Achtsamkeit (Engl.: mindfulness; Pali: sati) im Alltag

„Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden alle unsere Sorgen und Nöte und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“

(Zenmeister Thich Nhat Hanh in „Heute achtsam leben“)

Seit dem Besuch unserer Sangha in Thich Nhat Hanhs‘ Plum Village (Südfrankreich) ist das Thema Achtsamkeit in unserem täglichen Miteinander ständig präsent. Doch was ist Achtsamkeit eigentlich?

Und noch viel wichtiger: wie können wir sie wirklich sinnvoll in unserem geschäftigen Alltag umsetzen?

Der Begriff „Achtsamkeit“ weckt Assoziationen wie Konzentration, Fokussieren auf das Hier und Jetzt und Aufrechterhaltung einer „allgemeinen Aufmerksamkeit“.
Achtsamkeit ist – im Gegensatz zur Konzentration – mit einer offenen Geisteshaltung verbunden. Alle Phänomene, die aufgrund von inneren oder äußeren Reizen im Bewusstsein auftauchen, werden mit einer gleichmütig-akzeptierenden Wahrnehmung bedacht. Konzentration dagegen bedeutet, sich auf ein zuvor festgelegtes geistiges Objekt (z.B. „Ich muss mich jetzt auf meine Arbeit konzentrieren.“) zu fokussieren. Hier wird die einspitzige, also geschlossene Wahrnehmung eines einzelnen Sachverhaltes angestrebt. Für ein bewusstes Leben sollte man idealerweise sowohl Achtsamkeit als auch Konzentration trainieren.

In der Achtsamkeitspraxis versucht man den gegenwärtigen Augenblick, so wie er ist, wahrzunehmen und sich zu vergegenwärtigen. Wenn wir genau hinschauen, besteht ein Moment unserer Wahrnehmung aus einer Vielzahl von Einzelbestandteilen. Zähneputzen, zum Beispiel, ist nicht gleich Zähneputzen- wir bewegen die Zahnbürste nicht immer im gleichen Rhythmus, die Zahnpasta verteilt sich nicht immer auf die gleiche Weise und unsere Gedanken und Emotionen währenddessen sind sowieso von Mal zu Mal immer unterschiedlich. Kein Moment gleicht dem Anderen, so dass wir, wenn wir Achtsamkeit im Alltag wirklich praktizieren, uns der Vergänglichkeit und Einzigartigkeit eines Augenblicks zunehmend bewusster werden.

Dies führt auch zu der Erkenntnis, dass es sich nicht „lohnt“ in einem gegebenen Moment, an einer Emotion wie beispielsweise Wut oder Enttäuschung festzuhalten. Sind wir achtsam und im Hier und Jetzt verwurzelt, nehmen wir die Wut zur Kenntnis und lassen sie danach los, um dem folgenden, neuen Augenblick in unserem Leben Platz zu machen. Um es mit Thich Nhat Hanhs Worten auszudrücken: während wir einatmen, umarmen wir die Wut, während wir ausatmen, lächeln wir ihr zu und lassen sie los.

Durch die regelmäßige Anwendung der Achtsamkeit in unserem Alltag lernen wir uns in der Tiefe kennen. Es fällt uns zunehmend leichter, Situationen zu identifizieren, die uns traurig oder glücklich stimmen. Haben wir für uns festgestellt, dass uns das Abspielen einer bestimmten CD in depressive Stimmung versetzt, können wir uns dafür entscheiden, eine andere CD anzuhören. Leider sind wir oftmals so sehr in unseren Gewohnheitsstrukturen verhaftet, dass wir gar nicht erst daran denken, diese – aktive – Möglichkeit zu nutzen. Es scheint viel leichter und bequemer, darauf zu hoffen, dass jemand anders für uns eine andere Musik einlegt oder vielleicht genießen wir es auch ein stückweit, uns bei unseren Freunden über diese unerfreuliche CD zu beklagen. Genauso verhält es sich mit unserem geistigen Zustand: wenn wir achtsam unseren Geist beobachten, stellen wir sehr schnell fest, was uns gut tut und was nicht. Aber dann auch wirklich aktiv unsere Lieblingsblume vor unserem inneren Auge entstehen zu lassen, anstelle der Erinnerung an den „bösen Chef von heute morgen“, fällt uns außerordentlich schwer. Ein erster Schritt in Richtung auf ein achtsameres Leben kann die Einführung eines regelmäßigen Achtsamkeitstages sein (siehe unten).

Die Rolle des Atems bei der Entwicklung von Achtsamkeit
„Einatmend, kehre ich zurück,
zu der Insel meines Selbsts,
dort sind wunderschöne Bäume,
dort ist Wasser und da sind Vögel,
dort gibt es Sonne und frische Luft.
Ausatmend, fühle ich mich geborgen.“

(Thich Nhat Hanh in „Nothing to do, nowhere to go“; Seite 193)

Vor allem in Thich Nhat Hanhs Belehrungen, aber auch in den traditionellen buddhistischen Schriften (Sutren – hier vor allem im Satipatthana Sutra) wird immer wieder die Wichtigkeit der Achtsamkeit auf den Atem betont. Warum ist dies so? So lange wir leben, begleitet uns der Atem. Er ist die Verbindung zwischen Körper und Geist. Über die Regulation des Atems können wir sowohl körperliche wie auch geistige Funktionen beeinflussen. Bezogen auf die Achtsamkeit bedeutet dies, dass wir über die achtsame Wahrnehmung des Atems auch zunehmend mehr Achtsamkeit für unseren Körper und unseren Geist entwickeln lernen.

Im Rahmen der Anapanasati-Meditationsmethode unterscheiden wir fünf Schritte zur Entwicklung der Achtsamkeit auf den Atem:
1. Den Körper beruhigen – die richtige Sitzposition finden, Muskulatur entspannen.
2. Den Geist beruhigen – Gedanken und Emotionen zur Kenntnis nehmen und dann los lassen.
3. Den Atem kennen lernen – lange und kurze Atemzüge sowie den Berührungspunkt des Atems in der Umgebung der Nase identifizieren und wahrnehmen.
4. Den Atem im ganzen Körper wahrnehmen.
5. Den Atem im gesamten Körper beruhigen.

Wenn Sie Lust haben, diese Meditationsmethode zu erlenen, können Sie gerne zu einem unserer Meditationskurse vorbeikommen (siehe Veranstaltungshinweise).

Achtsamkeit und Psychotherapie
Das Konzept der Achtsamkeit ist inzwischen ein fester Bestandteil vieler psychotherapeutischer Ansätze. Die therapeutische Anwendung von Achtsamkeitsübungen dient dabei größtenteils der Linderung von Krankheitssymptomen wie z.B. Schmerzen oder auch zur Regulation von emotionalen Entgleisungen, etwa bei regelmäßig auftretenden Affektdurchbrüchen in Gestalt von cholerischen Anfällen und ähnlichem.

Aus dem psychotherapeutischen Bereich sind besonders drei Therapieformen hervorzuheben, die sich der Achtsamkeit als zentrales Werkzeug bedienen.

1. Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR = Mindfulness-based stress reduction) von Jon Kabat-Zinn. Die Methode wird besonders empfohlen bei streßbedingten Erkrankungen, im psychosomatischen Bereich und bei chronischen Schmerzsyndromen.
2. Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan
Diese Therapieform gilt inzwischen international als die erfolgreichste Therapie bei so genannten Borderline-Störungen. Es handelt sich dabei um eine Persönlichkeitsstörung, die durch Symptome wie impulsives Verhalten z.B. in Form von Selbstverletzungen und Wutanfällen, Stimmungsschwankungen und mangelhafter Frustrationstoleranz gekennzeichnet ist. Durch das Trainieren der Achtsamkeit in Bezug auf ihre Emotionen, lernen die Klienten destruktive Emotionen rechtzeitig zu identifizieren, so dass sie in der Folge nicht automatisch ausagiert werden müssen. DBT wird in den USA inzwischen auch bei Suchterkrankungen, bei „chronischer Straffälligkeit“ sowie bei Aufmerksamkeitsdefizitsyndromen (ADHS) im Erwachsenenalter angewendet.

3. Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT = Mindfulness-based cognitive therapy) von John D. Teasdale
Das Verfahren wird heute vor allem zur Rückfallprophylaxe bei chronisch depressiven Patienten eingesetzt. Statistiken zeigen, dass die Anzahl der Rückfälle bei den entsprechend „trainierten“ Klienten deutlich gesenkt werden konnte im Vergleich zur nicht mit MBCT therapierten Kontrollgruppe.

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7. August 2008

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