Das Zusammenspiel von Psyche, Geist und Bewusstsein

Die Bedeutung der drei Begriffe Psyche, Geist und Bewusstsein ist oft nicht klar umrissen. Häufig machen wir es uns schwer, genau zu definieren, worin sie sich eigentlich unterscheiden und welches die jeweiligen Funktionen sind. Aus buddhistischer Sicht handelt es sich um drei verschiedene Aspekte, die im Rahmen unserer inneren Entwicklung eine wichtige Rolle spielen. Nur wenn wir in einem jedem Moment Klarheit darüber haben, auf welcher Ebene wir uns bewegen, können wir auf dem Weg der Befreiung wirklich voranschreiten.

1. Die Psyche

Über die psychische Ebene interagieren wir mit unseren Mitmenschen – sei es im direkten Kontakt oder in unserer Vorstellung. Dabei dient uns das Gegenüber als Projektionsfläche. Oft spiegeln uns unsere Mitmenschen unsere tiefsten Ängste und Befürchtungen oder aber auch unsere unerfüllten Sehnsüchte und Wünsche. Wenn wir uns z.B. darüber aufregen, dass uns jemand auf der Autobahn überholt, kann dies unsere eigene Sehnsucht widerspiegeln, uns über Regeln hinwegzusetzen und entsprechend auf das Gaspedal treten zu wollen.

Die psychische Ebene manifestiert sich in Gestalt von Symptomen wie z.B. Hass, Scham, Angst und Aggression. Die meisten westlichen Psychotherapieverfahren, wie z.B. die Verhaltenstherapie, setzen auf dieser Symptomebene an und versuchen sie zu verändern.

Die Psyche setzt sich aus all unseren in der Kindheit erlernten Abwehr- und Schutzmechanismen zusammen. Ihre Zusammensetzung entsteht also in Abhängigkeit von den zwischenmenschlichen Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben. Hatten wir eine glückliche Kindheit, die durch eine vertrauensvolle Beziehung zu unseren Eltern gekennzeichnet war, werden wir mit Zuversicht und Vertrauen in die Partnerschaften des späteren Lebens starten. Sind unsere Kindheitserfahrungen aber mehrheitlich durch Schmerz und Traumata geprägt, werden wir uns einen entsprechenden Schutzwall von Mechanismen zugelegen, die uns im Alltag begleiten und beschützen sollen. Darüber hinaus spielt die Psyche alle möglichen Spiele, damit wir uns an unser soziales Umfeld anpassen können und Akzeptanz und Bestätigung finden. Wir brauchen die Interaktionen mit unserer Umwelt, um unsere gelernten Verhaltensweisen und Glaubenssätze zu nähren und aufrechterhalten zu können. Im Prozess der Heilung und Bewusstwerdung können uns diese Interaktionen aber auch die Möglichkeit der Veränderung geben. Durch das Ausbrechen aus unseren starren Verhaltensmustern können wir neue Erfahrungen im Umgang mit unseren Mitmenschen machen und so – Schritt für Schritt – die Zusammensetzung unserer Psyche positiv verändern.

In der Buddhistischen Psychologie der Bewusstseinsschule (Consciousness only) entspricht die Psyche dem so genannten siebten Bewusstsein (Pali: manas), dem Egosinn. Seine Funktion besteht hauptsächlich in der Anhaftung an das Ego. Mithilfe von Ängsten, Wunschbildern und Vorstellungen über uns selbst erzeugen wir eine Pseudorealität. Dies führt dazu, dass wir an der Idee einer unveränderlichen, dauerhaften Ichidentität festhalten und uns darüber definieren. Wenn wir uns zu sehr mit dem 7.Bewusstsein identifizieren und es ist nicht als das erkennen, was es ist, schneiden wir uns und unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit im Hier und Jetzt ab. Über die aus dem Egosinn motivierten Interaktionen mit unserer Umwelt erzeugen wir ein Netz von (Selbst)täuschungen und Verwirrung und verlieren den Kontakt zur Realität. Mit Hilfe der Schulung der fünf Sinne können wir aus diesem Teufelskreis der Verblendung ausbrechen. Nur über die direkte Wahrnehmung – das heißt ohne jegliche, subjektive Verzerrung – können wir den Kontakt mit der Realität wiederherstellen und bewahren.

2. Der Geist

Durch die Betrachtung der geistigen Ebene können wir die Funktionsweise unserer Psyche verstehen. Denn die jeweilige Kombination von geistigen Bausteinen erzeugt unseren psychischen Zustand. Durch die geistige Arbeit durchschauen wir das Entstehen der jeweiligen Symptome auf psychischer Ebene und können so unsere Anhaftung daran reduzieren. Angst und Scham sind deshalb nicht aus unserem Leben gewichen, aber sie haben nicht mehr eine so große Macht über uns. Wir können ihnen mit Verständnis und Mitgefühl begegnen und lassen uns nicht mehr davon mitreißen. So entsteht beispielsweise Wut nicht einfach aus sich selbst heraus. Es gibt Bausteine im Hintergrund, die das Symptom Wut erzeugen – ähnlich wie bei der Entstehung einer Erkältung. Damit sich die typischen Symptome einer Erkältung zeigen, müssen nach TCM-Verständnis verschiedene Bedingungen zusammentreffen: Das Immunsystem ist nicht in Balance, der Lymphfluss blockiert und Nieren sowie die Lunge sind kalt geworden.

Im Westen kennen wir diese Herangehensweise im Rahmen der tiefenpsychologisch fundierten Therapieverfahren. Man sucht nach den Ursachen für die Entstehung einer Symptomatik. In der buddhistischen Psychologie sprechen wir von geistiger Arbeit. Man betrachtet den eigenen Geist, um dessen Zusammensetzung und das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren zu erkennen.
Unser Geist besteht aus 52 Bausteinen, den so genannten geistigen oder mentalen Faktoren. 49 davon entstehen auf der Grundlage unserer Gewohnheiten.

Je nachdem, welche Erfahrungen wir im Verlauf unseres Lebens gemacht haben und was wir in dieses Leben aus vorangegangenen Existenzen mitgebracht haben, entwickeln wir „Vorlieben” für bestimmte Steine, die wir während der Wanderung durch unser Leben immer wieder vom Wegesrand aufsammeln. Obwohl es Bausteine unterschiedlichster Form und Farbe gibt, neigen wir aufgrund unserer Gewohnheitsstrukturen dazu, immer wieder die gleichen oder ähnliche Steine aufzunehmen. Dies kann unser Leben in vielerlei Hinsicht erleichtern, aber schränkt andererseits unsere Entwicklungsmöglichkeiten ein. Aufgrund mangelnder Offenheit sind wir nicht imstande, über unseren Tellerrand zu schauen.

Wenn jemand in seinem Leben zum Beispiel sehr verträumt ist, keine Ziele hat und immer passiv darauf wartet, dass eines Tages „sein” Glück von außen auf ihn zu kommt, dann beschreibt dieses seinen psychischen Zustand. Im Rahmen der geistigen Arbeit betrachten wir nun die mentalen Faktoren, die hinter den Symptomen liegen: Da finden wir die Bausteine 1. Trägheit, 2. den Zweifel (an sich selbst, er kann deshalb kein Ziel für sich erzeugen) und 3. den Ich-Wahn (Verblendung – er misst seinem Ichempfinden eine übersteigerte Bedeutung bei und hat den Kontakt zur Realität im Hier und Jetzt verloren). Nach außen erzeugt er als Symptom auf der psychischen Ebene „Orientierungslosigkeit”. Wenn wir diesen Menschen fragen würden, „Was ist mit Dir los?”, dann würde er wahrscheinlich nicht die einzelnen Bausteine benennen können. Meistens ist es so, dass wir dann in die Abwehr- und Schutzmechanismen gehen und auf der psychischen Ebene weiter kommunizieren. Botschaften wie, „Du hast mir ja nie ein brauchbares Ziel vorgegeben!”, wären dann die typische Reaktion. Wir schieben die Schuld auf den anderen, oder in Abhängigkeit der eigenen Persönlichkeitsstruktur, nehmen wir die Schuld auf uns selbst „Ja, Du hast recht, wie soll es bloß mit mir weiter gehen?”.

Wenn wir hier, also auf der psychischen Ebene verharren und nicht den Mut finden, hinter die Kulissen zu schauen, lassen wir uns von unseren Ängsten einsperren. Wir werden uns nicht weiterentwickeln und befreien können. Der Zugang zu unserem eigentlich vorhandenen Potential bleibt uns verschlossen.

In der buddhistischen Psychologie können wir den Geist mit dem 6. Bewusstsein, mano, dem Denksinn, beschreiben. Dem Denksinn kommt bereits im traditionellen Abhidhamma eine wichtige Wächterfunktion zu: Alle Wahrnehmungsprozesse, d.h. alle Impulse, die von der Außen- und Innenwelt eintreffen, müssen zunächst das Geisttor passieren, bevor sie weiter verarbeitet werden können. Nur ein wachsamer und achtsamer Geist kann die Weiterleitung unheilsamer oder destruktiver Impulse unterbinden oder ihnen entsprechend begegnen.

Durch die geistige Schulung lernen wir das Entstehen von starren Formen zu vermeiden. Denn: Ein Baustein kommt selten allein. So lange die Faktoren sich noch formieren, können wir unseren geistigen Zustand und damit auch die Auswirkungen auf die Psyche noch konstruktiv verändern. Wenn wir jedoch nicht achtsam genug sind, gesellt sich zu dem vorhandenen Zweifel noch Feindseligkeit hinzu und bewirkt auf der psychischen Ebene bereits das Anspringen eines Abwehrmechanismus „oh, mit diesem Menschen muss ich vorsichtig sein!” Dieser wiederum hat eine Wirkung auf die Formierung der folgenden geistigen Faktoren.

So stehen unsere Psyche und unser Geist in ständiger Wechselwirkung. Dies eröffnet vielversprechende, auch therapeutische, Möglichkeiten: Durch die bewusste Einführung von positiven geistigen Faktoren, wie Liebende Güte, Mitgefühl, Toleranz usw. verändern wir die topographische Landkarte unseres Geistes: Anstelle von schroffen Gebirgslandschaften finden wir dort nach einigem Training sanfte Hügellandschaften. Dies wiederum führt dazu, dass wir die Höhe unseres Schutzwalls zunehmend reduzieren können. Wir können unseren Mitmenschen freier und mit mehr Offenheit begegnen.

3. Das Bewusstsein

Das Bewusstsein an sich ist neutral, es bewertet nicht. Es dient lediglich als Trägersubstanz für die geistigen Faktoren. Ähnlich wie ein Fluss, fließt unser Bewusstseinsstrom, so lange wir leben. Wenn wir eine Stunde am Ufer eines Flusses stehen und das Fließen des Wassers beobachten, werden wir die ganze Zeit über Wasser sehen. Dennoch sind die einzelnen Wassermoleküle, also die Bestandteile des Wassers, die an uns vorbei fließen, immer andere. Manchmal ist auch Gestrüpp und Abfall im Wasser. Genau so verhält es sich mit unserem Bewusstsein auch. Die Qualität der geistigen Faktoren bestimmt über die Zusammensetzung und die Klarheit des Bewusstseins. Auch die Fließgeschwindigkeit des Wassers ist wichtig: Je turbulenter die Wasserbewegung, desto mehr Schlamm wird aufgewirbelt. Es wird unmöglich, den Grund zu sehen.

Je weniger Turbulenzen die Bausteine unseres Geistes im Bewusstsein verursachen, umso klarer können wir den Grund erkennen. Wir betrachten nun mit Hilfe des Bewusstseins die Wechselwirkungen zwischen Psyche und Geist. Wir schauen uns an, wie ein geistiger Baustein hochkommt und das Symptom auf psychischer Ebene erzeugt. Wenn wir den Prozess weiterlaufen lassen, kommen, wie wir oben gesehen haben, weitere Bausteine hinzu und formieren eine immer komplexere Symptomatik auf der psychischen Ebene. Das ganze Gebilde wird zusehends starr und ist dann immer schwerer einer Veränderung zugänglich. Wenn wir beginnen, das Symptom als Werkzeug zu benutzen, z.B. die Wut, um uns zu wehren, haben wir begonnen, es für die Sicherung unserer Existenz einzusetzen. Solche Muster kann man nur schwer auflösen, da das Infragestellen des Symptoms sofort Gefühle der Bedrohung und Existenzangst hervorruft.

Wir können nur auf der Bewusstseinsebene arbeiten, wenn der Geist klar ist. Wenn wir völlig in unseren Emotionen verstrickt sind, können wir die zugrunde liegenden geistigen Faktoren nicht von der Symptomatik auf der psychischen Ebene trennen. Sobald wir eine Wirkung, also ein Symptom, auf der psychischen Ebene haben, ist es bereits zu spät. Dann können wir für diesen Moment nichts mehr verändern. Deshalb ist es so wichtig, Klarheit und Achtsamkeit zu schulen, damit man rechtzeitig das sich zusammenbrauen der geistigen Faktoren erkennen kann. Nur so können wir die Wechselwirkungen der drei Aspekte untereinander in eine heilsame Richtung lenken.

Das hier vorgestellte Bewusstsein entspricht dem 8. Bewusstsein in der buddhistischen Psychologie, dem alaya, oder Lagerhaus-Bewusstsein. Hier sind alle „Samen” unserer Gewohnheitsstrukturen und Erfahrungen aus diesem und vorangegangenen Leben abgelegt. Wir nennen das 8. Bewusstsein daher auch den Existenzsinn, da wir durch diese Gewohnheitsstrukturen unsere Existenz in Samsara definieren. Die Samen selbst können wir nicht auflösen. Was wir aber im Rahmen unserer geistigen Arbeit versuchen aufzulösen, ist unsere Anhaftung an die Samen. Denn diese „Anhaftungsenergie” ist es auch, die uns von einer Wiedergeburt in die nächste drängt.

Wenn nun ein Impuls ungefiltert über den Geist auf die Samen im 8. Bewusstsein trifft, geht er in Resonanz mit bestimmten dort abgespeicherten Gewohnheitsstrukturen, z.B. „die Farbe Rot ist gefährlich!” Die dadurch aktivierte, bis dahin „eingefrorene” Erfahrung wird nun zum 7. Bewusstsein, also zu der Psyche, weitergeleitet. Das wird dann aufgrund der Aktivierung von Abwehrmechanismen dazu führen, dass wir der Frau mit dem roten Kleid mit Vorbehalt und Vorsicht begegnen, obwohl wir sie noch nie zuvor in unserem Leben gesehen haben. Diese Interaktion wiederum wird bestimmte Erfahrungen zur Folge haben, z.B. dass diese Person auf uns mit Ablehnung reagiert. Dies nehmen wir über die fünf Sinne und unseren Geist auf und es nährt wiederum den bereits vorhandenen Samen in unserem 8. Bewusstsein. Wir werden in der Zukunft noch sensibler auf die Farbe Rot reagieren.

Es ist so wichtig für unsere spirituelle Entwicklung, dass wir das Zusammenspiel von Psyche, Geist und Bewusstsein in der Tiefe verstehen: Alle drei Aspekte erzeugen ständig Wechselwirkungen. Wir müssen uns trainieren, dass wir ein Bewusstsein für das Sein, wie es in einem gegebenen Moment ist, entwickeln und die jeweiligen Wechselwirkungen rechtzeitig erkennen. Wenn der Geist ruhig ist und die einzelnen Bausteine nicht so schnell hin- und herspringen, haben wir die Möglichkeit, klarer zu sehen. Wir sind uns des Dramas bewusst, welches auf der Bühne unserer Psyche gerade aufgeführt werden will, aber wir müssen nicht in das Geschehen hineinspringen. Wir nehmen es zur Kenntnis und bleiben mit unserem Bewusstsein im Hier und Jetzt.

Darüber hinaus können wir uns trainieren, neue, heilsame Bausteine in unserem Geist zu fördern, z.B. Glück und Freude. Dies ist zugegebenermaßen gerade zu Beginn der Praxis nicht einfach. Irgendwas passiert im Außen und man ist wieder versucht, den alten, vertrauten „Schuldgefühl-Baustein” darauf zu packen. Geben wir uns die Chance, unsere Psyche, unseren Geist und unser Bewusstsein aktiv in eine heilsame Richtung zu verändern.

BewusstseineGeist_Psyche_BWS

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25. Februar 2010

1 Kommentar to Das Zusammenspiel von Psyche, Geist und Bewusstsein

  1. vom Prinzip ist es doch auch die Erklärung für selbsterfüllende Prophezeiungen?!

  2. manuela requejo on März 29th, 2013

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