Die 6 Stufen der Bodhisattwas: Hilfreiche Begleiter auf dem Weg

Vesakh Ostpark 2Auf dem Pfad der geistigen Schulung gibt es bekanntermaßen Höhen und Tiefen. Wenn alles gut läuft, wir in der Meditation die gewünschte Ruhe und Frieden finden können, sind wir guter Dinge. Aber dann, wenn die Realitätsprüfung im Alltag, z.B. in Gestalt von Konfrontationen mit unseren Mitmenschen kommt, sieht es schnell ganz anders aus: Die soeben noch spürbare Ruhe und Gelassenheit auf dem Sitzkissen, wandelt sich schnell in Angespanntheit und Ärger.

Diese Diskrepanz in unserem Erleben kann dazu führen, dass wir uns zunehmend aus dem Alltag und der Realität in die Fantasiewelt eines geschlossenen Systems zurückziehen. Wir vergessen dabei, dass alle natürlichen Systeme ihrer Natur nach offen sind, um überleben und sich entwickeln zu können. Die zwischen „uns und den Anderen” zwangsläufig entstehenden Wechselwirkungen sind ein guter Test, um uns selbst kritisch zu überprüfen, wo wir in unserer geistigen Entwicklung stehen. Daher ist es nicht förderlich, sich ausschließlich in die Welt der meditativen Versenkung zu flüchten und sich dem Hier und Jetzt unseres weltlichen Alltags völlig zu entziehen.

Wie häufig im Leben, ist der „Weg der Mitte” und Ausgewogenheit angesagt. Zu bewältigende Konfliktsituationen, aufkommende Gefühle und Emotionen, Stress und Überforderung gehören genauso zu unserem Leben, wie Zeiten der inneren Einkehr und Harmonie. Die Art und Weise jedoch, mit welcher wir den Herausforderungen des Alltags begegnen, verändert sich mit fortschreitender, geistiger Entwicklung. Konflikte und Belastungen werden nicht etwa weniger, aber wir können zunehmend gelassener damit umgehen.

Im Mahayana-Buddhismus haben sich für die Praktizierenden folgende sechs Stufen als hilfreiche Qualitäten für den Umgang mit sich selbst, aber auch mit den Mitmenschen, bewährt. Gerade auch in der heutigen Zeit können sie uns helfen, immer wieder auf den Weg zur Befreiung zurückzufinden – besonders dann, wenn es schwierig und unübersichtlich wird.

Die 6 Stufen (traditionell die 6 Vollkommenheiten genannt) sind:

1. Teilen (dana – traditionell übersetzt als Großzügigkeit)
2. Disziplin (sila – traditionell übersetzt als Tugend)
3. Geduld (kanthi)
4. Anstrengung (viriya – traditionell übersetzt als Energie oder Kraft)
5. Gelassenheit und Ruhe (samadhi – traditionell übersetzt als Sammlung)
6. Klarheit (panna – traditionell übersetzt als Weisheit).

1. Teilen – „Geteiltes Leid ist halbes Leid”

Wir alle haben diese Erfahrung bereits gemacht: Wenn wir unseren Schmerz und unser Leid mit jemanden teilen, wird die Situation, wie unerträglich sie auch zunächst erschien, erträglicher. Oft hilft uns dieses (Mit)teilen, unser Leid zu relativieren. Wir erkennen, dass sich auch die Menschen um uns herum in ähnlicher Weise mit ihrem Leid auseinandersetzen müssen. Wir sind also gar nicht so einzigartig. Wenn wir diese Erkenntnis auf andere Dinge in unserem Leben übertragen, sei es auf andere Gefühle und Emotionen oder auch auf Gegenstände, verlieren diese ihre Besonderheit und damit einen Großteil der Wichtigkeit für uns. Wir sind eher geneigt, sie loszulassen und zu teilen. Das macht uns freier und unabhängiger und stärkt das Gefühl der Verbundenheit mit anderen fühlenden Wesen.

Das Teilen können wir besonders gut in einer Gruppe Gleichgesinnter üben. Denn dann haben wir die Sicherheit, dass das, was wir teilen möchten, mit Liebe und Verständnis aufgenommen wird, ohne direkt bewertet zu werden. Deshalb sagt der Buddha in seinen Lehren immer wieder, dass es für einen Praktizierenden wichtig ist, die richtigen Freunde zu wählen – also solche, mit denen wir den Weg der Befreiung teilen können. Dies erleichtert die eigene Praxis und bereitet zudem auch viel mehr Freude.

2. Disziplin – „höre nicht auf, gib’ nicht auf!”

Gerade zu Beginn unseres spirituellen Weges kämpfen wir oft mit Zweifeln und anderen inneren (und äußeren) Hindernissen. Wir benötigen dann viel Durchhaltevermögen und Disziplin, um diese Schwierigkeiten immer wieder zu überwinden und trotzdem frohen Mutes weiter zu praktizieren. Dies macht die Entwicklung der dritten Stufe erforderlich.

3. Geduld – „es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen”

Viele, vor allem leistungsorientierte Menschen der heutigen Zeit, haben nur wenig Geduld – sowohl mit sich selbst, als auch mit Anderen. Umso wichtiger ist es, sich den Nutzen dieser Qualität immer wieder zu vergegenwärtigen. Wenn wir z.B. sehen, wie sehr jemand leidet und wir haben nicht die Möglichkeit, ihm in diesem Moment zu helfen, müssen wir Geduld aufbringen. Wir warten dann auf den richtigen Moment, in welchem er die Hilfe annehmen kann. Geduld hat daher auch viel mit Verständnis und Verzeihen zu tun. Denn wir wissen aus Erfahrung, unser Kind, unser Partner oder unser Schüler wird wieder den gleichen Fehler machen und lernt immer noch nicht daraus. Dies erfordert, dass wir tiefes Verstehen und Verzeihen üben, um die Geduld füreinander kultivieren zu können.

Wenn wir die drei Qualitäten Teilen, Disziplin und Geduld in unseren Beziehungen praktizieren, haben wir die „Liebe” aus buddhistischer Sicht verwirklicht: Egal, was passiert, wir teilen alles miteinander, und egal wie die Beziehung ist, wir geben nicht auf, und egal, wie oft unser Partner oder wir selbst die Fehler wiederholen, wir haben die Geduld füreinander. Denn alles ist vergänglich und geht vorüber – die glücklichen und die leidvollen Momente.

Mit uns selbst müssen wir auch auf diese Weise umgehen. Wenn Sie ein großes Problem haben, dann versuchen Sie es in kleine Teile aufzuteilen. Besprechen Sie es mit Ihrer Familie, Ihren Freundinnen oder Ihrem Meister. Auch ein großes Problem wird so – Schritt für Schritt – überwindbar. Wir dürfen nur nicht aufgeben und müssen lernen, Geduld zu üben.

4. Anstrengung – „vor der Erleuchtung Holz hacken und nach der Erleuchtung Holz hacken”

Wenn wir die vorangegangenen Stufen betrachten, wird deutlich, ohne Anstrengung und Bemühen kommen wir nicht weit! Selbst die Disziplin können wir ohne Energieaufwand nicht lange aufrechterhalten. Über den Kopf wissen wir, kontinuierliches, geistiges Training ist anstrengend. Wir sagen uns, Erleuchtung ist gut, aber wir schaffen es nicht, jeden Tag um 5 Uhr aufzustehen.

5. Gelassenheit und Ruhe – „nur in der absoluten Ruhe und Stille sieht man die Bewegung”

So lange wir unser Ich (Ego) mit all seinen Sehnsüchten und Begierden noch zu ernst und wichtig nehmen, werden wir in der Rastlosigkeit bleiben. Deshalb ist es hilfreich, sich die Gleich-Gültigkeit aller Dinge zu vergegenwärtigen. Man kann dies tun, indem man darüber reflektiert, dass jedes Wesen, jede Ansicht, seine/ihre Existenzberechtigung hat und niemand und nichts wichtiger oder unwichtiger ist als man selbst. Jeder ist zu jedem Zeitpunkt ersetzbar. Diese Einsicht befreit und entzieht den Nährboden für übermäßigen Ehrgeiz, Neid, Konkurrenzdenken und die Illusion der eigenen Einzigartigkeit. Der Alltag – sei es beruflich oder privat – kann um einiges entspannter werden.

Daraus folgt, man muss weder tausende Verbeugungen machen, noch eine Million Mantren rezitieren, um Ruhe und Gelassenheit zu kultivieren. Es geht mehr um das Loslassen unserer Ansichten und Konzepte. Die Gelassenheit können wir nur erlangen, wenn wir in einem Augenblick begreifen, dass wir unser Leid loslassen müssen. Und manchmal kommt dieser Augenblick nicht durch die Belehrung von einem Meister, sondern von einem Kind oder von irgendjemandem: Es ist wie ein Schlag vor den Kopf – der berühmte „Aha-Effekt”.

Samadhi beinhaltet nicht, dass man sich unbedingt auf einen Fokus konzentriert, sondern Versenkung oder tiefe Ruhe. Der Weg dahin, kann alles Mögliche sein, aber das Ziel ist, dass wir die Ruhe in uns finden. Diese erlangen wir nur, wenn wir in einem Augenblick diesen click, ein tiefes Erkennen, erfahren haben.

6. Stufe: Klarheit – „mit der Klarheit kommt die Verantwortung”

Wir benötigen diesen Moment des Erwachens, um unsere Ansichten wirklich zu verändern oder loszulassen. Daraus entwickelt sich dann die letzte Stufe, die Klarheit. Es ist nicht so, dass wir, wenn unser Geist erstmal Ruhe und Klarheit erlangt hat, nur noch in der meditativen Versenkung verweilen und uns nicht mehr in den Trubel des Alltags begeben. Ganz im Gegenteil – man kann sagen, Klarheit verpflichtet. Denn je klarer wir das Prinzip von Ursache und Wirkung sehen und die gegenseitige Abhängigkeit der Dinge verstehen, desto mehr Verantwortung tragen wir. Wir erkennen sofort, dass wir die Wasserpfütze auf dem Boden entfernen müssen, weil sonst jemand ausrutschen könnte. Wir sehen auch, wann wir uns zurückhalten müssen, um einem anderen die Möglichkeit des Wachstums zu geben. Ohne einen klaren Geist werden wir immer wieder auf der Basis unseres Ich (Egos) agieren – erst die Klarheit ermöglicht es uns, andere fühlende Wesen wirklich in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Eine Stufe nach der anderen …

Man muss die Stufen nacheinander kultivieren und kann nicht direkt in die Gelassenheit und Ruhe „springen“. Die meisten Menschen aber wollen umgekehrt vorgehen: Erst Klarheit, dann Gelassenheit und dann erst wollen sie Anstrengung und Geduld üben. Auf diese Weise funktioniert es aber leider nicht.
In der Regel ist es so, dass wir diese Stufen mehrmals durchlaufen müssen. Wir schaffen es nicht, direkt auf die absolute Ebene zu gehen. Denn dann würde „Teilen” nämlich „gib’ alles, behalte nichts” bedeuten. Dieser Anspruch beschert uns eher das Gefühl der Überforderung und weniger die Ermutigung und Unterstützung, die wir auf unserem Weg benötigen. Je häufiger wir die Stufen durchlaufen, umso mehr Chancen haben wir, unsere geistigen Qualitäten zu trainieren. So erlangen wir nach und nach mehr Klarheit, was dann wiederum die Kultivierung der anderen Qualitäten positiv unterstützt.

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25. Februar 2010

3 Kommentare to Die 6 Stufen der Bodhisattwas: Hilfreiche Begleiter auf dem Weg

  1. Hallo,
    ist es Ihnen bewusst das auf Ihrem Bild der Buddha mit einem Hakenkreuz versehen ist?

  2. Olaf on November 20th, 2011
  3. Hallo Olaf,
    ja wir wissen, dass auf manchen unserer Buddhastatuen Hakenkreuze zu sehen sind. In vielen Chinesischen, Vietnamesischen und Koreanischen Tempeln ist dieses Symbol auf Buddhastatuen zu sehen. In Asien steht dieses Zeichen für Harmonie oder MItgefühl. Und in Taiwan, einem Land, dessen Bevölkerung größtenteils buddhistisch ist, steht auf manchen vegetarischen Gemüsepulverdosen dieses Zeichen – streng vegetarisch, soll das heißen :) Also wenn du einmal ein Hakenkreuz auf einer Buddhastatue siehst, weißt du nun, dass es in diesem Kontext immer das Sonnenrad oder Svastika Zeichen ist – Harmonie, Mitgefühl, Glück. Das Zeichen ist schon über 6000 Jahre in Gebrauch. Schau mal: http://de.wikipedia.org/wiki/Swastika#Vin.C4.8Da-Kultur
    Ich hoffe die Informationen helfen dir.
    Alles Liebe und Gute

  4. admin on November 21st, 2011
  5. Hallo
    Das alte Hackenkreuz ist aber “richtig herum”
    Im dritten Reich haben die das Zeichen einfach spiegelverkehrt benutzt
    Gruß
    Roland

  6. Roland on März 28th, 2013

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