Vietnamesische und tibetische Tradition im Zeichen des Medizinbuddhas

MedizinbuddhaMehr als 300 Menschen nahmen am letzten Wochenende an den Feierlichkeiten zu Ehren des Medizinbuddhas teil. Die Errichtung des Sandmandalas und all die anderen Aktivitäten unserer Gäste, der tibetischen Mönche, waren die ideale Vorbereitung für das diesjährige Medizinbuddha-Fest.

Nachdem die tibetischen Mönche die Dharmabeschützer eingeladen hatten, Ort und Veranstaltung zu schützen, wurde das Medizinbuddha-Sutra nach der Eröffnungszeremonie durch die vietnamesischen Mönche in tibetischer Sprache rezitiert. Der tiefe, sonore Klang der tibetischen Rezitation drang direkt in die Herzen der Besucher.

Die Segnung des Wassers …

Nach der Mittagspause wurde das Wasser sowohl nach vietnamesischer als auch nach tibetischer Tradition gesegnet. Die Besucher hatten wie jedes Jahr die Gelegenheit, eine Wasserflasche mit ihrem Namen oder dem eines nahestehenden Menschen zu versehen und diese auf dem Altar des Medizinbuddhas zu platzieren. Durch die zeremonielle Segnung und durch die fortlaufenden Rezitationen des Medizinbuddha-Sutras und –Mantras wird die heilende Energie des Medizinbuddhas der Überlieferung nach auf das Wasser übertragen und kann so die Selbstheilungsprozesse der Empfänger unterstützen.

Wir tragen so viel Wissen und Erfahrung in uns …

In seiner an die Segnung anschließenden Dharmarede sprach der Ehrw. Abt Thich Thien Son anlässlich des Medizinbuddha-Fests darüber, wie wichtig es ist, sich auf die in uns verborgenen (Selbstheilungs)-Kräfte zu besinnen. Dazu ist es hilfreich, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, wie viel Wissen, Erfahrung und damit Potenzial, wir durch die Übertragung von unseren Vorfahren bereits in uns tragen. Im Zuge von Alltagsstress und Befindlichkeitsstörungen wie z.B. Winterdepressionen neigen wir dazu, dies zu vergessen. Wir verweilen in unserem subjektiv empfundenen Leid und warten sehnsüchtig darauf, dass uns jemand von außen heraus hilft. Wenn wir es schaffen, uns in derartigen Situationen daran zu erinnern, was unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern an Schwierigkeiten in ihrem Leben überwunden haben, kann uns das weiter helfen.

Zum einen relativiert sich auf diese Weise Vieles schnell – in der heutigen Zeit können wir uns zumindest im Westen kaum mehr vorstellen, ohne Strom und fließendes Wasser und damit unter entsprechenden hygienischen Bedingungen leben zu müssen. Unsere Ururgroßeltern konnten auch nicht mal eben auf die Schnelle zum Supermarkt fahren und für die Familie Lebensmittel einkaufen. Die Nahrung musste erstmal entsprechend gejagt oder geerntet werden.

Zum anderen können wir uns auf all die angesammelten Kräfte besinnen, die über unsere Vorfahren auch tief in uns, sprichwörtlich in unserem Blut, vorhanden sind: All das Wissen und die reichhaltigen Lebenserfahrungen haben ihre Spuren in uns hinterlassen, sie liegen vergleichbar mit Samenkörnern in unserem Bewusstsein bereit. Es liegt nun an uns, uns in Dankbarkeit darauf zu besinnen und auf diese Ressourcen in Zeiten persönlicher Not zurückzugreifen.

Gier, Hass und Verblendung überwinden …

Ein weiteres Thema der Dharmarede waren die drei so genannten geistigen Gifte, Gier, Hass und Verblendung, die nach buddhistischer Lehre die Ursache für unser Leid sind. Es ist wichtig zu verstehen, so der Abt der Pagode, dass die drei Gifte eigentlich Ausdruck oder Folge von Unsicherheit (Gier), fehlender Liebe (Hass) und Unwissen (Verblendung) sind. Alle drei „Gifte“ können lebensgeschichtlich bedingt, von einer Generation zur nächsten übertragen werden.

Wenn unsere Vorfahren beispielsweise aufgrund von Krieg und Verfolgung ihr Land verlassen mussten, werden sich die daraus entstehenden Ängste und Unsicherheiten in irgendeiner Form in ihnen niederschlagen. In der Folge werden sie diese Erfahrungen in ihrem Verhalten und vor allem auch in der Erziehung ihrer Kinder weitergeben. Wenn wir die Entstehung und Dynamik der drei Gifte auf diese Weise verstehen, wird uns auch bewusst, wie wichtig es ist, diese „destruktiven Übertragungslinien“ im Hier und Jetzt zu unterbrechen. Nicht nur für uns , sondern vor allem auch für die Zukunft unserer Nachkommen. In der buddhistischen Alltagspraxis geht es darum, das Unheilsame zu stoppen und gezielt das Heilsame zu fördern.

Meditation, Rezitation und Heilungssegen …

Nach dem Abendessen gab es eine geführte Lichtmeditation auf den lapislazuliblauen Medizinbuddha. Danach wurde das Mantra des Medizinbuddhas auf tibetisch und vietnamesisch rezitiert und die Besucher konnten ihre persönlichen Wünsche über Knoten in 5-farbige Glücksbänder weben und sich einen Heilungssegen von dem tibetischen Meister, Geshe Lobsang Tsultrim, geben lassen.

Das Sandmandala der Vergänglichkeit übergeben …

Auch am Sonntag wurden das Sutra und das Mantra des Medizinbuddhas mit Hingabe rezitiert. Unbestreitbarer Höhepunkt des Tages war jedoch zum Abschluss des Medizinbuddha-Fests die rituelle Auflösung des Medizinbuddha-Sandmandalas durch die tibetischen Mönche. Unter der Begleitung von zeremoniellen Gesängen, effektvoll unterstützt durch Trommel, Zimbeln und tibetischen Hörnern, wurde das Universum des Medizinbuddhas der Vergänglichkeit überführt. Da jedes Sandkorn Träger der heilenden und reinigenden Energie des Medizinbuddhas ist, sollte der Sand, mit Respekt behandelt werden. Leider ist es nicht immer möglich, eine Beschmutzung der Sandpartikel zu verhindern. Daher wird empfohlen, das Sandmandala nach seiner Auflösung einem natürlichen Gewässer zu überführen. Auf diese Weise kommt die Heilenergie des Medizinbuddhas auch den Wesen in dem Gewässer zu Gute und wird durch den Strom des Wassers in die Welt hinausgetragen. Darüber hinaus versinnbildlicht dieser Brauch das im Buddhismus so zentrale Prinzip der Vergänglichkeit.

Ob Freude, Schmerz oder ein Kunstwerk: Alles ist vergänglich!

10. November 2009

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