Fehler Anderer sieht man leicht…

Es ist leicht, die Fehler der anderen,
aber schwierig, die eigenen zu sehen.
Die Fehler der anderen siebt man heraus wie Spreu,
die eigenen verbirgt man, wie ein Falschspieler einen unglücklichen Wurf.

Wenn du dich auf die Fehler anderer konzentrierst
und dauernd an ihnen herumnörgelst,
gedeiht deine Gier mehr und mehr,
ohne Chance, sie zu beenden.

(Dhammapada 252/253)

Viele Menschen haben es schwer damit, sich ihre eigenen Fehler oder Schwächen vor Augen zu führen. Es ist ein unangenehmes Gefühl, sich mit unliebsamen Charakterzügen auseinanderzusetzen. Was tun daher die meisten Menschen? Sie kritisieren andere Personen in ihrem Umfeld und picken deren Fehler heraus. Ist man damit beschäftigt, hat man keine Zeit, sich die eigenen Schwachpunkte anzusehen. Diese Gewohnheit trägt jedoch viele unheilsame Samen, die später viele giftige Früchte hervorbringen. Es gibt drei Dinge, an die wir denken sollten, wenn wir uns dabei ertappen, wie wir erneut auf die Fehler Anderer schauen und nicht bei uns bleiben. Es sind kleine, aber effektive Vergleiche, die uns dabei helfen, die negative Angewohnheit loszulassen:

1. Sei wie ein glatter und starker Bambusast

Bambus wächst schnell, hoch und bleibt dabei ungeheuer belastbar und elastisch. Kommt Wind auf, streicht er sanft um den Bambusast herum, ohne ihn umzuknicken. Wird der Wind stärker und stärker, bis er zu einem Sturm geworden ist, biegt sich der Bambus, verlässt aber niemals seinen festen Ort, er bleibt in sich stets ruhig und schwingt mit den Bedingungen um ihn herum.

Sei wie ein solcher Bambusast, sei glatt, stark aber zugleich elastisch.

Es gibt aber Pflanzen, die tragen viele Dornen. An ihnen bleiben daher auch viele Dinge hängen. Eine solche Pflanze sind wir, wenn wir die Fehler bei anderen suchen. Wir strecken unsere Dornen aus und suchen regelrecht nach den Fehlern der Anderen, um sie mit unseren Dornen zu packen. Das, was wir an anderen als negativ entdeckt haben, bleibt dann an uns hängen und stört uns immer wieder: Wir denken immer wieder daran und können so niemals davon loslassen, so zu denken. Ist man allerdings glatt und stark wie der Bambus, machen uns die Fehler oder Unzulänglichkeiten Anderer nichts mehr aus: Sie streifen an uns vorbei wie der Wind.

2. Kümmere dich um deinen Garten

Stellt euch einen Gärtner vor, der einen kleinen Garten neben vielen anderen Gärten hat. Doch anstatt sich um seine Pflanzen, Obstbäume und Blumen zu kümmern, steht er den ganzen Tag nur am Zaun und betrachtet die anderen Gärten und ihre Besitzer. Er steht dort und meckert an den anderen Gärten herum:

„Schau dir doch mal deine Obstbäume an! Die stehen alle schief und krumm! So wirst du niemals eine ordentliche Ernte einfahren können!
Und du da drüben, deine Blumenbeete bekommen viel zu wenig Wasser, willst du, dass sie alle verdursten? Und wie man Tomaten anpflanzt weißt du auch nicht, die werden alle eingehen! Tu doch einmal etwas gegen diese Missstände!“

Was glaubt ihr wie der Garten dieses Gärtners aussieht? Hat er hübsche und gerade Bäume in seinem Garten? Reiche Apfel- und Pflaumenernten? Gibt es in seinem Garten schöne Blumen und gesunde Gemüsepflanzen? Wohl kaum. Dieser Gärtner hat gar nicht die Zeit, sich um seine eigenen Pflanzen und Bäume zu kümmern, so viel Zeit verbringt er damit, die Gärten der Anderen zu kontrollieren und zu kritisieren. Wenn dieser Gärtner diese Zeit jedoch dafür verwenden würde, sich um seinen Garten zu kümmern, dann würde er nach kurzer Zeit einen wunderschönen Garten besitzen.

Der Garten, das ist unser Geist – unsere Gedanken, unsere Sprache und unsere Handlungen. Der Gärtner ist unsere Achtsamkeit, die wir brauchen, um unseren Garten zu pflegen. Nur mit Achtsamkeit können wir erkennen, wann wir uns um unseren Garten gut kümmern und wann wir ihn vernachlässigen. Nur mit Achtsamkeit erkennen wir, was unser Geist benötigt. Verschwenden wir die Zeit, Andere Menschen zu kritisieren und schlecht zu machen, sind wir in diesen Momenten nicht wirklich für uns da. In dieser Zeit geht es in unserem Garten drunter und drüber – Unkraut macht sich breit:

3. Gieße nur die guten Samen

Sobald wir unseren Garten vernachlässigen, bemerken wir nicht, was sich in dessen Erde tut: In den Gärten aller Menschen gibt es gute und schlechte, heilsame und unheilsame Samen. Samen, die zu herrlichen Blumen oder Bäumen heranwachsen können oder Samen, die sich zu stacheligen oder überwuchernden Pflanzen entwickeln können.

Wir alle meinen zu wissen, was Unkraut ist und was nicht. Doch meistens wissen wir das nur bei unseren Nächsten – bei Freunden, Partnern, Verwandten oder gänzlich unbekannten Personen. Wir wissen genau, was im Garten des Anderen wuchert und welche hässlichen Flecken sich in seinem Blumenbeet befinden. Nur eines vergessen wir erneut: Suchen wir krampfhaft nach diesen Schandflecken in den Gärten anderer, kann unser Unkraut in aller Ruhe gedeihen. Während wir uns weit über unseren Gartenzaun herauslehnen, sprießen unter der Erde Samen, die sich zu genau den Schandflecken entwickeln können, die wir bei den anderen herauslesen.

Wenn wir zu lange unseren eigenen Garten vernachlässigt haben, stehen wir vor riesigen Problemen. Da hat das Unkraut feste, hölzerne Stämme bekommen, hat sich über unsere Gemüsebeete ausgebreitet und nimmt den Blumen das Sonnenlicht weg. Auf solchem Weg wird unser Garten niemals Schönheit erlangen und einen harmonischen, friedlichen Platz abgeben, an dem sich Schmetterlinge gerne niederlassen und wir als Gärtner reich ernten können.

Wir müssen also versuchen, uns von den Gärten anderer abzuwenden und erst einmal unsere eigenen Pflanzen hüten und unser eigenes Unkraut ausfindig machen. Manchmal verbirgt sich hinter einer hübschen Blüte wildes Unkraut, ohne dass wir es bemerken. Dafür brauchen wir erneut die Achtsamkeit – das achtsame Auge eines erfahrenen Gärtners. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen:

Sobald ich das Unkraut anderer suche, gieße ich gleichzeitig mein eigenes.

Wenn wir also aufhören, uns auf die Fehler Anderer zu konzentrieren, wenden wir uns automatisch unserem eigenen Unkraut zu. Dann lernen wir, was gut für unseren Garten ist und können beginnen, unsere Pflanzen in einer heilsamen Weise aufzuziehen. Wenn wir mit Achtsamkeit unseren Geist untersuchen, lernen wir unser Unkraut zu erkennen, es zu akzeptieren und in einen wunderschönen Garten umzuwandeln. Die Früchte, die wir aus dieser Arbeit ernten, werden uns gut tun. Die Anstrengungen lohnen sich.

Als letztes muss jedoch gesagt werden, dass man nun nicht alle Menschen um sich herum ignorieren oder missachten soll. Das wäre unachtsam. Man muss als Gärtner einen guten Blick dafür haben, wann man einem Nachbarn helfen muss und wann nicht. Noch wichtiger als dieser geschulte Blick ist jedoch die Absicht wirklich helfen zu wollen. Will man einem Menschen ehrliche Unterstützung zukommen lassen, wird die Art, wie wir auf diese Menschen zugehen ein ganz anderes Gefühl vermitteln. Betrachtet euch also wie einen Garten, um den man sich mit viel Achtsamkeit und Liebe widmen muss. Nur mit Achtsamkeit und Liebe werdet ihr euren Garten in einen friedlichen Ort verwandeln, den ihr selbst und Andere gerne aufsuchen. Ist euer Garten erst einmal gepflegt und von Unkraut befreit, werden das die Gärtner um euch herum bemerken – keine Frage. Sie werden sich sagen

Oh, solch einen Garten hätte ich auch gerne. Ich werde an meinem wohl noch weiter arbeiten müssen.

Und dann wird sich eure Umgebung von alleine ändern, ohne dass man Dornen ausfahren oder sich weit über einen stacheligen Gartenzaun herauslehnen musste.

9. Oktober 2008

5 Kommentare to Fehler Anderer sieht man leicht…

  1. Danke, ich probiere das beibehalten und durchzusetzen

  2. Veronika on Oktober 26th, 2008
  3. Immer schön weiter den eigenen garten pflügen ;)

    Liebe Grüße

    Hue Ngo

  4. huengo on Oktober 27th, 2008
  5. Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich habe eine ergänzende Frage zu dem 1. Punkt. Was kann getan werden, wenn eine andere Pflanze Dornen hat und den Bambusast (unbewusst)angreift, diese Pflanze jedoch nicht bereit ist, ihr Verhalten zu überdenken sondern sich im Recht sieht? Wie schafft es der Bambus weiterhin der anderen Pflanze nah zu bleiben ohne sich verletzen zu lassen und ohne seine Elastizität zu verlieren?

    Oder besser, wie geht man mit Pflanzen, die Dornen haben und immer die Fehler bei den anderen suchen, sich aber um ihr Verhalten uneinsichtig zeigen, um?

  6. Nina on Dezember 8th, 2010
  7. Da ich in meinem Leben selbst für eine lange Zeit die Fehler bei anderen gesucht habe und auch heute immer wieder einmal in diese Gewohnheit zurückfalle kann ich folgendes erzählen: Wer andauernd Fehler bei anderen sucht, hat Schwierigkeiten, etwas in sich selbst anzunehmen oder zu akzeptieren. Wenn ich ständig, wirklich ununterbrochen auch Fehlersuche eingestellt war, wünschte ich mir eigentlich Anerkennung, Akzeptanz von den anderen, Aufmerksamkeit und auch den Mut, mich selbst Dinge zu trauen, die ich bei anderen scharf kritisierte. Da ich in einer Gemeinschaft lebte, die sehr viel Geduld mit Menschen wie mir hatte, konnte ich nach einer Weile erkennen, dass es nicht darum geht, meine Umwelt zu attackieren, zu bemängeln usw. sondern darum herauszufinden, warum diese Gewohnheiten in mir sind. Warum werde ich wütend, wenn jemand etwas entgegen meiner Vorstellung tut? Wo liegt die Ursache dafür?
    Wenn nun jemand in deinem Umfeld, den du gerne hast, den du nicht verlassen magst, mit Dornen um sich haut und andauernd nur die Fehler bei anderen sucht, kannst du ja einmal versuchen, ihn als einen Menschen zu sehen, der unglücklich ist, der unzufrieden mit sich selbst ist und das nach Außen kehrt. Und dann bekommt man vielleicht ein Gefühl von Mitgefühl oder Ruhe und kann diesem Menschen anders, mit Geduld und Akzeptanz begegnen. Manche Menschen wollen auch spüren, dass ihre Mitmenschen sie nicht verlassen, selbst wenn sie so garstig sind.

    Aber ein Standard-Rezept gibt es nicht. Man muss ausprobieren, experimentieren und dann prüfen: Bekomme ich die Situation für mich (!) so besser in den Griff? Denn wie unser Gegenüber Verantwortung für sich selbst übernehmen muss, so müssen wir das auch tun. Wir können unser Gegenüber nicht verändern, höchstens nur beeinflussen indem wir vorleben, was uns wichtig ist – aber ohne(!) unsere Umwelt dafür zu kritisieren und zu attackieren, dass sie es nicht so tun wie wir.

    Ich hoffe das war nun verständlich und konnte ein wenig helfen.

    Alles Liebe und Gute

  8. admin on Dezember 8th, 2010
  9. Ein sehr schöner Text. Habe einen Freund, mit dem ich beinahe täglich viel Zeit verbringe. Leider habe ich mich schon oft dabei ertappt, wie ich kopfschüttelnd und missbilligend auf seine Fehler reagiert habe.

    Nachdem ich diesen Text gelesen habe, ist mir jedoch klar geworden, dass mein Freund regelrecht unter meiner genauen Beobachtung steht.

  10. ein zufälliger Gast on Februar 26th, 2013

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