Aller Anfang ist schwer: Achtsamkeit in den Alltag integrieren
Wenn wir laufen lernen, können wir auch nicht gleich bei einem Marathon mitmachen. So ist es mit allen Dingen im Leben, wir fangen klein an und werden – Schritt für Schritt – immer besser, in dem was wir tun.
Im Buddhismus unterscheiden wir vier Grundlagen der Achtsamkeit:
1. Die Achtsamkeit auf den Körper;
2. Die Achtsamkeit auf die Gefühle und Emotionen;
3. Die Achtsamkeit auf den Geist;
4. Die Achtsamkeit auf geistige Objekte.
Eine wirkungsvolle Methode, um sich die Praxis der Achtsamkeit schrittweise anzutrainieren, ist die Übung der Achtsamkeit auf die vier Positionen des Körpers. Egal ob wir gehen, liegen, stehen oder sitzen – „unser Körper ist immer dabei“. Das heißt, wir können diese Achtsamkeitsübungen überall durchführen, egal wo wir uns augenblicklich befinden und was wir gerade tun. Wir benötigen lediglich unseren Körper und unseren Geist dazu.
In den buddhistischen Schriften sagt Buddha dazu:
„Ihr Mönche, ein Mönch versteht beim Gehen: „Ich gehe;“ beim Stehen versteht er: „Ich stehe;“ beim Sitzen versteht er: „Ich sitze;“ beim Liegen versteht er: „Ich liege;“ oder er versteht, in welcher Stellung sich sein Körper auch immer befindet.“
(Quelle: Satipatthana Sutta – Sutra über die Grundlagen der Achtsamkeit MN 10)
In der Praxis gehen wir so vor:
Wir versuchen ein paar Atemzüge lang, bewusst ein- und auszuatmen.
1. Wahrnehmen was ist: wir richten unser Gewahrsein auf die gegenwärtige Haltung unseres Körpers, also auf das Sitzen, Liegen, Stehen oder Gehen. Wir sagen uns beispielsweise „Jetzt sitze ich.“
2. Wahrnehmen wozu und wie wir etwas tun: Gibt es einen besonderen Zweck, den wir mit der Körperhaltung verbinden? Wenn ja, nehmen wir diesen – kurz und bündig, ohne lange Ausführungen – zur Kenntnis (z.B. „Ich sitze, um mich zu entspannen.“); wenn nein, nehmen wir diesen Sachverhalt ebenfalls zur Kenntnis („Ich sitze, um zu sitzen.“). Und wir können uns fragen: Wie sitze ich und was nehme ich dabei wahr (z.B. „Meine Knie schmerzen.“)
Das Wichtige dabei ist, dass der Geist auch wirklich beim Körper sein muss, um diese Form der Achtsamkeit praktizieren zu können. Wenn wir gedanklich bei der Zusammenstellung unseres Essensplans für die kommende Woche sind, gelingt uns dies definitiv nicht. Wir müssen also realisieren und erfahren, was es bedeutet zu sitzen. Die Wahrnehmung des „Wozu“ dient dazu, überflüssige oder unsinnige Handlungen zunehmend entlarven und in der Folge aus unserem Leben streichen zu können. Für jeden der Punkte gilt: nicht an der jeweiligen Wahrnehmung festhalten, sondern sie lediglich zur Kenntnis nehmen und dann wie die Wolken am Himmel vorüberziehen lassen! Denn: im nächsten Moment ist die aktuelle Gegenwart bereits Vergangenheit!
Thich Nhat Hanh schreibt, am Anfang seiner Ausbildung zum Mönch wurde ihm gelehrt, er solle jeden Tag zu einer Handlung einen Spruch schreiben. Beispielsweise, wenn er die Tür öffnet “Ich öffne die Tür für alle fühlenden Lebewesen, die das Haus betreten”, oder, “Mit jedem Schritt, mit dem ich die Erde berühre, möge die Erde von Frieden erfüllt sein”, oder wenn man eine Kerze anzündet “Mögen alle meine Anhaftungen, mit dem Licht, welches jetzt erscheint, ausgelöscht werden und möge der Dharma (die Lehre Buddhas) strahlen wie das Licht dieser Kerze”.
In Plum Village gibt es die Praxis der „Achtsamkeitsglocke“: in regelmäßigen Abständen wird dort eine große Glocke dreimal geläutet. Daraufhin halten die Menschen inne, egal was sie gerade tun, lassen alle Gedanken los und konzentrieren sich bewusst auf das Ein- und Ausatmen. Dadurch wird die Zeit zeitlos und der Raum raumlos. Sie haben keine Bedeutung mehr, sie werden – buddhistisch ausgedrückt – „leer“. Wichtig ist nur noch das stille Gewahrsein im Hier und Jetzt.
Dies ist „für den Rest der Welt“ vielleicht nicht überall umsetzbar. Was wir für uns im Alltag aber praktizieren können, ist Folgendes: Nahezu jeder besitzt heute ein Handy und benutzt es auch regelmäßig. Sie könnten sich einmal für einen Tag (oder auch länger) vornehmen, dass sie bei jedem Klingeln des Handys einen Moment innehalten und sich etwas sagen wie „Mögen alle fühlenden Wesen glücklich sein!“. Nehmen Sie erst danach den Anruf entgegen. Sie werden schnell feststellen, wie viel freundlicher und entspannter das Gespräch verlaufen wird! Letztendlich kann uns alles, was uns im Alltag begegnet an die Achtsamkeit erinnern und uns dabei helfen, bewusster zu leben. Auch das aufleuchtende Bremslicht des Autos vor uns können wir dazu nutzen, unseren Geist zurück ins Hier und Jetzt zu bringen.
Wie wäre es anstelle eines Wellness-Tages einmal mit einem Achtsamkeits-Tag? Selbstverständlich kann man auch beides miteinander kombinieren!
An einem Tag der Achtsamkeit nehmen wir uns die Zeit, alle unsere Handlungen bewusst auszuführen. Wichtig ist, dass Sie an diesem Tag nicht arbeiten gehen oder Arzttermine oder Ähnliches erledigen müssen. Sie sollten sich den Tag so aussuchen, dass Sie möglichst wenig Ablenkung zu erwarten haben. Verzichten Sie auch auf Dinge wie Zeitunglesen, Fernsehen gucken, Radio hören. Das ist zu Beginn sicherlich ungewohnt und für den einen oder anderen auch erstmal unangenehm. Aber bereits nach kurzer Zeit werden Sie die Stille und Ruhe genießen lernen. Sie werden spüren, wie Sie die Augenblicke immer bewusster wahrnehmen können.
Den Morgen können Sie mit einer Sitzmeditation beginnen und anschließend achtsam Ihr Frühstück einnehmen. Üben Sie über den Tag verteilt dann nur einfache Tätigkeiten aus, wie Staubwischen, Geschirr spülen, bügeln usw.. Begleiten Sie all diese Handlungen mit Ihrer Achtsamkeit. Nehmen Sie auch die Gefühle und Gedanken wahr, die in Ihrem Bewusstsein auftauchen. Wenn Sie dies möchten, können Sie diese auch notieren. Manchmal ist dies eine gute Methode, um nicht länger als notwendig daran festhalten zu müssen.
Machen Sie während des Tages zwei oder drei längere Spaziergänge – am besten in einem Park oder Wald. Atmen Sie dabei ganz bewusst und bewegen Sie sich achtsam. Vielleicht können Sie eine Gehmeditation in Ihr Programm einbauen.
Sie können an diesem Tag auch in einem inspirierenden Buch lesen, an einen Freund oder Freundin schreiben oder achtsam ein Bad nehmen. Egal was Sie auch tun: nehmen Sie sich doppelt so viel Zeit dafür wie sonst üblich. Dies intensiviert das tiefe Gewahrsein bei Ihren Tätigkeiten.
Beenden Sie Ihren Tag der Achtsamkeit mit einer Sitzmeditation.
(frei nach Thich Nhat Hanh: „Jeden Augenblick genießen“; Ss. 123)
Noch keine Kommentare.