Abt Thich Thien Son auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Bremen (20.-24. Mai 2009)

kirchentag-2009(Bremen, 22.5.09) Rund 4000 Menschen kamen in Halle 4, gleich gegenüber vom Bremer Hauptbahnhof, zum Messegelände. Dort findet der 32. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Der Abt der Pagode Phat Hue, Thich Thien Son, wurde zum ersten Mal zu einem Dialog zwischen Christen, Juden und Buddhisten eingeladen. Das Thema lautete: „Der Sehnsucht einen Namen geben – Spiritualität und christliches Bekenntnis.“ Thich Thien Son diskutierte mit der evangelischen Landesbischöfin aus Hannover, Dr. Margot Käßmann, dem Philosophen und Theologen aus Fulda, Dr. Christoph Quarch und dem jüdischen Professor und Dekan Eugen Baer aus Geneva, New York/ USA.

„Spiritualität bedeutet, sich zu öffnen.“ (Thich Thien Son)

Viele Menschen interessieren sich für Spiritualität, die Kirchen aber bleiben leer. Viele Menschen suchen nach Spiritualität, aber wissen nicht, welcher Religion sie sich zuwenden sollen. Laut einer Umfrage – so Christoph Quarch – möchte fast die Hälfte der Deutschen spirituell leben, nur ein Zehntel bekenne sich zum Christentum. Der Theologe Christoph Quarch behauptet, dass Spiritualität dem Leben Sinn, Halt und Orientierung gebe – für Christen sei es der Glaube an Gott. Wirkliches Christsein bedeutet, in der Liebe zu sein. Alles, was Menschen dazu bringt, mit ganzem Herzen, ganzer Hingabe und ganzer Leidenschaft zu lieben, ist für ihn gelebtes Christentum.

Für den Abt und Zen-Meister Thich Thien Son bedeutet spirituell sein, sich wirklich zu öffnen, zu öffnen für die Einheit. Sei es für einen geliebten Menschen oder für Gott. Wenn wir jemandem unsere Liebe geben, sollten wir offen bleiben und nicht bewerten. Nur wenn wir Vertrauen entwickeln zu uns selbst und anderen, können wir uns dem Gegenüber wirklich öffnen.

Spiritualität gibt Halt und Orientierung (Christoph Quarch)

Spiritualität hat für Christoph Quarch immer eine Richtung. Sie würde die Betriebsamkeit unseres Alltags bremsen. Führen wir ein spirituelles Leben, so Quarch, z.B. wenn wir meditieren, dann sind wir innerlich eher gesammelt als zerstreut, eher konzentriert als herumflatternd. Spiritualität soll uns aus der Enge unserer Selbstbezogenheit herausführen. Es gehe darum, unser ängstliches Ego hinter uns zu lassen und uns der Liebe zuzuwenden: der Liebe für uns selbst, für unsere Nächsten (Partner/in, Freund/innen, der Familie usw.) und für Gott bzw. einer anderen höheren Ebene oder Dimension.

„Beten heißt, sich selbst loszulassen.“ (Margot Käßmann)

Durch das Gebet können wir die Last unserer Ängste und persönlichen Krisen erleichtern – unsere Probleme wiegen dadurch nicht mehr so schwer. Das bedeutet nicht, dass sich diese alleine durch das Beten auflösen. Dennoch ist die unmittelbare Erleichterung spürbar, so Käßmann. Beim Beten oder im Gespräch mit Gott knüpft man eine Beziehung zu Gott. Beten kann also entlasten: den eigenen Druck, Stress, es baut Vertrauen auf zu etwas, was größer, weiter und tiefer ist als unser begrenztes Selbst. Ganz wichtig sei aus der Sicht und Erfahrung der Landesbischöfin, dass das Gebet nicht nur Teil einer individuellen Gottesbeziehung, sondern ein verbindendes Element der spirituell lebenden Gemeinschaft ist.

„Gott ist kein Automat.“ (Margot Käßmann)

Auch die Beziehung zu Gott müsse gepflegt werden. Nur mal ein bisschen Beten degradiere Gott zu einem Automaten, in den ich eine Münze werfe und erwarte, dass da irgendetwas herauskommt. Es gehe aus ihrer Sicht um einen langfristigen Dialog mit Gott. Denn ein kontinuierlicher Gottesdialog verändere immer auch den Menschen selbst. Die evangelische Theologin betont die Wichtigkeit des Gebetes als tragende Säule einer religiösen Alltagspraxis. Dafür braucht es eine gewisse Selbstdisziplin und Konzentration.

Spiritualität im Alltag

In unserer modernen Gesellschaft haben wir das Beten vergessen. Zen-Meister Thich Thien Son hält das Tischgebet – gerade in Familien – für eine gute Möglichkeit, Spiritualität zu praktizieren. Im regelmäßigen Gebet können wir unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Wenn wir dankbar sind für unsere Mitmenschen, dankbar für das Göttliche und dankbar dafür, dass wir als Menschen leben dürfen, können wir uns als nicht mehr vereinzelt erleben, sondern verbunden mit vielen oder gar allen Menschen.


Spiritualität sei die Schwingung, die Farbe, die unserem Leben ein bestimmtes Licht verleihe, so sieht es der Theologe Christoph Quarch. Spiritualität zu praktizieren heißt nicht, neben Sport, Arbeiten Schlafen und Essen noch eine zusätzliche Aufgabe trainieren zu müssen. Es gehe darum, sie Teil von allem werden zu lassen, dann durchdringe sie unseren Alltag. Und dazu brauchen wir Einkehrzeiten. Genauso sei es in der jüdischen Tradition. Professor Eugen Baer sagte, dass jeder Alltag spirituell ist, vom Frühstück bis abends, wenn man müde ins Bett geht. Wenn wir unseren Blick auf die Ewigkeit richten, dann nennen wir es Beten. Durch das regelmäßige, innige Gebet leben wir die Spiritualität im Alltag.

Patchwork-Spiritualität – oder wie wichtig ist es, sich auf eine Religion festzulegen?

Die Protestantin Margot Käßmann steht dem Patchwork-Phänomen kritisch gegenüber, denn man müsse seine religiöse Heimat kennen, um von anderen Religionen wirklich lernen zu können. Christoph Quarch stimmt zu, dass Menschen, die sich die Rosinen aus allen Traditionen herauspicken, nicht wirklich in ihrer spirituellen Entwicklung vorankommen. Dennoch sollten wir imstande sein, Menschen mit einem anderen religiösen Hintergrund zu verstehen.

Das Unermessliche begreifbar machen – durch Begriffe

Nach Ansicht des Ehrwürdigen ThichThien Son sind Wörter und Begriffe, die einer religiösen Tradition entstammen, lediglich ein Versuch, der anderen Ebene, also Gott und Spiritualität, einen Namen zu geben. Je nach eigenem kulturellen und religiösen Hintergrund wird so das zunächst Unbegreifliche begreifbar gemacht. Im Buddhismus nennen wir das dann Soheit oder Leerheit. Leerheit bedeutet so offen und so empfänglich zu sein, dass wir all das, was da ist, wahrnehmen können. Dadurch haben wir die Möglichkeit, uns für eine tiefere und umfassendere spirituelle Erfahrung zu öffnen, da wir nicht durch Begriffe und die damit verbundenen Konzepte eingeschränkt sind. Je mehr wir Gedanken und Konzepte dazugeben, umso mehr schränken wir das Göttliche ein. Wenn wir es bei Soheit und Leerheit belassen, erfahren wir das Göttliche in jedem Moment unseres Lebens immer wieder neu, ohne an bestimmte vorgeschriebene Gottesvorstellungen gebunden zu sein. So können wir unser individuelles spirituelles Erleben immer weiter vertiefen.


24. Mai 2009

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