Das Leben aus buddhistischer Sicht …

… als dynamischer Prozess zwischen Ursache und Wirkung

Leben aus buddhistischer Sicht beinhaltet automatisch auch die Erfahrung der drei Daseinsmerkmale Vergänglichkeit (anicca), Leid (dukkha) und Ich-Losigkeit (anatta).

1. Vergänglichkeit (anicca)

„Als Vergänglichkeit gilt der Dinge Entstehen, Vergehen und Anderswerden, oder das Schwinden der gewordenen, entstandenen Dinge. Der Sinn ist der, dass diese Dinge nie in derselben Weise verharren, sondern zergehen, indem sie sich von Augenblick zu Augenblick auflösen.”

(Vism. VIII.3)

Nichts in dieser Welt ist beständig: der Winter vergeht, um dem Frühling Platz zu machen und dieser weicht der Hitze des Sommers, welcher wiederum von Herbststürmen und fallenden Blättern abgelöst wird, die

schließlich wiederum vom Schnee des Winters zugedeckt werden. So wie die Jahreszeiten entstehen und vergehen, so ist es auch mit unserem Leben. Wir werden geboren, wachsen heran, erleben die „Blüte unseres Lebens”, altern und sterben schließlich. Und selbstverständlich gilt dies auch für geistige Objekte, wie z.B. Ideen. Auch sie kommen und (ver)gehen.

Wieso ist dem so? Weil alle Körperlichkeiten (rupa) und alle geistigen Objekte (nama) letztendlich durch winzige, subatomare Partikel – so genannte Kalapas – zusammengesetzt sind, welche wiederum selbst dem Prinzip der Vergänglichkeit unterworfen sind. Abhängig von den jeweils aktuellen Bedingungen finden sie sich in unterschiedlicher Kombination zusammen, um die materiellen und die geistigen Objekte zu formieren.

2. Leid (dukkha)

Das Leid entsteht, wenn wir versuchen, an den Phänomenen festzuhalten. Da alle Erscheinungen vergänglich sind, muss dies zu Frustration und Unzufriedenheit führen.
Um die Entstehung des Leidphänomens wirklich in der Tiefe zu verstehen, sollte man sich die zwölf-gliedrige Kette des bedingten Entstehens (pi. paticcasamuppada) vergegenwärtigen – so wird nachvollziehbar, wie Ursache und Wirkung die Phänomene, wie wir sie tagtäglich erleben, erzeugen:

1. Nichtwissen (pi. avijjā). Nichtwissen bedeutet hier das Nichtverstehen der Vier Edlen Wahrheiten Buddhas (siehe unten), das Nichtgewahrsein von der Leidhaftigkeit allen Lebens. Aus der Unwissenheit entstehen die

2. Gestaltungen (pi. sankhāra). Diese Gestaltungen werden auch karmische Formationskräfte genannt. Sie können heilsam (pi. kusala), nicht heilsam (pi. akusala) oder karmisch-neutral sein. Aus diesen Gestaltungen entsteht das

3. Bewusstsein (pi. viññana), welches die Grundlage für ein neues Leben bildet. Dieses Bewusstsein geht in den Mutterschoß ein, wählt die Bedingungen für ein zukünftiges Leben gemäß den karmischen Kräften, den Sanskāras, aus. Aus dem Bewusstsein entstehen dann

4. Geist und Materie (skt. nāma rūpa) sind alles, was das Geistige und Physische eines Neugeborenen bildet. Geist und Materie entstehen bedingt zusammen. Sie formieren

5. die sechs Sinnesorgane, das sind die herkömmlichen fünf Sinne und das Denken (pi. āyatana). Durch

6. Berührung oder Kontakt (pi. phassa) mit den äußeren Objekten entsteht

7. Empfindung (pi. vedanā). Aus der Empfindungserfahrung entsteht der

8. Durst (pi. tanhā). Es ist der Durst nach Sein, nach Werden, nach Entfaltung. Aufgrund dieses Durstes entsteht das

9. Ergreifen (pi. upādāna). Das Ergreifen führt zum

10. Werden (pi. bhava). Dieses Werden führt dann zu einer neuen

11. Geburt (pi. jāti). Aufgrund von Geburt gibt es

12. Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung (pi. jamāranaṃ sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā).

3. Ich-Losigkeit, „Leerheit” (anatta)

Wenn sich die Zusammensetzung der Objekte ständig ändert, kann es auch kein “dauerhaft in dem Objekt wohnendes”, also beständiges “Selbst” geben. Alle Erscheinungen sind daher ihrer Natur nach “leer”. Die Dinge entstehen und vergehen in jeder Sekunde – nur durch das Zusammenspiel von Ursache und Wirkung bedingt.

Die Natur des Lebens akzeptieren und den Pfad zur Befreiung vom Leid beschreiten

Selbstverständlich kann und soll es nicht Ziel sein, aufgrund der Kenntnis der drei Daseinsmerkmale in Verzweiflung und Passivität zu verfallen. Vielmehr hat Buddha uns zahlreiche, wertvolle Werkzeuge mit auf den Weg gegeben, damit wir unser Verständnis vom Leben vertiefen und uns in eigener Verantwortung und Initiative vom Leid des Daseinskreislaufes befreien können.

Die vier edlen Wahrheiten

Sie sind gleichzeitig Kern und Grundlage aller buddhistischen Traditionen.

Sie lauten:

1. Das Leben im Daseinskreislauf ist leidvoll.
2. Die Ursachen des Leidens sind Begehren, Hass und Unwissenheit.
3. Durch das Erlöschen der Ursachen erlischt das Leiden.
4. Zum Erlöschen der Ursachen führt der Edle Achtfache Pfad.

Die vordergründige Betonung des „Leids” mag auf einige Menschen deprimierend wirken. Dahinter verbirgt sich jedoch ein großes Geschenk: Die vier edlen Wahrheiten machen deutlich, dass wir selbst den Schlüssel zur Beendigung unseres Leids in den eigenen Händen halten – denn nur wir selbst können durch die Transformation unseres eigenen Geistes das Leid verringern. Und das Beste daran: Buddha hat uns sogleich auch den Weg dorthin gezeigt.

Der Edle Achtfache Pfad

Er dient als Richtschnur, um die Ursachen des Leids zu überwinden und dadurch zu einem erfüllteren Leben zu finden. Letztendlich geht es dabei immer um die Kultivierung von heilsamen Handlungen oder Tugenden (sila), Erlernen der Konzentration und Sammlung (samatha) sowie dem Erlangen von Weisheit (panna). Die acht Glieder des Pfades lauten:

1. Rechte Anschauung
2. Rechte Absicht
3. Rechte Rede
4. Rechtes Handeln
5. Rechter Lebenserwerb
6. Rechtes Streben und Praktizieren
7. Rechte Achtsamkeit
8. Rechte Sammlung (Vertiefung).

Wenn wir nach und nach beginnen, die vier edlen Wahrheiten sowie den edlen achtfachen Pfad in unseren Alltag zu integrieren, werden wir bereits nach kurzer Zeit feststellen, dass unser Leben freier und glücklicher wird. Durch die neu gewonnene innere Zufriedenheit und Gelassenheit können uns die Wechselfälle des Lebens nicht mehr so leicht aus der Bahn werfen. Auf diese Art und Weise leisten wir einen wertvollen Beitrag für mehr Lebensqualität – nicht nur für uns selbst, sondern für alle unsere Mitlebewesen.

4. Juli 2008