Montag, 29. November 2010

Fortsetzung

Wenn ich mit meinem Meister zusammen war, versuchte ich immer meine allerbeste Seite zu zeigen: Ich war sehr diszipliniert, lernte alle Gelübde auswendig und versuchte sie streng einzuhalten und lebte sehr asketisch. Auch nachts versuchte ich in der richtigen Stellung zu schlafen, wie ein Buddha: die rechte Hand unter der Wange, die linke auf den Oberschenkel und beide Beine gerade aufeinander gelegt. Es war sehr unbequem und ich hatte Probleme einzuschlafen, aber ich dachte, genau das macht einen guten Mönch aus und so hielt ich mich streng daran.
Ich versuchte nur mit zwei Mahlzeiten auszukommen, Frühstück und Mittagessen und gönnte mir keine Kekse, Süßigkeiten oder Zwischenmahlzeiten, denn das gehörte sich nicht für einen guten Mönch. War ich so streng mit mir, wollte ich natürlich auch, dass meine Umgebung streng nach den Regeln lebte, aber die Novizen hielten sich alle gar nicht daran. Sie waren verspielt, undiszipliniert und frech und ich war ständig wütend, dass sie sich so viel erlauben konnten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Deshalb sorgte ich dafür, dass ich Gruppenführer wurde, denn ich wollte allen Novizen gutes Verhalten beibringen und sie zu guten Mönchen erziehen. Sie sollten genauso diszipliniert und asketisch leben wie ich. Ich führte ein Tagebuch, in dem ich notierte wann welcher Mönch was falsch gemacht hat. Bei jedem Voll- und Neumond trug ich dem Meister all meine Notizen über das Fehlverhalten der anderen aus meinem Tagebuch vor. Ich wollte dem Meister zeigen, wie gut ich bin, dass er sah, wie sehr ich übte ein guter Mönch zu sein, der alles sah und wahrnahm. Ich weiß nicht, was mein Meister darüber dachte, aber er übertrug mir zusätzlich zu meinem Amt als Gruppenführer, noch die Aufsicht über die Meditationsstunde. Das bedeutete, dass ich während der Stunde über alle wachte und jeder der nicht gut meditierte oder während der Meditationsstunde einschlief, erhielt von mir einen Schlag auf die Schulter. Natürlich bekamen die Novizen die frech waren die meisten Schläge von mir, denn ich konnte es nicht ertragen, dass sie sich so treiben ließen.
Und so wurde ich mehr und mehr von allen Seiten ausgegrenzt und kritisiert, denn natürlich suchten jetzt alle nach meinen Fehlern. Vielleicht hatte ich einmal die Mittagspause etwas überzogen oder ich hatte mehr gegessen als nötig – schon triumphierten alle Novizen über mich. Oder sie stellten fest, dass auch ich gierig war, wenn ich einmal meine Süßigkeit zu den Mahlzeiten gegessen hatte. Ich hatte keine besonders gute Zeit, niemand mochte mich und ich war von den Späßen und Streichen der anderen Novizen ausgeschlossen. Innerlich fühlte ich mich sehr einsam und sehnte mich danach, mit den anderen Unsinn zu machen, doch äußerlich versuchte ich, mich an meiner Position festzuhalten und hielt die Disziplin aufrecht. Nach wie vor, sehnte ich mich nach noch mehr Anerkennung des Meisters. Doch je mehr Anerkennung ich von meinem Meister bekam, desto mehr wurde ich von der Gruppe abgelehnt. Je mehr ich mich anstrengte, desto einsamer wurde ich. Je mehr Disziplin ich aufbrachte, desto erstarrter wurde ich.
War es das, was ich gesucht hatte? Wo war die Lebendigkeit geblieben? Wo war meine Lebenslust geblieben, die ich damals, als ich es gewagt hatte, das Leben kennenzulernen entdeckt hatte? Statt mich zu entfalten, hatte ich eine Position eingenommen und war darin gefangen und erstarrt.

Fortsetzung folgt

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29. November 2010

1 Kommentar to Montag, 29. November 2010

  1. Wo bleibt bitte die Fortsetzung? Lg

  2. Boris Tischner on Dezember 1st, 2010

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