Trauma und Depression: Abgeschnitten von der Lebendigkeit

Sangha, Jan 2010, 72dpi-6Mehr als 170 Menschen fanden sich am Mittwochabend in der Buddhahalle der Pagode Phat Hue ein, um den Ausführungen von Zen-Meister Thich Thien Son zum Thema Depression und Trauma zuzuhören. „Gefühle sind ein Indikator dafür, dass wir am Leben sind. Sie kommen und gehen. Wenn dieser Fluss aufgrund von schmerzhaften Erfahrungen stagniert, gerät unsere Lebensenergie ins Stocken. Wir verlieren den Kontakt zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen.”

Depressionen – graue Wolken am Horizont unseres Geistes

Jeder 6. Patient in einer deutschen Allgemeinarztpraxis klagt über Depressionen. Betroffen sind nicht nur Erwachsene, sondern zunehmend auch Kinder und Jugendliche. Während vor allem Kinder über eher unspezifische Symptome wie wiederholte Bauchschmerzen und Spielunlust klagen, zeigen die meisten Erwachsenen eindeutigere Beschwerden.

Die Palette depressiven Erlebens reicht von chronischer Unzufriedenheit mit Reizbarkeit und aggressiven Durchbrüchen bis zu anhaltender innerer Lähmung und Schwermut, sowie in schwereren Fällen, Todessehnsucht. Wenn wir Gefühle dieser Art in uns tragen, entsteht eine Raum nehmende, depressive Gefühlswolke, die den Zugang zu Gefühlen der Freude und Zuversicht versperrt. Mit fortschreitender Symptomatik wird die gesamte Wahrnehmung immer weiter depressiv verfärbt und die Welt erscheint grau in grau.

Körper und Geist bilden eine Einheit…

Wenn wir auf der geistigen Ebene chronisch unzufrieden und niedergeschlagen sind, spiegelt sich dies auch in unserem Körper wider.

Daher finden sich in der Mehrzahl der Fälle auch auf der körperlichen Ebene Begleiterscheinungen, zum Beispiel Gewichtsverlust oder –zunahme, Schlafstörungen, Rückgang des sexuellen Verlangens und ausgeprägte Erschöpfbarkeit.

Auch unter den Menschen jenseits des 60. Lebensjahres haben Depressionen in den letzten Jahren drastisch zugenommen. „Die Menschen in der heutigen Zeit, vor allem in den Großstädten, definieren sich über ihre Leistung. Mit zunehmendem Alter stellen sie fest, meine körperlichen Möglichkeiten lassen nach, ich bin nicht mehr so leistungsfähig. Es entsteht das Gefühl der Wertlosigkeit und oft auch die Befürchtung, anderen eine Last zu sein.” Auf dem Land sieht dies in vielen Fällen noch anders aus: Die Familienältesten sind oft jene Menschen, die, aufgrund ihrer Lebenserfahrung, die Entscheidungen für die anderen Familienmitglieder fällen. Wir sollten die Weisheit unserer Mitmenschen im hohen Lebensalter wieder wertschätzen lernen. Sie können uns viel geben.

Depressive Männer – depressive Frauen …

Auch im Hinblick auf das Geschlecht, gibt es in der Ausprägung der depressiven Symptomatik erhebliche Unterschiede. Während Männer auch heute noch häufig Schwierigkeiten haben, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu treten, definieren sich Frauen oft über ihre Gefühle.

Während einer Depression neigen Männer eher zu chronischer Unzufriedenheit und abwehrender Aggression und Reizbarkeit. Sie versuchen über das Ausagieren dieses Verhaltens den Kontakt zu ihrer Mitwelt aufrechtzuerhalten und ihre wirklichen Gefühle von innerem Schmerz zu überdecken. Meist wird dabei deutlich gemacht, dass „die anderen” (die Partnerin, der Chef, der Hund) Schuld an ihrem Leid sind.

Frauen hingegen ziehen sich häufig in Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit zurück. Sie demonstrieren damit: „Ich kann nicht mehr, ich brauche jetzt Deine Hilfe.” Sie versuchen sich am Partner oder am Kind festzuhalten, um die verloren gegangene innere Sicherheit wiederzuerlangen.

Wie entstehen Depressionen?

Es gibt zahlreiche Ursachen für die Entwicklung einer Depression: z.B. Phasen der hormonellen Umstellung bei Frauen, Lichtmangel – vor allem im Winter, körperliche Erkrankungen wie Krebsleiden oder auch Medikamente wie Beta-Blocker oder die „Antibabypille”. Auch die Vererbung spielt eine wichtige Rolle: Zwillingsstudien zeigen, dass bestimmte Formen der Depression genetisch bedingt sind oder ihr Auftreten zumindest durch bestimmte Gen-Kombinationen begünstigt wird.

Oft ist es so, dass wir bereits unsere Kinder zur Depression erziehen, z.B. indem man versucht, sie zu übermäßiger Sauberkeit zu trainieren. Damit erzieht man sie, vom Leben Abstand zu nehmen. Hierbei fällt gerade auch in Asien auf, dass vor allem reiche Kinder von Depressionen betroffen sind, während Kinder in Slums mehr darauf konzentriert sind, ihr Überleben zu sichern.

Einschneidende Lebensereignisse, in welchen plötzlich Bezugspersonen nicht mehr da sind und Sicherheiten wegbrechen, können in der Folge ebenfalls zu depressiven Reaktionen führen.

Was tun, wenn der Partner/die Mutter/der Sohn depressiv sind?

Für die Angehörigen von Betroffenen gilt: Sie brauchen viel Geduld, um ihren Familienmitgliedern aus einer depressiven Krise herauszuhelfen. Die innere Welt eines depressiven Menschen ist oft nicht leicht für Außenstehende nachzuvollziehen. Zunächst gilt es, tiefes Zuhören zu praktizieren. Denn oft ist „ein offenes Ohr” in der heutigen Zeit genau das, was fehlt und dringend notwendig ist. Das Signal „ich bin da für Dich” – kann häufig Wunder wirken, soll aber nicht dazu führen, die depressive Symptomatik, beispielsweise das Gefühl der Hilflosigkeit, zu nähren. Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem „sanfter aber bestimmter Druck” angesagt ist. Dies kann z.B. im Rahmen eines gemeinsamen Spaziergangs geschehen. Denn: Auch Bewegung ist zum Kurieren einer Depression unabdingbar. Es müssen zu Beginn keine großen Sprünge sein, der Waldspaziergang oder fließende Übungen aus dem Qi-Gong genügen zunächst, um die stagnierende Lebensenergie wieder ins Fließen zu bringen.

Auch die Traditionelle Chinesische Medizin kann helfen

Aus der Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin gehen depressive Symptome mit einer geschwächten Nierenenergie und häufig auch mit einer Überaktivität im Leberfunktionskreis einher. Schlafstörungen und Änderungen des Appetits lassen sich darauf zurückführen. Auch die Schilddrüse ist in vielen Fällen in Mitleidenschaft gezogen – sei es in Form einer Unter- oder Überfunktion. Entsprechende Akupunktur, aber auch eine Therapie mit Chinesischen Heilkräutern können hier den Heilungsprozess unterstützen. Hilfreich ist auch eine Ernährungsumstellung gemäß den Richtlinien der Fünf-Elemente-Küche. Vitaminreiche Kost zum Harmonieren der Leberenergie, sowie wärmende Speisen für die Unterstützung des Nierenfunktionskreises stehen dabei im Vordergrund.

Manchmal nicht zu vermeiden: Antidepressiva

In besonders schweren Fällen kann eine stationäre Behandlung und die Therapie mit Medikamenten, üblicherweise mit Antidepressiva, vorübergehend notwendig sein. Dennoch sollte man nicht länger als unbedingt erforderlich, zu Medikamenten greifen. Aufgrund ihrer Wirkungsmechanismen haben Antidepressiva ein weit gefächertes Spektrum von Nebenwirkungen. Darüber hinaus sind sie zwar imstande, ein Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn (vor allem Serotonin und Noradrenalin) für einen gewissen Zeitraum auszugleichen, können aber nicht die oftmals einer depressiven Symptomatik zugrunde liegenden Konflikte und Traumata lösen.

Den Menschen begleiten – die Seele heilen …

Dazu ist eine psychotherapeutische Begleitung notwendig. Entscheidend dabei ist, dass der Therapeut die Fähigkeit des „Mitfühlens” hat und zuhören kann – Qualitäten, die leider nicht in allen therapeutischen Praxen zu finden sind.

„In Vietnam herrschte Krieg, als ich dort im Kloster aufwuchs. Ständig kamen Menschen, die plötzlich Familienangehörige oder ihr gesamtes Hab und Gut verloren hatten. Man wusste nie, ob die Familie am nächsten Tag noch leben würde. Von den schweren Traumata auf der Flucht ganz zu schweigen. Da war es ganz natürlich, dass die Mönche und Nonnen all die schmerzhaften Prozesse begleiteten. Auf diese Weise wurden wir aufgrund der Notwendigkeit und der daraus erwachsenen Erfahrung auf ganz natürliche Weise zu Begleitern und Therapeuten. Wir haben gelernt, den Menschen in schwierigen Zeiten beizustehen.”

Lebendigkeit wiederfinden, dank Licht und Farben…

Licht- und Farbtherapie sind ebenfalls hilfreich bei der Behandlung von Depressionen. Eine morgendliche „Lichtdusche” von 10.000 Lux hilft vielen Betroffenen über die weit verbreitete Winterdepression hinweg. Auch Wechsellampen mit abwechselndem Farblicht (5 Minuten pro Farbe) gleich einem bunten Regenbogen, können die Lebendigkeit wieder anregen.

Untersuchungen zufolge können auch die Farben Braunrot und zartes Apfelgrün andauernde Schwermut besänftigen. Ein tiefes Braunrot vermittelt die Geborgenheit des Mutterleibs, diese Farbe ist uns vertraut aus unserer vorgeburtlichen Zeit. Das zarte Grün sorgt dann, wenn wir die Grundlage für unsere innere Geborgenheit wieder erlangt haben, für Frische und neuen Lebensmut.

Was passiert nach einen Trauma?

Nach dem Erleben eines traumatischen Geschehens, wie etwa nach einer Vergewaltigung oder einem Flugzeugabsturz, kommt es zunächst zu einem kurzzeitigen Aussetzen des Verstandes. Die Intensität des Schmerzes ist für unsere Psyche nicht tragbar – ein Betäubungsmechanismus tritt in Kraft, um die mit dem Trauma verbundenen Bewusstseinsinhalte zu verschleiern.

Das Trauma wird eingekapselt und ist so unserer bewussten Erinnerung in der Regel nicht mehr zugänglich. Bei einigen Betroffenen „meldet” sich das Trauma nach einiger Zeit in Form von so genannten Flash-backs, Erinnerungsfetzen des traumatischen Geschehens, wie z.B. Geruchsfragmente, zurück. So lange wir das Trauma nicht bewusst kennen, besteht die Gefahr der Retraumatisierung. Über unsere Gewohnheitsstrukturen suchen wir instinktiv immer wieder vergleichbare, uns traumatisierende Situationen auf. Wir verbinden die schmerzhafte Empfindung mit unserem Ich-Gefühl, definieren uns über den Schmerz und erhalten damit – so meinen wir – unsere Lebendigkeit.

Wie kann man Traumata überwinden?

Nur über die Bewusstwerdung der traumatischen Erfahrungen kann das Trauma konstruktiv bearbeitet werden. Es kann zwar nicht gänzlich aufgelöst werden, da es als Abdruck in unserer Erinnerung gespeichert ist, aber über die Bearbeitung unserer Annahmen und Wandel der inneren Haltung zum traumatischen Ereignis können wir das Geschehene zunehmend integrieren. Dies kann zum Beispiel im geschützten Rahmen unserer ZEN-Seminare geschehen.

Im Buddhismus sagen wir, die Vergangenheit ist vergangen, wir können daran nichts mehr verändern. Aber wir können jeden Moment unseres Seins neu definieren und gestalten. So können wir dem Hier und jetzt mit Offenheit begegnen.
Das Trauma verliert zunehmend an Brisanz, nimmt weniger Raum in uns ein.

Depressionen als Betäubungsmittel…

Eine Depression auf traumatischer Grundlage dient als Selbstschutz, um eine Retraumatisierung zu verhindern. Denn durch Abnahme der Lebendigkeit vermindern wir die Intensität der Schmerzwahrnehmung. So gesehen dient die Depression hier als Betäubungsmittel.
Wenn die depressive Symptomatik abnimmt, kann das zugrunde liegende Trauma dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden, was auch bedeuten kann, dass der Schmerz aktiviert wird. Daher ist bei diesem Prozess eine kompetente, therapeutische Begleitung unerläßlich.

Bei Depressionen und anderen Folgen von traumatischen Erfahrungen ist es gleichermaßen hilfreich, sich immer wieder zu vergegenwärtigen:
„Du bist nicht die Depression – Du bist nicht das Trauma. Du bist viel mehr als das.”
Und, wie bereits oben gesagt, „was vergangen ist, ist vergangen. Was jetzt ist, ist die Gegenwart. Und jeder Moment Deines Seins, ist Deine Chance für einen Neuanfang.”

“Lebe jetzt!”

VERANSTALTUNGSHINWEISE:

Vom 16. bis 18. April 2010 findet ein Themen-Wochenende mit Zen-Meister Thich Thien Son zur Vertiefung des Vortragsthemas statt.

Veranstaltungsort: BUDDHAS WEG Kloster, Seminarhaus & Gesundheitszentrum im Odenwald

Der nächste Vortrag der Reihe “Heilung von Körper und Geist” mit Zen-Meister Thich Thien Son findet am Freitag, 23. April zum Thema “Umarme Deine Wut” statt.

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18. März 2010

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