Begegnung der besonderen Art: Pagode Phat Hue meets Plum Village

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Die Sonne ging auf, um einen neuen Tag anzukündigen. Wir saßen immer noch im Auto und waren inzwischen irgendwo in Frankreich in der Nähe von Bordeaux. Unser Ziel für dieses Wochenende: Thich Nhat Hanh’s Plum Village. Die meisten von uns kannten Thich Nhat Hanh bisher nur über seine zahlreichen Buchveröffentlichungen, vor allem zum Thema Achtsamkeit. So waren wir alle sehr gespannt, ihn und seine Gemeinschaft zwei Tage lang live zu erleben zu dürfen.

Nach der Ankunft in Lower Hamlet, einem der inzwischen sieben Dörfer, die zu Plum Village gehören, ging es direkt in die große Buddhahalle zum Dharmatalk. Eigentlich war es keine “richtige” Dharmarede – die Teilnehmer des diesjährigen Sommerretreats hatten Gelegenheit, Fragen an einen der beliebtesten buddhistischen Lehrer unserer Zeit zu richten. In der eher spartanisch und neutral gehaltenen Buddhahalle waren etwa 500 Menschen versammelt. Die gestellten Fragen reichten von “Warum habe ich mir ausgerechnet jetzt am ersten Tag meiner Ferien meinen Arm gebrochen” bis “Wie kann ich mit intensiven Emotionen wie zum Beispiel Wut und Ärger umgehen lernen?” und “Muss ich mein Leben opfern, wenn ich Mönch oder Nonne werden will?”. Jede Frage wurde ausführlich auf Thich Nhat Hanhs für jeden leicht nachvollziehbare, warmherzige und oft auch humorvolle Weise beantwortet.

Nach der Frage-Antwort-Session stand die tägliche Gehmeditation auf dem Plan. Gehmeditation in Plum Village bedeutet, etwa 45 Minuten mit Thay und etwa 500 weiteren Teilnehmern achtsam durch die wunderschöne Landschaft mit Teichen und – wer hätte das gedacht? – hunderten von Pflaumenbäumen zu wandern. Auf halber Wegstrecke wird eine kurze Sitzmeditation eingelegt, während der der Meister schweigend eine Tasse Tee trinkt – man sitzt und schweigt in großer Runde und genießt das Hier und Jetzt. Es drängt sich unweigerlich der Gedanke auf, dass das Leben eigentlich ganz einfach sein könnte – würde man es nicht ständig selbst mit Hilfe des eigenen Geistes verkomplizieren.

Es folgten Besichtigungen der anderen Hamlets (Upper, Middle, New Hamlet) – jedes Dorf hat seinen eigenen Charme. Die alten aus rohem Stein gezimmerten Häuser prägen das Bild. Egal, in welchem Hamlet man sich befindet, es ist überall auffallend ruhig und … sauber. Wir fragen uns, wie die Plum-Village-Sangha es schafft, dass trotz der aktuell mehreren hundert Besucher nirgends Abfall zu sichten ist. Achtsamkeit ist hier kein leeres Konzept, sondern wird ganz konkret in jeder Sekunde praktiziert – selbstverständlich gehört dazu auch das sofortige Entsorgen von Müll. Ganz biologisch natürlich.

In Plum Village spielt die ökologische Lebensführung eine wichtige Rolle – biologischer Landbau und vegane Ernährung gehören an diesen Ort genauso wie die heitere Gelassenheit in den Gesichtern der Bewohner.

Der definitive Höhepunkt des ersten Tages: Privataudienz bei Thich Nhat Hanh in seiner Holzhütte. Die Atmossphäre ist schwer zu beschreiben: es liegt eine Leichtigkeit darin, aber gleichzeitig auch eine große Tiefe. Sie läßt erahnen, dass es sich hier um einen wirklichen Meister handelt, der praktiziert, was er lehrt. Seine Ausstrahlung “berührt” – einige Taschentücher werden gezückt.

Wir fragen, was denn wirklich wichtig und entscheidend sei für eine junge Sangha wie die unserer Pagode? “Die Harmonie innerhalb der Sangha ist das Entscheidende”, so die klare Antwort THNs – “entwickelt wahre Brüderlichkeit, indem Ihr einander wirklich mit offenem Herzen zuhören lernt.”

Der offizielle Teil des folgenden Tages beginnt mit einer Dharmarede anlässlich des “Tages der Vorfahren”. Wir müssen erkennen, dass wir sowohl unseren Vater als auch unsere Mutter ständig in uns tragen – unabhängig davon, wohin wir gehen. Wir sind keine voneinander getrennten Lebewesen, sondern die Weiterführung unserer Eltern. Das hören wir manchmal gar nicht gern – doch wenn wir darüber reflektieren, können wir die tiefe Wahrheit dieser Aussage erfassen.

Betrachten wir zum Vergleich die Entwicklung eines Samenkorns, welches wir in einen Topf mit Erde geben und täglich mit Wasser versorgen. Nach einigen Tagen sprießen zwei oder drei Blätter und wir können das Samenkorn nicht mehr sehen. Wo ist das Samenkorn? Ist es nun tot oder spurlos verschwunden? Sind das Samenkorn und die Pflanze zwei voneinander getrennte, isolierte Dinge? Handelt es sich um ein und dasselbe? Oder sind Pflanze und Samenkorn weder das Gleiche noch gänzlich voneinander getrennte Dinge?

Ja – letzteres ist korrekt: Samenkorn und Pflanze sind weder das Gleiche noch voneinander getrennte Dinge – die Pflanze ist die Weiterführung des Samens, so wie wir die Fortsetzung unserer Eltern sind.

Wieso ist dies wichtig? Es zeigt, dass wir voneinander abhängig sind. Samenkorn und Pflanze bedingen sich gegenseitig, genauso wie Eltern und Kinder. Das Glück der Tochter ist gleichzeitig auch das Glück der Mutter. Daher sollten wir daran arbeiten, unsere Beziehungen zueinander in eine heilsame Richtung zu transformieren – mit Hilfe von Mitgefühl, tiefem Verständnis für das Leid des Anderen, Weisheit und Liebe.

Ein weiteres Thema seiner Dharmarede waren die verschiedenen Spielarten der “Macht” – in weltlichem und spirituellem Sinne. Zu den wichtigsten weltlichen Mächten, die unser Verlangen täglich schüren, gehören laut Thich Nhat Hanh Reichtum, Ruhm, Einfluss sowie Sexualität. Die spirituellen Mächte hingegen sind das Loslassen können von Verlangen und negativen Emotionen, die Entwicklung von Verständnis und Einsicht sowie das Kultivieren von Liebe und Vergebung. Der Buddhismus hat kein Problem mit Reichtum und Ruhm, betonte Thich Nhat Hanh, aber ohne vorherige Entwicklung der spirituellen Kräfte, ist weltliche Macht eine große Gefahr. Und glücklich macht weltliche Macht alleine ohnehin nicht, da sie lediglich das Verlangen nach noch mehr Macht schüre und den Menschen somit ständig zum Sklaven seiner Begierden mache.

Nachmittags hatten wir die einmalige Gelegenheit, das Mönchsquartier im Upper Hamlet zu besuchen. Es wird nur einmal im Jahr für Besucher geöffnet. Abends wurden wir von der Plum-Village-Sangha in Middle Hamlet zum Erfahrungsaustausch eingeladen. Im Rahmen einer Teezeremonie stellten wir uns gegenseitig Fragen zu unserer Dharmapraxis. Wir fragten zum Beispiel, was es denn mit dem “Lazy Day” (”dem faulen Tag”) in Plum Village auf sich hat und wie die Belehrungen für die Ordinierten in den einzelnen Hamlets aussieht. Die Fragen und Antworten waren für beide Seiten sehr interessant und inspirierend. Wir haben viele neue Ideen und Eindrücke mit nach Hause nehmen können.

Was hat uns am meisten beeindruckt? Da wäre die allgegenwärtige Leichtigkeit und Gelassenheit, die so charakteristisch für Plum Village zu sein scheinen – ob beim Kochen, beim Gehen, beim Singen, beim Zuhören – man findet sie überall. Und die Gastfreundschaft, mit der man uns begegnete, auch sie muss an dieser Stelle noch erwähnt werden. Wir würden uns wünschen, einen Teil davon, der Plum-Village-Sangha bei einem Besuch in unserer Pagode in Frankfurt zurückgeben zu dürfen!

18. Juli 2008