Wut. Überprüfe deine Praxis. Verbessere deine Praxis. Bringt eure Praxis Harmonie in die Sangha? Um eine solide, gefestigte Sangha zu schaffen, benötigt es zu allererst Harmonie. Nur als harmonische Sangha könnt ihr Menschen, vielen Menschen helfen. Sie werden zu tausenden zu euch kommen. In Plum Village wird nicht um Führungspositionen gekämpft. Die Mönche und Nonnen hier agieren wie die Bienen eines Bienenstockes. Ich vergleiche die Mönche und Nonnen in Plum Village gerne mit Bienen. Jedes einzelne Sanghamitglied hat seine Qualitäten und seine Arbeit. Aber die Sangha entscheidet darüber, in welcher Position man eingesetzt wird. Wir zusammen sehen genau, dass ein Mitglied der Sangha bestimmte Fähigkeiten oder Erfahrungen auf einem Gebiet hat. So wird diese Person zum Wohle der ganzen Sangha in diesem Bereich eingesetzt.

 

Wie man Harmonie schafft

 

Um Harmonie in einer Sangha zu kreieren, muss man das Leid und die Probleme aller Sanghabrüder und –schwestern verstehen. Wie kann man das Leiden der anderen Sanghamitglieder in der Tiefe verstehen? Indem man tiefes Zuhören praktiziert. Wenn es aufgrund von Geschäftigkeit und Arbeit für den Tempel keine Zeit gibt, um sich gegenseitig tief zuzuhören, dann werdet ihr niemals das Leiden der Menschen um euch herum verstehen können. Und dann seid ihr nicht in der Lage, Harmonie zu schaffen. Nehmt ihr euch die Zeit, euren Brüdern und Schwestern wirklich zuzuhören? Es ist von solch enormer Bedeutung, sich zuzuhören, sich ausreden zu lassen und nicht zu unterbrechen. Auch wenn ihr jemandem zuhört und euch vollkommen klar seid, dieser Jemand präsentiert bloß falsche Wahrnehmungen – unterbrecht sie oder ihn nicht. Ihr mögt vielleicht wissen „Die Person liegt falsch“ aber dennoch sollte man darum bitten, zwei Tage über den Konflikt nachzudenken und zu reflektieren. Ihr gebt der Person dadurch die Gelegenheit, das eigene Leiden zu transformieren.

 

Heute Morgen fragte mich ein Mann: „Worin besteht die Verbindung von Nicht-Selbst, Leerheit und den 5 Achtsamkeitsübungen?“ Ich antwortete, dass die Praxis der 5 Silas nicht nur Harmonie in der Sangha schafft, sondern gleichzeitig ein Verständnis des Nicht-Selbst bringt. Praktiziert man auch nur eine der 5 Übungen mit tiefem Verständnis, praktiziert man alle 5 und lässt von seinem Selbst zunehmend los.

 

Lasst Ärger und Wut nicht lange unter den Sanghamitgliedern verweilen. Er wird euren Geist und eure Praxis zerstören. Er muss innerhalb von 2 Tagen aufgelöst werden. Kannst du deinen Ärger und deine Wut nicht verbal zum Ausdruck bringen, dann tue es, indem du es auf ein Stück Papier schreibst und dieses der Person gibst. Wenn man das Problem nicht alleine lösen kann, sollte man die anderen Sanghamitglieder um Hilfe bei der Problemlösung bitten. Es ist wichtig, dass wir ein Problem nicht zu lange in uns tragen. In Plum Village haben wir für die Besprechung solcher Disharmonien ein wöchentliches Treffen, das wir „Beginning anew“ nennen – übersetzt heißt das soviel wie „Auf ein Neues“. Zunächst teilt man der betreffenden Person mit, welche positiven Qualitäten wir in ihr sehen. Wir machen uns bewusst, dass die Person, mit der wir ein Problem haben, nicht nur negative Aspekte in sich trägt. Danach drücken wir Bedauern aus für unheilsame Handlungen, die wir der Person gegenüber begangen haben. Dann erst sagen wir der Person: „Ich fühle mich verletzt und bitte um Hilfe.“ Wir nennen die Ursache für unser Leiden. Indem wir so vorgehen, können wir nun zusammen an einer Lösung des Problems arbeiten.

 

Die Bruder- und Schwesternschaft ist am bedeutendsten und grundlegendsten in einer Sangha. Wahrhaft spirituelle Kraft ist die Freiheit von Verlangen und Wut. Wir müssen uns die Zeit nehmen, wirklich zuzuhören um tiefes Verständnis zu entwickeln. Nur so können wir zu einer wirklich gefestigten Sangha werden.”

27. Juli 2008

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