“Wir brauchen Gefühle, um zu überleben”

dsc_4342Was uns nicht berührt, verwandelt uns nicht” – mit diesem Zitat von C.G. Jung startete Sylvia Wetzel gestern ihren Abendvortrag vor mehr als 80 Zuhörern zum Thema „Gefühle und Emotionen”. Was verstehen wir eigentlich unter „Gefühl”? Je nach kulturellem und religiösem Hintergrund werden Gefühle unterschiedlich definiert. Aus buddhistischer Sicht gibt es lediglich angenehme, unangenehme und neutrale Gefühle (vedana).

Der Pali-Ausdruck vedana kann am besten mit „Grundgefühl” übersetzt werden. Alles andere, wie z.B. Angst, Wut und Hass sind Reaktionen auf diese Grundgefühle – es sind Emotionen.

Wir kennen das alle: In bestimmten Situationen reagieren wir auf ernüchternd vorhersehbare Weise mit beispielsweise Neid, Eifersucht oder Zorn. Unser ganzes „System” ist in Aufregung. Diese Art von Reaktionsmustern brauchen wir eigentlich nicht. Aber sie geben uns Auskunft über unsere Gewohnheitsstrukturen und gewähren uns daher interessante Einblicke in unsere Persönlichkeit. Wir lernen, wie wir „ticken”. Haben wir sie anhand von Übungen und Reflektion durchschaut, können wir sie getrost loslassen.

dsc_4340Ganz anders verhält es sich mit den Grundgefühlen angenehm, unangenehm und neutral. Wir brauchen sie zum Überleben in dieser Welt. „Wenn ich auf einer Nadel sitze, muss ich imstande sein, diesen Gefühlseindruck zu bewerten, sonst stehe ich nicht auf”, so Sylvia Wetzel in ihrem Vortrag. „Wenn ich es nicht merke, dass es zieht, wenn es mir kein unangenehmes Gefühl gibt, erkälte ich mich.” Wir müssen in der Lage sein, Sinneswahrnehmungen bewerten zu können, d.h. wir benötigen die Fähigkeit zwischen angenehmen, unangenehmen und neutralen Gefühlseindrücken unterscheiden zu können.

Nun ist es so, dass wir dazu neigen, die angenehmen Gefühle festhalten zu wollen. Wir wollen mehr davon, anders ausgedrückt, die Gier erwacht. In der Meditation fühlen wir uns leicht und frei, wir wollen mehr davon, egal ob unsere Knie und der Rücken schmerzen. Die Schokolade ist so lecker, wir geben keine Ruhe, bis wir die ganze Tafel verspeist haben.

dsc_4284Die unangenehmen Gefühlseindrücke wollen wir eigentlich gar nicht haben – am liebsten würden wir sie sofort wegschieben – ganz weit weg. Wie wir das machen, hängt wiederum ab von unserem Geschlecht, unserer Kultur und wie wir aufgewachsen sind. Wir reagieren mit unseren eingefahrenen Abwehrmechanismen. Im Westen rationalisieren wir unangenehme Gefühle gerne weg, „Ich meditiere schon viel länger als Du. Eifersucht kenne ich nicht mehr.” Objektivieren ist auch sehr beliebt: „Du verhälst Dich völlig unbuddhistisch!” oder „Also für den Westen ist das völlig unangemessen.” Die neutralen Gefühle ignorieren wir gerne. Viele Menschen empfinden sie als langweilig und irgendwie „unlebendig”.

Eine gute Methode, um „effektiv” an die eigenen Gefühle und Emotionen heranzukommen, ist ein Schweigeretreat. „Schweigen ist wie ein Deckel auf dem Topf – man wird schneller gar.” Die Möglichkeit, Gefühle und die Reaktionen darauf über Reden abzureagieren entfällt und so begegnen wir den Untiefen unserer Gefühlswelt intensiver.

Wie können wir nun mit unseren Gefühlen und Emotionen heilsam umgehen?

Erstmal müssen wir sie kennen lernen – in welchen Situationen treten welche Gefühle/Emotionen auf? Was mache ich dann typischerweise damit? Dies können wir im Rahmen von entsprechenden Übungen erforschen, aber auch mit Hilfe unserer Meditationspraxis.

dsc_4301Auf die Frage, wie häufig man/frau denn meditieren solle, antwortete Wetzel „häufiger als nicht”. Es kommt auf die zugrunde liegende Persönlichkeitsstruktur an. Grundsätzlich aber gilt, dass der spirituelle Weg nicht als „Über-Ich-Projekt” funktioniert – jedenfalls nicht langfristig. „Im Westen hält man die regelmäßige Meditationspraxis als Über-Ich-Projekt vielleicht ein halbes Jahr durch. Dann sucht man sich was Anderes.” Erhobener Zeigefinger und Disziplin reichen als alleinige Basis auf dem spirituellen Weg nicht aus. „Aber als Kinder-Ich-Projekt funktioniert es auch nicht: Wenn ich nur noch meditieren will, weil ich da immer so tolle Abenteuer erlebe”, wird man die Meditationspraxis auch nicht lange durchhalten, sie erweist sich als Strohfeuer.

Man braucht also eine gute Portion „Erwachsenen-Ich”, um dem spirituellen Weg treu bleiben zu können. Hier und da ist ein „reality-check” äußerst empfehlenswert. Dazu benötigen wir einen inneren Moderator – dies gilt nicht nur für die Meditation, sondern selbstverständlich auch für unseren Alltag.

15. März 2009

Noch keine Kommentare.

Einen Kommentar hinterlassen