Der Reiher und der Krebs

img_9315Die folgende Geschichte basiert auf einer der Jatakas, den Erzählungen über die vorherigen Leben des Buddha. Aus Anlass des diesjährigen Laternenfestes in der Pagode hat sich die junge Sangha mit viel Spaß daran gemacht, ein Theaterstück zu einer dieser Geschichten zu schreiben. Hue Gioi übernahm das Drehbuch, verteilte die Rollen und schnell entstand ein lustiges, spannendes – streckenweise ganz schön grausames – Theaterstück, das bei den Kinder aber sehr gut ankam. Wir haben uns entschieden, die Bühnenanweisungen auszuformulieren und die Geschichte vom Reiher und vom Krebs in unserer Version unseren lieben Blog-Lesern zuzumuten. Viel Spaß beim Lesen.

Einst saß der Buddha unter einem großen Feigenbaum am Rande eines kühlen Lotusteiches mit glasklarem Wasser. Um sich herum hatte sich eine kleine Gruppe Kinder geschart, denen er ab und an Geschichten aus seinen vorherigen Leben erzählte. Die Kinder liebten diese Geschichten, da sie lustig, spannend, traurig und am Ende sogar lehrreich waren. Sie hörten da von Affenkönigen, Baumgeistern, Elefanten, gefräßigen Krokodilen und hinterhältigen Jägern. Und stets war eine der in der Geschichte vorkommenden Personen der Buddha in einer seiner vorherigen Wiedergeburten. Auch heute erzählte der Buddha eine dieser Geschichten. Die Kinder spitzten ihre Ohren und rückten ein kleines Stückchen näher, als der Buddha zu erzählen begann:

„Kinder, bevor ich ein Buddha, ein vollkommen Erwachter wurde, lebte ich viele tausend Leben in anderer Form: Als Stein, als Pflanzen und Vögel, Affen und Elefanten und unzählige als Mensch. Die heutige Geschichte trug sich vor abertausenden von Lebzeiten zu. Es ist die Geschichte von einem Reiher, einem Krebs, einem Baum und vielen, vielen kleinen Schrimps und einem Fisch.

In jenem Leben war ich der Baum – ein Lumeria-Baum um es genau zu sagen. Vielleicht war ja einer oder eine von euch einer der vielen Schrimps, der Krebs oder der Reiher. Der Reiher, sage ich euch, war jedoch ein übles, hinterhältiges und gemeines Geschöpf, das vielen anderen Lebewesen Leid und Tod brachte.

Und selbst mich, den Baum, ließ der Reiher leiden. Ihr fragt euch sicherlich wie, aber um das zu hören, müsst ihr euch noch ein wenig gedulden…“ Die Kinder grinsten einander zu. Sie waren alle gleichermaßen voller Vorfreude.

„Ich war in jener Zeit der besagte Plumeria-Baum. Ich stand in der Nähe eines großen und glasklaren Lotusteichs, ähnlich wie diesem hier neben uns.“ Der Buddha ließ seinen Blick über das klare, kühle Wasser schweifen, das ruhig und still neben ihm und den kleinen Zuhörern die Lotuspflanzen umspielte. „In diesem Lotusteich lebte kein einziger Fisch. Doch nicht weit von hier lag ein weiterer Teich. Dieser war um ein vielfaches kleiner, arm an Nahrung, reich an stickigen Algen. Das Wasser roch äußerst unangenehm – es stand den ganzen Tag in der Sonne. In diesem engen und stinkigen Gewässer kämpften die vielen Teichbewohner um ihren Platz: Der Fisch, die Schrimpfamilie und der Krebs:

<<He, sie da, gehen sie sofort von meiner Flosse herunter>>, Frau Fisch präsentierte einen äußerst empörten Gesichtsausdruck mit weit aufgerissenen Augen und stellte erbost ihre Rückenflosse auf. <<Behalten sie doch einmal ihre Fühler bei sich, Madame Schrimp!>>

<<Was beschweren sie sisch denn über’aupt? Sie schwimmen in meinem privatem Schwimmbereisch, sie…sie…>> entgegnete Madame Schrimp auf ihre spitze Art und Weise. Ihr Mann, Monsieur Schrimp war zugleich zur Stelle und fügte hinzu:

<< Oui Oui, ganz rescht. Isch ‚abe mir erst vor kurzem dieses Stück Teisch mit ‚art erarbeitetem Plankton für misch und meine ‚eisgeliebte Frau und mein ‚erzallerliebstes Kind gekauft. Suchen sie sisch ihre eigene Bereisch!>>

Da meldete sich das Schrimpkind zu Wort <<Mir ist das ‚ier alles zu eng…wann sind wir denn endlisch in dem neuen Teischgebiet, das Papa uns gekauft hat?>>

<<Wir SIND schon da!>> polterten da die Eltern zurück.

Der kleine unzufriedene und sich missverstanden fühlende Schrimp drängelte sich durch die sich wichtig fühlenden Erwachsenen und erkundete mit seinen Fühlern die anderen kleinen Ecken des Teiches. Er kam nicht weit, denn dazu war es zu eng – er stieß mit Miss Scampi zusammen, einer Schrimpdame aus guter Schale und einem feinen Gespür für Etikette.

<<Madame Schrimp! Monsieur Schrimp! Ihr Kind schwimmt in meinem privaten Schwimmbereich.>> sie klapperte dabei aufgeregt mit ihren Panzerteilen und ihre Fühler wuselten derartig wild durch das trübe Wasser, dass ihre teure Brille verrutschte.

<<Ich muss mich ja wirklich empören. Entfernen sie ihr Kind sofort oder ich… ich….oder ich muss mich noch mehr empören…>>

<< GENUG, GENUG>> der Krebs schob sich, seine riesige Schere voran, zwischen die sich streitenden Teichbewohner. Seine abstehenden Krebsaugen beäugten das Geschehen durch dicke Brillengläser. Der Krebs baute sich ein bisschen auf, um nicht mehr so klein zu wirken und bemühte sich sehr, einen wichtigen Eindruck zu machen.

<<Eigentlich ist doch genug Platz für alle da. Wenn ihr nur einmal aufhören würdet, euch ständig zu beschweren…>> die Schrimpeltern, der Frau Fisch und selbst Miss Scampi sengten betroffen ihre Köpfe. Nur der kleine Schrimp wirbelte durch das Wasser und untersuchte mit großem Interesse den Panzer des alten Krebses.

<<Was wir nun brauchen ist Struktur. Wir müssen den maximalen Platzanteil jedes Einzelnen anhand der Gesamtfläche des Teiches…>> weiter kam Herr Krebs nicht. Der kleine Schrimp hatte begonnen, den Panzer des Krebses zu erklimmen.

<< HEY DU! Das ist MEIN Panzer. RAUS aus meinem Schwimmbereich!>>

<< Ich war aber zu erst da>> gab der kleine Schrimp herausfordernd zurück, verzog sich jedoch ganz schnell hinter die Panzer seiner Eltern, als der Krebs seine große, rote Schere erhob und drohend damit zu schnappen anfing.

Wir ihr seht Kinder, herrschte in diesem Teich eine wirklich unangenehme Stimmung. Niemand fühlte sich dort wohl. Man stritt sich um jeden Zentimeter, anstatt gemeinsam das Beste aus der Situation zu machen. Eines Tages flog da ein Reiher über den Teich hinweg und bemerkte die beengte Situation der Fische und Krabben.

<< Mensch, da schau sich doch mal einer die armen Bewohner dieses dreckigen Tümpels an.>> krächzte der Reiher mit seiner hohen und stets verschnupft klingenden Stimme und flog herab an den Rand des Teiches, in dem sich die Teichbewohner immer noch munter stritten, wer denn nun zuerst wem auf die Flosse getreten oder auf den Panzer geklettert sei und wem welcher Platz im Teich bereits wie lange gehöre.

<<Die hocken da aufeinander, haben kaum etwas zu Essen und tun nichts anderes als sich Streiten. Wenn die wüssten, dass es nicht weit von hier einen großen frischen Lotusteich gibt, würden die bestimmt alles dafür tun, dorthin zu gelangen…Hey, ich könnte sie ja eigentlich dorthin bringen. Ich habe einen starken Flügelschlag und könnte sich in meinem Schnabel herüberfliegen…wenn ich nicht einen solch schrecklichen Hunger hätte…>> einige Sekunden blieb der Reiher mit dumpfem Gesicht da sitzen und guckte ins Leere.

<<HEY…Moment mal! Ich könnte ja nur so tun, als würde ich sie in den anderen Teich bringen, anstatt dessen fresse ich sie aber einfach auf>> der Reiher klapperte aufgeregt mit seinem Schnabel. Denn solch schlaue Einfälle hatte dieser Reiher äußerst selten. Er lachte ein gemeines Reiherlachen, das bei ihm für gewöhnlich mit einem lauten Niesen endete. <<Haaahaha haa…ha…HATSCHI!>> Er rieb seinen Schnabel im Gefieder und erholte sich nach diesem gewaltigen Niesen. Nun hüpfte der Reiher näher an das Wasser heran. Er atmete einmal tief ein und aus. Sein Gesicht nahm für kurze Zeit einen konzentrierten Ausdruck an und dann:

<<BUUUUHUUUUU….BUHUUUU….>> der Reiher vergrub seinen Kopf im Gefieder. Er tat so als ob er weine. Nur ab und an, hob er den Kopf um zu sehen, ob die Teichbewohner ihn bemerkten. <<BUU…..HUUU…BU…HU…HUU. Ich bin sooo traurig…sooo traurig!>>

Die Teichbewohner bemerkten plötzlich das laute Geheule und das Geräusch von auf die Wasseroberfläche fallenden Tränen. Ein weinender Reiher am Rande ihres stinkenden Tümpels – das war aber mal etwas Neues. Der Krebs traute sich als erstes hervor und sprach: << He, Onkel Reiher, Onkel Reiher. Was…was reiherst du denn hier so…was reiherst du denn hier so viel herum? Der ganze Teich wird ja ganz nass!>>

<< Aber Herr Reiher, was sind sie denn so traurig? Ist ihnen nicht gut? >> Nun schaltete sich auch Frau Fisch ein.

Der Reiher jubelte innerlich über die Leichtgläubigkeit der Teichbewohner und machte einen gedanklichen Luftsprung. Da erinnerte er sich daran, ja ein trauriger Reiher sein zu müssen und konzentrierte sich wieder auf das Trauerreiherspiel.

<< Traurig? Wer denn…ICH?…Ob ICH traurig bin?>> der Reiher schaute die Teichbewohner mit großen Augen an, bevor er zu einem neuerlichen Heulen ansetzte << Ja, ich bin ja SO unglaublich traurig. BU..HUUU>>

<<Aber warum ziehst du denn so ein langes Gesischt?>> meldete sich Monsieur Schrimp zu Wort. <<Nun sagen sie schon, was ist denn nur los?>>

<<Ach, es ist ja so schrecklich traurig. Ich habe so ein unglaubliches Mitleid mit euch und eurem Leben in diesem engen, stinkenden und trüben Teich. Euch fehlt es an richtiger Nahrung, ihr seid ja alle ganz dünn und schlapp. Und genügend Raum zum schwimmen scheint ihr auch nicht zu haben…>>

Die Teichbewohner fingen daraufhin an dem Reiher mit traurigen Gesichtern zuzustimmen. Jaja, sagte der Krebs. Oui Oui, sagte Familie Schrimp. Allerdings, sagte Frau Scampi. <<…ich habe so ein großes Mitleid mit euch und eurem harten, harten Leben. Daher bin ich so unglaublich traurig>> Erneut fielen dicke Tropfen auf die Wasseroberfläche, gefolgt von lautem Gejaule und Gekrächze.

<<Aber was sollen wir denn dagegen tun?>> fragte Frau Fisch. Es ging ihr allmählich zu weit mit dem Geweine ohne Lösung des Problems.

<<Ja, Onkel Reiher. Sagen sie uns doch einmal aus ihrer Perspektive, wie wir unseren Zustand hier verbessern können. Immerhin können sie das ganze ja aus der Vogel-Perspektive betrachten. Das ist für uns etwas ganz Neues, wissen sie?>> ermunterte der Krebs den Reiher

<<Nuun>> begann der Reiher mit eindeutig aufgesetzt freundlicher Miene <<dort drüben, nicht weit von hier, befindet sich ein weiterer Teich, voll mit glasklarem Wasser, reich an Nahrung und viiiel Platz.>>

Die Augen der Teichbewohner wurden mit jedem Wort größer. Nur der Krebs behielt einen skeptischen Blick auf hinter seinen dicken Brillengläsern.

<<Wenn ihr mir erlauben würdet, euch einen nach dem anderen hinüber zu dem anderen Teich zu bringen>> fuhr der Reiher fort << dann könnte ich euch dort in das frische Wasser setzen und ihr hättet ein wunderschönes, sorgenfreies Leben.>>

<<Nuun, Herr lieber Onkel Reiher sie.>> baute sich der Krebs erneut auf <<Wir würden ihnen ja sehr gerne glauben. Aber…>> er hob seine große Schere und bewegte sie wie einen aufgerichteten Zeigefinger – es hatte beinahe etwas von einem Lehrer, der seinen Schülern mal wieder zeigen muss, wie viel er weiß. <<Aaber…ich bin mir irgendwie ziemlich sicher, dass sich ein Reiher – so einer sind sie ja, nicht wahr – dass sich ein Reiher aus dem Schicksal von Fischen und Schrimps nicht wirklich viel macht…Reiher tun mit solchen Tieren für gewöhnlich ganz andere Dinge….nämlich….sie FRESSEN, so steht es in den Biologiebüchern geschrieben!>>

<<Fressen? Ich? Euch? Warum seid ihr denn so misstrauisch? Ihr solltet mich lieber als euren freundlichen Onkel betrachten.>> sprach der Reiher mit süßer Stimme. <<Ich habe doch gar keinen Grund, euch zu hintergehen>> Dabei schlug er wild mit seinen Flügeln, um das Gesagte zu betonen. <<Dort ist wirklich, wirklich ein großer Teich, nicht weit von hier. Wenn ihr mir das nicht glaubt, so lasst mich doch einen von euch herüber fliegen, damit er es mit eigenen Augen sehen kann. Dann fliege ich ihn zurück und er berichtet euch alles, was er gesehen hat. Ist das nicht eine tolle Idee?>>

Mit großen Augen starrte der Reiher die Teichbewohner an. Diese blicken skeptisch zurück.

<<Ok Leute, Gruppenbesprechung>> stieß der Krebs hervor. Die Teichbewohner versammelten sich Kopf an Kopf und berieten die Situation. Der Reiher versuchte ihre Worte zu verstehen, hörte jedoch nur blubberndes Geflüster. Der Krebs, der Fisch und die Schrimps diskutierten ausgiebig, was zu tun sein. Sie alle wollten wissen, ob es den Teich tatsächlich gäbe, aber niemand wollte freiwillig mit dem Reiher mitfliegen – er schien ihnen einfach nicht ganz geheuer. Da zwickte der Krebs die alte Fischdame in die Rückenflosse. <<Auu au au au au!>> schrie Frau Fisch laut auf und schoss in die Mitte des Kreises der Teichbewohner.

<<HA, eine Freiwillige, sie möchte mit dem Reiher fliegen!>> rief der Krebs und alle stimmten ein. Die arme Fischdame war ausgetrickst worden und sollte nun mit dem Reiher den Flug ins Unbekannte antreten.

<<Ok, ok. Ich fliege zuerst, aber ich warne sie, Herr Reiher – kommen sie ja nicht auf dumme Gedanken. Ich mag eine alte Fischdame sein, aber ich bin zäh wie Leder und kann mich sogar auf dem Trockenen noch ganz gut fortbewegen…>>

<<Ja ja, machen sie sich keine Sorgen. Ich werde sie sicher hinübersetzen.>> Der Reiher nahm den Fisch mit dem Schnabel auf und flog los. <<Tschühüss, Frau Fisch>> rief der Krebs, <<passen sie gut auf sich auf.>>

Der Reiher flog tatsächlich den großen Lotusteich an und setzte die alte Fischdame in das kühle Wasser. Die Fischdame untersuchte daraufhin jede Nische und jeden Winkel des Teiches, bis sie sich von allen Vorzügen des Teiches gründlich überzeugt hatte. Unter großen Ah und Ohs zog sie ihre Runden. Nachdem sie die Untersuchungen abgeschlossen hatte, flog sie der Reiher – wie vereinbart – wieder zurück in den alten dreckigen Teich. Was die Fischdame dort zu erzählen hatte verschlug den zurückgebliebenen Teichbewohnern den Atem. Kristallklares Wasser, zahlreiche Nahrungsquellen und Platz, jede Menge Platz.

<<Ich glaub ich träume, das ist ja herrlich>> äußerte sich der Krebs.

<<Isch könnte mir vorstellen, dort tatsäschlisch ein neues Teischgebiet zu kaufen…isch könnte dann endlisch auch einmal ein wenisch Zeit für misch alleine haben…>> dachte sich Monsieur Schrimp.

<<Mon dieu, es wäre ein Segen, dort leben zu dürfen>> ereiferte sich Madame Schrimp.

<<Isch will meine eigene Swimming-Pool!>> jauchzte der Kleinste der Familie <<Isch will zuerst hinüber fliegen. Isch will zu erst!>> der kleine Schrimp drängelte sich an den Teichrand und wollte vom Reiher aufgenommen werden, da wurde er von Miss Scampi rau zur Seite gezogen.

<<Ich muss doch sehr bitten, du ungezogenes Kind. Lasse gefälligst die Erwachsenen vor, wie es sich gehört.>> Mit erhobener Nase schwamm sie in vornehmem auf und ab dem Reiherschnabel entgegen. Der Reiher schnappte sich den Schrimp und flog davon.

Doch Kinder, ihr habt es euch sicherlich schon gedacht: Der Reiher flog natürlich nicht zum Lotusteich, sondern wählte eine neue Flugroute. Diese führte direkt zu mir, dem Plumeria-Baum. Ich stand ja ganz in der Nähe des Lotusteichs. Ich sah den Reiher schon von weitem auf mich zu fliegen. Er landete direkt neben meinem holzigen und von Rinde bedeckten Gesicht auf einer knorrigen Astgabel. Er legte den Schrimp dort ab und noch bevor Frau Scampi sich über die nicht geplante Pause beschweren konnte, hatte er sie verschlungen. Das einzige was der Reiher übrig gelassen hatte, waren ein Paar stachelige Beinchen und der schuppige Panzer. Diese ließ er einfach liegen, so sie lagen.

Ich, der Baum, musste sich das anschauen, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. Es war ein schreckliches Gefühl. Ich hatte bereits geahnt, dass der Reiher etwas Böses im Schilde führte. Doch als er tatsächlich mit dem Schrimp im Schnabel neben meinem hölzernen Kopf gelandet war, spürte ich mir Verzweiflung und Schmerz aufkommen. Ich musste das Geschehen einfach mit ansehen. Das schmerzte so sehr.

Der Reiher indes bemerkte von all diesen Gefühlen und Gedanken in meinem Inneren rein gar nichts. Er freute sich über die leichtgläubigen Teichbewohner und holte sich nun einen nach dem Anderen. Zunächst den kleinen Schrimp, danach dessen Eltern und den die alte Frau Fisch, die ja so begeistert von dem neuen Teich gewesen war. Auch sie frass er in der selben Astgabel direkt neben meinen hölzernen Augenhöhlen auf und lies nichts weiter von ihr übrig als Flossen und Gräten. Eine beträchtliche Zahl Gräten, Panzer und Flossen hatte sich an meinem Kopf angehäuft. Meine Äste erzitterten innerlich vor Trauer um die gefressenen Lebewesen. Ich weinte sogar harzige Tränen und verlor vor lauter Schmerz einige meiner saftigen Blätter.

Doch der Reiher bemerkte davon wieder nichts. Er flog stattdessen erneut los, um sich sein letztes Opfer zu holen: Den grantigen aber klugen Krebs. Als der Reiher am Teich gelandet war, stand der Krebs schon bereit zum Abflug. Der Reiher sprach:

<<So, lieber Neffe, jetzt habe ich alle Schrimps und den Fisch in den neuen, kühlen, großen und vor allem sicheren Teich gebracht>> ein seltsames Grinsen umspielte des Reihers Schnabel. <<Sie leben dort glücklich und zufrieden. Aber du, du bist hier ganz alleine. Ist es nicht unglaublich traurig, so einsam zu leben?>>

<<Ja, da haben sie eigentlich recht.“ Erwiderte der Krebs.

<<Schrecklich einsam, nicht wahr?>>

<<Auch da haben sie eigentlich recht, ja…>>

<< Dann komm, lass mich auch dich hinübertragen, damit du mit deinen netten Freunden und Nachbarn gemeinsam ein herrliches Leben leben kannst.>>

Der Reiher wollte den Krebs bereits am Panzer packen, da hob jener aber noch einmal mit ernster Miene seine Schere, als habe er noch etwas zu sagen, bevor der Reiher auch ihn zum neuen Teich fliegen sollte.

<<Mooment einmal, Herr Onkel Reiher. Wie willst du mich denn eigentlich tragen?>> fragte der Krebs skeptisch.

<<Ja wie all die anderen natürlich. Mit meinem Schnabel.>> erwiderte der Reiher unschuldig.

<<Und was wird passieren, wenn ich rein zufällig abrutsche? Mein Panzer ist glatt und hart, da kann das leicht passieren. Ich würde so tief fallen und mein Panzer würde, wenn ich auf den Boden falle, in tausend Stücke zerspringen.>>

<<Ach, da brauchst du keinerlei Angst haben. Ich werde dich mit allergrößter Vorsicht und Sicherheit transportieren.>>

<<Ja ja, Sicherheit. Das klingt gut.>> brachte der Krebs nun langsam hervor. Er beäugte den Reiher skeptisch und dachte einen Moment lang nach. Was wäre denn, wenn der Reiher ihn in Wirklichkeit nur hintergehen wollte. Was, wenn er ihn fressen wollte. Er überlegte sich daher folgendes aus:

<<Sicherheit, ja, ja. Gut, gut.>> sprach er dann erneut. <<Ich habe da eine kleine Idee, lieber Onkel Reiher. Ich weiß, dein Schnabel ist sicherlich kräftig und sicher. Aber nur zur Sicherheit, würde ich vorschlagen, halte ich mich mit meiner großen Schere noch ein bisschen an dir fest. Was sagst du dazu?>>

<<Ach, das ist kein Problem, jederzeit, mein Neffe>> der Reiher wusste nicht, worauf der Krebs hinaus wollte, willigte aber ein.

<<Sehr gut, lieber Onkel Reiher. Dann halte ich mich hier ein bisschen mit meiner großen Schere an deinem…an deinem…Hals fest>> Der Krebs war aus dem Wasser gekrabbelt und umschloss mit seiner großes Schere nun den Hals des Reihers. <<Sicher ist sicher, was? He he.>> Auch der Reiher lachte, nun allerdings ein wenig verunsichert.

In der Zeit dachte sich der Reiher jedoch <<Dieser Krebs wird am besten von Allen schmecken. Krebsfleisch ist eine ausgesprochene Delikatesse, habe ich gehört.>> Er schnappte den Krebs daher am Rand dessen Panzers und erhob sich hoch in die Luft. Der Krebs genoss den Flug und fühlte sich sicher mit seiner großen Schere an des Reihers Hals. Doch da flog der Reiher plötzlich über den frischen Lotusteich hinweg, den der Krebs bereits von weitem erblickt hatte – er hatte gute Augen. Der Reiher setzte zum Sinkflug an und landete erneut auf der Astgabel meines kräftigen Stammes – dem Plumeria-Baum.

<<Hee, Hee Onkel. Warum landest du hier und nicht bei dem kühlen Lotusteich, wie wir es ausgemacht hatten?>> sagte der Krebs mit eindringlicher Stimme.

<<Ha!>> lachte der Reiher auf, <<Welcher dumme Reiher ist denn soo dumm und trägt eine leckere Mahlzeit von einem Ort zum anderen, ohne sich daran zu bedienen? Schau diesen Haufen von Schuppen, Panzern und Gräten.>> Der Reiher wies mit einem Flügel auf die Überbleibsel seiner vergangenen Mahlzeiten. <<Das waren alles deine Freunde und DU wirst nun mein Abendessen sein! HAHAAHAHAAAhaaa…haa….HATSCHI!>> Der Reiher schlug wie wild mit den Flügeln und freute sich auf seine letzte Mahlzeit für diesen Tag. Doch der Krebs sah die Situation gelassen und ohne Angst:

<<Onkel, Onkel, Onkel…Fische und Krabben sind vielleicht einfach zu hintergehen. Aber mich legst du nicht so leicht aufs Kreuz. Bring mich zum Lotusteich…und zwar…SOFORT!>> Der Krebs drückte, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen die Scheren etwas fester in den Hals des Reihers. <<Und wenn du dich nicht beeilst, dann drücke ich dir mit meiner Schere die Luft ab.>>

Mit röchelnder Stimme krächzte der Reiher um Gnade und bat den Krebs, nur etwas Geduld zu haben. <<Ich bringe…ich…nicht so fest bitte. Ich bringe…dich sofort…dort…dorthin. Und ich…chhccchh ich werde versuchen, dich…dich nicht zu frr…rr…fressen!>>

Der Reiher hob nun mehr oder weniger elegant vom Boden ab und flog in irrsinnigen Kurven und Kreisen zum Lotusteich herüber. Dort wollte er den Krebs so schnell wie möglich in das Wasser setzen, denn dessen Griff schnitt ihm schmerzhaft in den Hals. Doch der Krebs, der ließ nicht locker. Er dachte an die vielen Freunde und Nachbarn, die der Reiher einfach verschlungen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Er spürte plötzlich große Wut gegenüber dem Reiher und wollte ihn nicht ungeschoren davon kommen lassen. Daher drückte er mit seiner Schere fester und fester, bis er dem Reiher tatsächlich die Luft abgedrückt hatte. Der Reiher starb unter kläglichem Röcheln und sank zu Boden. Der Krebs krabbelte daraufhin in das kühle Wasser des Lotusteich.

Kinder, ihr müsst begreifen, wie sehr ich mir damals gewünscht hatte, dass ich den Reiher hätte verscheuchen können. Diesem hinterhältigen Burschen, der arme Schrimps und Fische austrickst, nur um sie zu fressen, wollte ich das Handwerk legen. Aber ich konnte nicht. Und das war der Grund für den tiefen Schmerz in mir. Alles was ich tun konnte, war Blätter wachsen und Blüten sprießen lassen, die den Wald mit ihrer Farbenpracht schmückten. Auch konnte ich anderen Lebewesen als Schattenspender dienlich sein. Aber wirklich einem Tier helfen, das in der Not ist blieb mir verwehrt. Nicht einmal um Hilfe rufen konnte ich. Was blieb mir daher übrig, als das grausame Geschehen um den hinterhältigen Reiher aus nächster Nähe mit anzusehen. Was ich dabei allerdings gelernt hatte war: Begegnen wir einander mit Hass, Gier und Gewalt, so wird uns selbst ein ähnliches Schicksal widerfahren. Behandeln wir uns jedoch gegenseitig auf eine liebevolle und freundliche Art und Weise, wird die Beziehung zwischen allen Lebewesen auch von Liebe und Freundschaft geprägt sein. Aus dem Schmerz, den ich an diesem Tag spüren musste und aus den Tiefen meines Herzens heraus, schwor ich mir daher an diesem Tage, in all meinen zukünftigen Leben, die ich als Mensch oder als Tier geboren werden sollte, allen schwachen Lebewesen Hilfe und Schutz anzubieten.

5. Oktober 2008

2 Kommentare to Der Reiher und der Krebs

  1. Wie cool ist das denn? :O) Ich habe den Beitrag jetzt erst gelesen und hätte das Stück echt zu gerne live gesehen :O)
    Da habt ihr euch wieder was tolles ausgedacht! Eine super Story, coole Kostüme und ne schöne und lehrreiche message. Lasst es mich wissen, wenn ihr das nächste mal ein Stück aufführt!

    Liebe Grüße Conny

  2. Conny on Dezember 15th, 2008
  3. Das nächste Mal vielleicht wieder beim Laternenfest. Da hat das wohl schon Tradition :) Mal sehen, was wir nächstes Jahr aufführen…

    Hue Ngo

  4. huengo on Dezember 16th, 2008

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