Loslassen und Aufnehmen

Interview mit Dr. Thynn Thynn, einer burmesischen Dharma-Lehrerin. (Quelle: www.buddhanet.net)

Warum ist das Loslassen von solch großer Bedeutung im Buddhismus?

Der Begriff “Loslassen” ist in buddhistischen Kreisen zu einem Schlüsselbegriff geworden. Es stimmt, dass „Loslassen“ unabdingbar für das Erreichen inneren Friedens ist, man muss jedoch verstehen wie man loslässt.

Was sollen wir denn loslassen?

Unsere Anhaftung. Lassen sie die Begierde als Motivation hinter allem was sie tun los. Es mag die Begierde sein erfolgreich zu sein, perfekt zu sein, andere zu kontrollieren oder gar sich selbst zu glorifizieren. Es ist nicht wichtig, was genau es ist; was von Bedeutung ist, ist die Begierde, die hinter der Handlung steht. Man verwechselt hier leicht die Handlung selbst mit Begierde.
Loslassen heißt also loslassen von Anhaftung an Begierde, nicht loslassen der Handlung selbst?
Es geht uns darum, Emotionen zu erkennen und zu stoppen. Versuchen sie einmal, eine Handlung zu stoppen und zu betrachten. Schauen sie, ob sie die Begierde erkennen können, die die Handlung antreibt. Wenn sie die Begierde erkennen, dann können sie auch die Anhaftung an sie loslassen. Wenn sie Anhaftung wirklich erkennen, wird sie sich auflösen und sie lassen spontan los.

Aber es gibt so viele Dinge in unserem Leben, denen wir nicht entsagen wollen.

Natürlich. Wir lassen ja auch nicht nur um des Loslassens Willen los. Es gibt eine Parapel über einen Zen-Meister dessen Schüler fragte: „Ich habe nun alles in meinem Geist losgelassen, was mache ich als nächstes?“ „Heb’s auf!” antwortete der Meister. Der Meister zeigte dem Schüler, das pures Loslassen, nur um immer und immer mehr loszulassen nicht der richtige Weg ist. Das wäre dann purer Nihilismus und kein wirkliches Verständnis des Loslassens.
Wenn wir an das Konzept des Loslassens gebunden sind, können wir nicht frei sein. Wenn wir nicht frei sind, kann das Verständnis oder die Weisheit – panna – nicht entstehen. Wenn wir aber wahrhaft unsere Anhaftung an die Begierde sehen und loslassen können, dann wird unsere Handlung zu einer reinen Handlung, ohne jegliche Anwesenheit von Anspannung oder Frustration. Wenn unsere Handlungen rein und einfach sind, können wir mehr mit weniger Stress erreichen. An diesem Punkt „nimmst du auf“, sobald du „loslässt“.

Warum aber ist Loslassen so schwierig? Ich kann meine anderen Emotionen wie Ärger und Hass durchaus gut beobachten, aber es ist um ein Vieles schwieriger Begierde und Anhaftung wirklich zu erkennen.

Wir sehen Begierde und Anhaftung nicht so leicht, da sie starken Emotionen wie Ärger und Hass vorhergehen. Unsere mentalen Formationen treten so schnell auf und verändern sich so schnell, dass wir normalerweise nur starke und hervorstechende Emotionen identifizieren können. Begierde und Anhaftung sind viel subtiler, es benötigt starke Konzentration – samadhi – um sie klar und deutliche sehen zu können.
Wir alle wurden von klein auf konditioniert, alles auf unser Selbst zu beziehen. Sobald man lernt Personen und Dinge wahrzunehmen, beginnen wir, sie auf unser „Ich“ zu beziehen und als „mein“ anzusehen – meine Mama, mein Papa, mein Spielzeug, usw. Wachsen wir auf, bringt man uns bei, nun anstelle der Spielsachen Ideen und Konzepte auf unser Selbst zu beziehen. Das müssen wir lernen, um in der Gesellschaft angemessen zu funktionieren.
Aber gleichzeitig kreiert dieser Prozess langsam und unbewusst das, was wir dann unsere eigene Persönlichkeit nennen und baut unser Ego auf. Dieser Aufbau unseres Egos wird durch gesellschaftliche Werte weiter gestärkt. Wir lernen uns zu beweisen, zu konkurrieren, uns durchzusetzen, Wissen, Wohlstand und Macht anzuhäufen. In anderen Worten: Wir werden darin trainiert, anzueignen und anzuhaften.
Zu dem Zeitpunkt, an dem wir bereits erwachsen sind, ist unser Selbst-Bild so real geworden, dass es sehr schwierig wird zu unterscheiden was Illusion und was Realität ist. Es ist schwer zu realisieren, dass „Ich“ und „mein“ nur vorübergehend, relativ und veränderbar sind. Das gleiche gilt für alles, was wir auf dieses „Ich“ und „mein“ beziehen. Versteht man „Ich“ und „mein“ nicht als nur vorübergehend, kämpfen wir um ihre Dauerhaftigkeit; und so haften wir an ihnen an. Die Begierde, alles als dauerhaft und permanent zu bewahren ist die Ursache dafür, dass uns das Loslassen so unglaublich schwer fällt.

Ich habe aber immer noch Schwierigkeiten damit, die buddhistische Idee des Selbst als Illusion zu akzeptieren.

Sie sind ja auch so gewohnt derartig mit „Ich“ und „mein“ umzugehen, so gewohnt, unser „Selbst“ als real zu sehen. Daher ist es nur natürlich, Schwierigkeiten mit der buddhistischen Denkweise zu haben. „Ich“ und „mein“ – beides Illusionen – können nur überleben, wenn das „Ich“ an den Illusionen anhaftet, die es selbst kreiert hat. Das „Ich“ haftet an allen möglichen mentalen „Besitztümern“ an – seien sie Macht, Reichtum, sozialer Status, was auch immer. Diese sind aber selbst bloß konzeptuelle Schöpfungen des Geistes – kurz: Illusionen.

Wenn aber das “Ich” eine Illusion ist und nicht die Realität, wie kann dann das “Ich” das “Ich” loswerden?

Wie wird man etwas los, das niemals war?

Nun ich habe das Gefühl, dass wenn ich das „Ich“ und „mein“ loslasse, ginge meine Identität verloren. Wie kann ich existieren, wenn ich von allem losgelassen habe? Wird man dann nicht kaltherzig und gefühllos? Es hört sich schon etwas gruselig an, als lebe man in einem Vakuum.

Man muss hier verstehen, dass wir lediglich eine Illusion verlieren würden. Es hat niemals existiert. Wir entfernen die Selbstillusion aus unserem Geist. Lasse einfach von der Illusion los.
Und in Wirklichkeit verlieren wir gar nichts. Man nimmt bloß einen imaginären Filter von unseren Augen (Projektionsfläche). Durch diesen Prozess erlangen wir Weisheit – panna. Aus dieser Weisheit entwickeln wir die 4 Tugenden: bedingungslose Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut. Wenn man panna besitzt, kann man die umfassende Schönheit und Wärme, die zwischen allen menschlichen Beziehungen existiert wirklich erfahren. Daher bedeutet Loslassen nicht den Verlust eines illusionären Egos. Wir enthüllen in Wirklichkeit einen wertvolle Schatz.

Dr. Thynn Thynn wurde in Burma geboren und ist pensionierte Physikerin und mittlerweile Dharma-Lehrerin. Sie stammt aus der Shwe Baw Gyun Tradition, einer buddhistischen Tradition aus Burma und lehrt “klassischen Buddhismus” und “Vipassana im Alltag”. Des weiteren legt sie besonderen Wert darauf, die Abhidharma-Lehren der buddhistischen Psychologie in alltägliche Achtsamkeitsübungen zu integrieren.

1. Oktober 2008

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