Die Praxis des Loslassens – frei nach Ajahn Brahm

„Meditation ist wie aus einem durch die Gegend rasenden Auto aussteigen“, so Ajahn Brahm während einer seiner Vorträge die letzten Tage. „Erst wenn Du runtergekommen bist und still wirst, kannst Du die Dinge erfahren, wie sie wirklich sind!“

Das klingt schlüssig – gerade auch für uns „stressgeplagte Westler“, die wir ständig von einem Termin zum nächsten rennen. Es stellt sich die Frage, wie wir dieses Aussteigen und Runterkommen denn bewerkstelligen können.

Ajahn Brahm gibt dazu klare Ansagen: „Nur wenn Ihr alles loslasst, all Euer Verlangen und Eure Erwartungen, werdet Ihr leer und still. Dann seid Ihr offen für die wahre Glückseligkeit und das ist ein besseres und vor allem lang anhaltenderes Glücksgefühl als jeder sexuelle Akt Euch bieten kann!“


Wie können wir lernen loszulassen?

Ajahn Brahm unterscheidet vier Methoden des Loslassens.

1. Dinge rausschmeißen

„Es ist wie ein Flug mit einem Heißluftballon. Will man höher in den Himmel aufsteigen, muss man immer mehr Gepäck aus dem Korb rausschmeißen, damit er höher fliegen kann. Irgendwann geht es dann nicht mehr höher, es gibt keine Dinge mehr, deren man sich entledigen könnte. Jetzt muss man den Korb selbst abschneiden und kann sich nur noch direkt an den Ballon dran hängen. So geht es noch ein Stück höher in den Himmel hinauf, aber dann ist auch hier Schluss. Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit: man muss selber „aussteigen“, sich selbst fallen lassen – und der Ballon fliegt geradewegs ins Nirvana.“

Genau so ist es auch auf dem Weg zur Erleuchtung. Hat man einmal verstanden, dass man umso freier wird, je mehr Anhaftungen man loslässt, kommt man voran. Es wird aber immer wieder Situationen geben, in welchen das „Rausschmeißen“ schwieriger wird. Ganz delikat wird die Angelegenheit, wenn es um das Loslassen des eigenen Egos geht. Gerade im Westen sind wir oft der Ansicht, dass es durchaus positiv ist, ein „gutes Ego“ zu haben. Es macht uns vermeintlich stärker und durchsetzungsfähiger – Eigenschaften, die vonnöten sind, wollen wir in Beruf und Karriere erfolgreich sein. Dabei sehen wir häufig nicht, dass das Ego lediglich aus falschen Selbstkonzepten besteht, welche sich beständig selber nähren. Das trägt dazu bei, dass wir die Dinge nicht so wahrnehmen können, wie sie wirklich sind und macht uns unfrei. Mit anderen Worten, es bindet uns an den Kreislauf des Leids.

2. Großzügigkeit (dana)

Wirklich aus ganzem Herzen großzügig zu sein, heißt, Anderen zu geben, ohne auf Gegenleistungen zu hoffen. Im Zusammenhang mit unserer Meditationspraxis bedeutet es das völlige sich selbst hineingeben in die Praxis – mit ganzem Einsatz von Körper und Geist, ohne etwas zu erwarten oder erreichen zu wollen.

3. Freiheit

„Freiheit bedeutet, Du befindest Dich an einem Ort, an dem Du wirklich mit ganzem Herzen sein möchtest“. Jeder Ort, an welchem Du Dich mit Widerwillen aufhältst, ist wie ein Gefängnis – du bist gefangen.

Ajahn Brahm erzählte dazu folgende Geschichte: in seinem Kloster in Perth, Australien, gehört die seelsorgerische Betreuung von Gefängnisinsassen mit zu den Aufgaben der Mönche und Nonnen. Einer der Mönche nahm nach seiner Arbeit in einem der Gefängnisse die Einladung eines Häftlings an und trank mit ihm eine Tasse Tee.

Der Gefangene fragte: „Was macht Ihr nach Feierabend so im Kloster?“
Mönch: „Wir haben keinen Feierabend.“
Gefangener: „Guckt Ihr abends nicht Fernsehen oder spielt Fußball oder Tischtennis?“
Mönch: „Nein, wir haben kein Fernsehen und spielen auch nicht Fußball oder Tischtennis.“
Gefangener: „Was macht Ihr denn dann abends?“
Mönch: „Wir sitzen still und meditieren.“
Gefangener: „Und wann steht Ihr morgens auf?“
Mönch: „ Gegen 4 Uhr morgens – aber es ist auch ok, wenn man früher aufstehen möchte.“ Gefangener: „Also bei uns steht keiner vor 7 Uhr morgens auf – was bekommt Ihr denn zum Frühstück?“
Mönch: „Wir haben kein Frühstück.“
Gefangener: „Und was macht Ihr vormittags?“
Mönch: „Ach, es gibt immer etwas zu tun – meist verrichten wir anstrengende, körperliche Arbeit.“ Gefangener: „Und wie sieht Euer Mittagessen aus?“
Mönch: „Unser Mittagessen bekommen wir als Spenden – wir wandern mit einer Bettelschale durch die Straßen und die Leute geben uns das in die Schale, was sie spenden wollen. Da kommt es dann schon mal vor, dass man Eiscreme auf dem Curry hat oder Spagetti auf dem Pudding.“
Gefangener: „Das ist ja grässlich! Also selbst bei uns gibt es Tabletts und da ist alles fein säuberlich in verschiedenen Kompartimenten angeordnet.“

Eine Weile herrschte Schweigen, in dem der Gefangene für einen kurzen Moment völlig vergaß, wo er selbst gerade war und sagte: „Weißt Du, komm doch zu uns hier. Hier geht es dir sicherlich viel besser als in deinem Kloster!“

Diese Parabel zeigt, dass es keine Rolle spielt, ob man in einem Gefängnis lebt oder in der vermeintlichen Freiheit „draußen“: die innere Einstellung zu der aktuellen Lebenssituation ist das alles entscheidende. Wenn das Gefängnis der Ort ist, an welchem wir uns in diesem Moment gerne aufhalten, sind wir frei – auch hinter Gittern.

4. Dinge nicht festhalten

Wir halten an unserer Jugend fest, an unserem Partner beziehungsweise unserer Vorstellung von ihm, genauso wie an Ideen, Hoffnungen und an unserem Leid. Wie oft kommt es vor, dass wir gar nicht bereit sind, die Hühnereier zu sehen und in unseren Korb zu packen, sondern lieber weiter den Hühnerkot in unserem Leben einsammeln (vgl. Ajahn Brahms Geschichte über die zwei Hühnerzüchter).
Besonders wenn wir oft die Rolle eines Beraters oder einer Therapeutin übernehmen, schlucken wir den ganzen Müll anderer Menschen – wir werden zum Mülleimer. Wir sollten dann darauf achten, dass unser Mülleimer im Boden ein Loch hat, damit der Müll unten wieder herausfallen kann, ansonsten ersticken wir irgendwann daran. Oder um ein anderes von Ajahn Brahms Sinnbildern zu benutzen: „Seid wie eine Teflon-Pfanne und achtet darauf, dass Eure Beschichtung immer intakt bleibt, damit nichts daran haften bleibt.“

LGs, Hue Pho

28. Oktober 2008

1 Kommentar to Die Praxis des Loslassens – frei nach Ajahn Brahm

  1. Sitzen und vergessen.

  2. Horst Neumann on Januar 9th, 2011

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