Die Leerheit im Alltag praktizieren…

WegGehen

Es liegt in der Natur der Sache, dass es schwierig ist, die Leerheit zu beschreiben. Folgende Begriffe können jedoch einige Hinweise geben.

Die Leerheit zeichnet sich aus durch (vgl. Lamotte 1944):

  • Gleich-Gültigkeit,
  • Los-Lösung,
  • die Abwesenheit einer Grundlage,
  • die Substanzlosigkeit,
  • das Nicht-Kennzeichen und
  • das Nicht-in-Betracht-Ziehen.

Die oben genannten Begriffe können wir als Schritte betrachten, mit deren Hilfe wir uns von unseren Konzepten befreien und die Leerheit in unserem Leben üben und umsetzen können. Besonders in äußeren und inneren Konfliktsituation können die Schritte als eine Art Leitfaden zur (Auf)lösung dienen. Wichtig ist, dass wir sie der Reihe nach nacheinander durchlaufen, um die damit verbundenen, notwendigen geistigen Prozesse auch wirklich in der Tiefe zu erfahren. Oft ist es aber im Gefühlswirrwarr des Alltags so, dass wir uns irgendwo zwischen 1 und 6 wiederfinden und nicht am Anfang. Wir sollten uns daher schulen, in jedem Augenblick, unseren geistigen Zustand in seinen Komponenten erfassen, also identifizieren, zu können. Erst dann wissen wir, wo wir ansetzen können. Ohne die vorangegangene Diagnose einer Erkrankung, wird die Therapie bekanntermaßen schwierig und wenig erfolgreich.

1. Gleich-Gültigkeit

Gleich-Gültigkeit bedeutet, jedes Objekt, sei es eine Person oder eine Verhaltensweise, hat die gleiche Existenzberechtigung. In Bezug auf seine Wertigkeit ist alles Sein gleich. Deshalb dürfen wir im Buddhismus auch keine fühlenden Lebewesen töten.

Das bedeutet nicht, dass wir alle gleich sind – jeder ist individuell. Wenn wir dies wirklich verinnerlichen, können wir auch die Bedürfnisse und Gefühle des Anderen besser akzeptieren. Das bedeutet auch, dass wir den Neid unseres Nachbarn nicht zu unserem Problem machen müssen. Geben wir der Gefühlswelt anderer und unserer eigenen die gleiche Wertigkeit, können wir die Dinge auch leichter mal „so stehen lassen” und müssen nicht auf den Zug aufspringen. Besonders in einer Partnerschaft oder im Zusammenleben einer Gemeinschaft ermöglicht uns das Verinnerlichen der Gleich-Gültigkeit, einander Raum zu geben, und Respekt für den anderen zu entwickeln.

2. Die Los-Lösung

Wenn wir direkt vor einer Wand stehen, können wir nur einen kleinen Ausschnitt davon wahrnehmen. Entfernen wir uns drei Schritte von ihr, sehen wir Dinge, die wir vorher gar nicht sehen konnten. Ähnlich ist es im Alltag, vor allem bei der Lösung von Konflikten: Nur wenn wir die Probleme ein Stück weit loslassen, können wir Lösungen dafür finden. Das Abstandnehmen ermöglicht uns das Entdecken neuer Perspektiven, erweitert unser Gesichtsfeld.

Oft sieht es in akuten Konfliktsituationen aber ganz anders aus. Wir verteidigen unsere Position mit Händen und Füßen und wollen sie eher stärken. Wir tun dies, um uns von unserem Kontrahenten abzugrenzen und unser Anderssein zu unterstreichen. Dadurch meinen wir, unsere Existenz zu sichern.

Zen-Meister Thich Nhat Hanh hat für die Lösung von Konflikten so genannte Friedensregeln aufgestellt. Eine Regel davon besagt, dass man den Konfliktstoff zunächst 24 Stunden ruhen lässt, bevor man erneut darüber diskutiert. Oft ist es so, dass sich das ursprüngliche Problem bereits aufgelöst hat oder aber, dass sich aufgrund der Distanz dazu neue Lösungsstrategien ergeben haben.

3. Die Abwesenheit einer Grundlage

Wenn wir unsere Position im Rahmen eines Konflikts verteidigen, tun wir dies meist auf der Basis einer grundlegenden Annahme, mit welcher wir Dualität erzeugen. Zum Beispiel, indem wir sagen, weil wir männlichen Geschlechts sind, brauchen wir nicht den Müll herausbringen.

Um Konflikte wirklich zu lösen, müssen wir diese Grundlagen in Gestalt von Annahmen loslassen. Am besten gelingt dies, indem wir die Achtsamkeit im Hier und Jetzt praktizieren. Denn: Wer kann sagen, ob die Verärgerung unseres Chefs vom Vortag heute überhaupt noch aktuell ist? Vielleicht ist er uns heute wohlgesonnen und wir würden mit unserer Anhaftung an den gestrigen Tag lediglich ein Wiederbeleben einer an und für sich bereits vergangenen Erfahrung provozieren.

4. Die Substanzlosigkeit

Wie eingangs erwähnt, sind aus buddhistischer Sicht alle Erscheinungen leer. Auch Annahmen, wie z.B. „Herr Müller ist aber dumm!” haben keinerlei Substanz – sie haben nichts mit der betreffenden Person an sich zu tun, sondern beruhen lediglich auf den subjektiv wahrgenommenen Wechselwirkungen zwischen zwei Objekten.

5. Das Nicht-Kennzeichen

Wir schreiben den Dingen Merkmale oder Kennzeichen zu – auch diese basieren auf Annahmen. Beispielsweise bezeichnen wir bestimmte Gefühlszustände als Traurigkeit, aber was bedeutet schon Traurigkeit? Es handelt sich lediglich um eine vorübergehende Kombination von geistigen Faktoren wie Leid, Resignation und vielleicht noch Hilflosigkeit. Sobald wir versuchen, Dinge zu kennzeichnen, halten wir die Erscheinungen fest und binden uns bzw. unsere Aufmerksamkeit dadurch an die Vergangenheit. Wir verlieren den Kontakt zum Hier und Jetzt.

Daher sollten wir überprüfen: Ist das, was ich fühle, immer noch Ärger oder hat sich die Zusammensetzung meiner geistigen Faktoren bereits verändert?

6. Das Nicht-in-Betrachtziehen

Der vorher empfundene Ärger ist jetzt nicht mehr notwendigerweise Ärger – wir haben ihn losgelassen und sind offen für das, was sich in unserem Geist im jeweiligen Moment zeigt – ohne Voreinstellungen und Erwartungen. Wenn wir das Nicht-in-Betrachtziehen üben, können wir der Leerheit Raum geben und Offenheit praktizieren. Wir können die Dinge wahrnehmen, wie sie wirklich sind – in all ihrer Fülle und Vielfalt.

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25. Februar 2010

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